Susanne Goga

„Ich würde gern öfter aus männlicher Perspektive erzählen“

02.2016 Die Histo-Couch im Interview mit Susanne Goga über die Weimarer Republik, Gegenwartsromane und künftige Projekte.

Histo-Couch: Frau Goga, mit „Es geschah in Schöneberg“ haben Sie kürzlich Ihren fünften Krimi um Leo Wechsler veröffentlicht. Hand auf’s Herz: hätten Sie mit einem solchen Erfolg gerechnet?

Susanne Goga: Gehofft habe ich es schon, damit gerechnet nicht. Vor allem nicht, nachdem die beiden ersten Bände nicht so gut gelaufen waren. Mit „Die Tote von Charlottenburg“ und einer neuen Covergestaltung kam dann zum Glück der Durchbruch.

Histo-Couch: In seinem neuen Fall ermittelt der frischgebackene Oberkommissar unter anderem im Umfeld der Homosexuellenszene in Berlin. Wie wichtig war Ihnen dieses Thema?

Susanne Goga: Sehr wichtig. Berlin galt in dieser Zeit als besonders weltoffene, tolerante Stadt, in der homosexuelle Frauen und Männer nicht nur miteinander ausgehen und sich amüsieren konnten, sondern auch Gelegenheit bekamen, sich politisch zu engagieren. Die Abschaffung des § 175 war ein erklärtes Ziel. Ausländische Besucher wie die englischen Schriftsteller Christopher Isherwood und W.H. Auden kamen ausdrücklich nach Berlin, weil diese Toleranz sie anzog. Isherwood verdanken wir nicht zuletzt sein Buch „Leb wohl, Berlin“, das zur Vorlage für das Musical „Cabaret“ wurde. Diese weltoffene Kultur wurde abrupt zerstört, als die NSDAP die Macht übernahm, die Menschen wurden vertrieben, deportiert, zum Schweigen gebracht, die Lokale geschlossen, Magnus Hirschfelds berühmtes Institut für Sexualwissenschaft geplündert und zerstört. Es war mir wichtig, diese Seite des Weimarer Berlins zu zeigen, die nach 1933 nahezu vollständig vernichtet wurde. 

Histo-Couch: Auf einem privaten Fernsehsender lief vor einigen Wochen ein Spielfilm über einen Mordermittler in der Weimarer Republik, „Mordkommission Berlin 1“. Können Sie sich vorstellen, dass auch Ihre Reihe um Leo Wechsler mal verfilmt wird?

Susanne Goga: Das würde mich natürlich freuen. Das deutsche Fernsehen ist bei historischen Krimistoffen bisher zögerlich, und es wäre schön, wenn da allmählich ein Umdenken einsetzen würde. In Großbritannien sind derartige Serien beispielsweise sehr beliebt.

Histo-Couch: Krimi-Reihen und Romane in der Zeit der Weimarer Republik erfreuen sich aktuell großer Beliebtheit. Wie erklären Sie sich das Interesse an dieser Epoche?

Susanne Goga: Es ist eine spannende Zeit – ob in Kultur, Politik oder sozialen Fragen, vieles war im Umbruch. Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs hatte nicht nur, aber insbesondere in Deutschland eine neue Zeit begonnen. Ein weiterer Grund ist vielleicht auch die leise Wehmut, mit der man vieles liest, wohl wissend, dass es nur vierzehn kurze Jahre waren, in denen diese von vielen ungeliebte Republik bestand. Und nicht zuletzt ist diese Epoche in manchem auch ein Spiegel unserer Zeit – Angst vor Arbeitslosigkeit und Inflation, Weltoffenheit gegen rechtes Gedankengut. Und ganz aktuell auch der Zuzug von Flüchtlingen – nach der Oktoberrevolution kam vorübergehend eine halbe Million russischer Flüchtlinge ins Deutsche Reich, davon allein 360.000 nach Berlin.

Histo-Couch: Ihre Krimis und Romane spielen im 19. bzw. zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Können Sie sich vorstellen, auch mal in eine ganz andere Epoche, etwa Mittelalter oder Renaissance, zu wechseln?

Susanne Goga: Zurzeit eigentlich nicht. Ich liebe diese Epochen und glaube, dass es noch einige spannende Geschichte zu erzählen gibt. Außerdem wäre da auch die ganz praktische Erwägung, dass ich über diese Epochen schon ein Grundwissen besitze, das ich je nach Thema vertiefe. Das erleichtert die Themenfindung und den Start in einen neuen Roman.

Histo-Couch: Und wie sieht es mit Gegenwartsromanen aus?

Susanne Goga: Ich habe noch nie einen Gegenwartsroman geschrieben und sehe das auch nicht als meine Stärke. Da müsste mich ein Thema schon richtig packen. Im Augenblick bleibe ich lieber in der Vergangenheit.

Histo-Couch: In Ihren Romanen sind die Protagonisten oft starke Frauenfiguren, mit ihrem Ermittler der Leo-Wechsler-Reihe haben Sie aber auch eine männliche Hauptfigur geschaffen. Ist es leicht für Sie, sich in einen männlichen Protagonisten hineinzuversetzen?

Susanne Goga: Nicht unbedingt leicht, aber reizvoll. Ich würde gern öfter aus männlicher Perspektive erzählen und versuche, das – wenn möglich – auch zu tun. In Der verbotene Fluss gibt es einige Kapitel, die aus der Sicht der männlichen Hauptfigur erzählt werden. Bei dem Buch, an dem ich gerade schreibe, plane ich etwas Ähnliches.

Histo-Couch: Für die Recherche zu Ihrem Irland-Roman „Der dunkle Weg“ sind Sie nach Dublin gereist. Wie wichtig ist es für Sie, die Schauplätze Ihrer Werke vor Ort zu besuchen?

Susanne Goga: Sehr wichtig. Es fällt mir leichter, die richtige Atmosphäre zu erzeugen, wenn ich die Orte selbst gesehen habe. Ich war nicht nur in Dublin, sondern habe mir zuvor auch in Surrey und London die Schauplätze von Der verbotene Fluss angesehen. Und im letzten Herbst war ich wieder in London und habe dort für meinen neuen Roman recherchiert. Für Berlin gilt das natürlich ebenso.

Histo-Couch: „Der verbotene Fluss“ lässt die Möglichkeit zu einem Wiedersehen mit den Hauptfiguren offen. Können Sie sich das vorstellen, oder steht fest, dass es keine Fortsetzung geben wird?

Susanne Goga: Meine Lektorinnen und ich hatten mal darüber nachgedacht, uns aber vorerst dagegen entschieden. Ich halte es zurzeit für eher unwahrscheinlich, würde es aber nicht kategorisch ausschließen.

Histo-Couch: Sie arbeiten schon lange als Literaturübersetzerin. Wie viel Raum bleibt da für Kreativität? Überlegt man da an manchen Stellen schon mal, wie man selbst die Handlung als Autorin des Werkes gestaltet hätte?

Susanne Goga: Es bleibt durchaus Raum für Kreativität, wenn auch auf einer anderen Ebene. Ich kann Handlung und Figuren nicht verändern, selbst wenn es mich mal in den Fingern jucken sollte, aber sprachlich an meiner deutschen Fassung zu feilen, macht auch Spaß. Ich übertrage ja nicht nur den Inhalt, sondern auch die Stimmung, Komik, Wortspiele, kulturelle Eigenheiten, muss Zitate und Anspielungen erkennen und so übertragen, dass die Wirkung erhalten bleibt. Und ich lerne auch beim Übersetzen, weil ich den Text sehr genau betrachte und sehe, was die englischsprachigen Kolleginnen und Kollegen gut und schlecht machen.

Histo-Couch: Wenn Sie nicht gerade selbst schreiben oder übersetzen was lesen Sie privat am liebsten?

Susanne Goga: Gern historische Romane, da kann ich nicht aus meiner Haut. Wenn ich Krimis lese, dann fast immer historische oder die Klassiker wie Dorothy L. Sayers. Zuletzt habe ich den ersten Roman von Robert Galbraith alias J.K. Rowling gelesen. Das war eine Ausnahme, weil Gegenwartskrimi, aber es hat sich gelohnt. Davor war es Roman eines Schicksallosen von Imre Kertész. Wie Sie sehen, geht es ziemlich abwechslungsreich bei mir zu.

Histo-Couch: Können Sie uns zum Abschluss schon etwas zu Ihrem nächsten Projekt verraten? Geht es vielleicht mit Leo Wechsler weiter?

Susanne Goga: Zurzeit schreibe ich wieder einen Roman für Diana, der 1900 in London spielt. Ich kann schon mal verraten, dass es abenteuerlich zugeht, verborgene Schätze, alte Häuser, geheimnisvolle Manuskripte & Und ich hoffe, dass es auch mit Leo weitergeht. Sobald ich etwas dazu sagen kann, werde ich das gerne tun.

Das Interview führten Christina Wohlgemuth und Eva Schuster.

Zeitpunkt.
Menschen, Schicksale und Ereignisse.

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