Lukas Hartmann

„Das Räuberische im Menschen interessiert mich schon lange“

02.2012 Die Histo-Couch im Interview mit Lukas Hartmann über seine Arbeit, Gesellschaftskritik und Schweizer Themen.

Histo-Couch: Herr Hartmann, was ist für Sie ein perfekter, historischer Roman?

Lukas Hartmann: Gibt es den? Sogar Tolstois „Krieg und Frieden“ hat unbestreitbar ärgerliche Längen. Wunderbar finde ich Romane, die Figuren und Ereignisse in mir bildkräftig – und historisch getreu – lebendig lassen werden. Kürzlich habe ich Hilary Mantels „Wolf Hall“ (dt. „Wölfe“, Anm. d. Red.) gelesen. Sie bekam dafür den Booker Prize – mit Recht; sie wertet damit ein Genre auf, das von elitären Kritikern manchmal eilfertig in die triviale Ecke gestellt wird.

Histo-Couch: Sie selber haben 2010 für Ihren Roman „Bis ans Ende der Meere“ den Sir Walter-Scott-Preis verliehen bekommen. Hat Sie dies darin bestätigt, weitere historische Romane zu schreiben?

Lukas Hartmann: Klar, ein solcher Preis ist eine grosse Ermunterung. Ebenso erfreulich sind aber die zahllosen positiven Reaktionen von Lesern und Leserinnen, sogar von ganzen Gymnasialklassen, die eines meiner Bücher als Pflichtlektüre verordnet bekamen.

Histo-Couch: Ein Blick auf Ihre bisherigen historischen Romane zeigt, dass Sie sich in ganz verschiedenen Epochen bewegen. Wo fühlen Sie sich am wohlsten?

Lukas Hartmann: Überall dort, wo ich genug weiss, um mich in einem Zeitraum frei bewegen zu können. Aber ich habe eine Vorliebe fürs späte 18. Jahrhundert. Dort hat sich – politisch und geistesgeschichtlich – vieles vorgezeichnet, was uns heute noch beschäftigt. Es ist eine Zeit, die sich auf eine epochale Wende hinbewegt – und gerade die Herrschenden stellen sich blind gegenüber den notwendigen Veränderungen.

Histo-Couch: Mit „Räuberleben“ legen Sie erneut einen Roman vor, der auf historisch verbürgten Tatsachen beruht. Wann ist ein Thema für Sie interessant genug, um dieses als Grundlage für einen Roman zu nehmen?

Lukas Hartmann: Das „Räuberische“ im Menschen interessiert mich schon lange, dazu die Legendenbildung rund um die grossen Räuberfiguren, ihre Heroisierung, die so gar nicht dem kümmerlichen Alltag entsprach. Irgendwann drängt sich ein Stoff in den Vordergrund, lässt sich nicht abweisen. Das ist dann der Fall, wenn ich merke, dass der Stoff auch mich persönlich berührt und unsere Gegenwart mit meint – und dann weiss ich: Es gibt nichts anderes, als dass ich jetzt mit Recherchen beginne.

Histo-Couch: In ihren Romanen schwingt immer wieder auch eine gesellschaftskritische Komponente mit. Wie wichtig ist Ihnen dieses Thema?

Lukas Hartmann: Es ist zentral, gerade so wie die Widersprüchlichkeit, die Bedürftigkeit meiner Figuren. Durch alle Zeiten hindurch wurden Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihrer Religion ausgegrenzt, verfolgt, in die Flucht getrieben. Ich versuche immer wieder, den Gründen dafür auf die Spur zu kommen, ich versuche, das schwierige Verhältnis zum „Fremden“, zum „Anderen“ zu beleuchten und zu untersuchen, warum am einen Ort das Zusammenleben glückt, am anderen nicht. Und ich beschreibe so genau wie möglich, wie es zu Ausbeutungsverhältnissen kommt und unter welchen Umständen sie durchbrochen werden.

Histo-Couch: Bei „Räuberleben“ steckt der Schreiber Grau in einer etwas misslichen Situation: Einerseits muss er sich an der Verfolgung und Verurteilung von Hannikel beteiligen, andererseits hat er Mitleid mit dessen Frau und den Kindern. Finden Sie sich selber in Grau wieder?

Lukas Hartmann: Ein Stück weit schon. Der Schreiber Grau weiss selbst, dass er letztlich ein Mitläufer ist, einer, der sieht, dass um ihn herum Unrecht geschieht, sich aber zu schwach fühlt, daran etwas zu ändern. Sind wir, als Privilegierte in wohlhabenden Ländern, nicht auch Mitläufer, die sich dem Wirrwarr der globalisierten Welt, den medial vermittelten Hungersnöten und Kriegen hilflos ausgesetzt fühlen? Gewiss können wir spenden (Grau schenkt dem Räubersohn Dieterle ein Hemd); aber wie wollen wir grundlegende Veränderungen durchsetzen?

Histo-Couch: Ihre Romane sind immer sehr nahe am Geschehen und bieten intensive Bilder: Wie versetzen Sie sich in diese Situationen hinein, um sie so lebensnah umsetzen zu können? Vieles lässt sich ja nicht einfach nachstellen …

Lukas Hartmann: Es ist eine Frage des Wissens, der Vorstellungsfähigkeit und der Intuition. Zu meinen Vorbereitungen gehört zum Beispiel auch, dass ich Landschaften, Häuser, die im Buch vorkommen werden, aufsuche und zeichne, das heisst: sie so lange betrachte, bis sie mir vertraut sind, bis ich genügend sinnliche Eindrücke – dazu gehören auch Gerüche und Geräusche – gespeichert habe. Ich schaue mir Porträts meiner Protagonisten an, versuche mich in sie, in ihre Lebensumstände, ihre Beziehungen, ihre Konflikte hineinzuversetzen, an ihrer Stelle zu agieren. Das ist eine Form von Meditation, von Wachträumen, die überraschende Bilder und Szenen hervorbringt.

Histo-Couch: Wenn Sie einen neuen Roman veröffentlicht haben, warten Sie dann auf Reaktionen oder scheuen Sie diese eher?

Lukas Hartmann: Ich bin gespannt auf Reaktionen – und gleichzeitig bangt mir davor, dass das neue Buch zerzaust werden könnte. Da geht es mir nicht anders als den meisten meiner Kolleginnen und Kollegen.

Histo-Couch: Zu ihren Veröffentlichungen gehören auch einige Kinderbücher. Schreiben Sie lieber für ein erwachsenes Publikum oder für Kinder?

Lukas Hartmann: Ich liebe die Abwechslung. Nach einem Roman für Erwachsene folgt in den letzten Jahren meist ein Kinderbuch. Es sind unterschiedliche Genres, und gerade das reizt mich daran. Zu den historischen Romanen gehören langwierige Vorbereitungen; die Kinderbücher entstehen aufgrund von Improvisationen, von Kinderwünschen, sie schöpfen aus der Phantasie und verbinden sie mit persönlichen Erfahrungen.

Histo-Couch: Wie schwierig ist es für Sie als Schweizer, an das deutsche Publikum heran zu kommen?

Lukas Hartmann: Seit Diogenes meine Bücher verlegt, ist es einfacher geworden. Lange Jahre wurde mir immer wieder beschieden, Schweizer Themen, gerade historische, seien doch langweilig, sie würden in Hamburg keinen Menschen interessieren. Ich war aber stets der Ansicht, dass der eigene heimatliche Raum, aus dem sich viele meiner Bücher nähren, ein Mikrokosmos ist, in dem sich die ganze Welt spiegeln kann. Ob ein Roman in Schleswig-Holstein, in Dresden, im Schwarzwald oder eben rund um Bern spielt, sollte eigentlich nicht von Belang sein. Mir kommt es als Leser darauf an, ob ich ins Geschehen hineingezogen werde, ob ich erkenne, dass das, was erzählt wird, in irgendeiner Form mit mir zu tun hat.

Histo-Couch: Wird es nach Räuberleben einen weiteren historischen Roman geben? Wenn ja, dürfen Sie schon mehr darüber sagen?

Lukas Hartmann: Ich bin auf einen Stoff gestossen, der mich lange beschäftigen wird. Es ist eine Familiengeschichte, die ein Panorama der deutschen Geschichte von 1870 bis 1945 umfasst. Sie führt in den Nahen Osten, nach Afrika und in die Schweiz. Herausfordernd, aber als Projekt unglaublich spannend.

Das Interview führte Rita Dell’Agnese.

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