Melanie Metzenthin

„Ich lasse mich von Museen aller Art inspirieren“

11.2013 Melanie Metzenthin im Interview mit der Histo-Couch über Recherchen, Psychiatrie und die Entstehung ihrer Romane.

Histo-Couch: Frau Metzenthin, mit „Die Reise der Sündenheilerin“ haben Sie den zweiten Roman um Philip und Lena geschrieben. Wann sind Ihnen die beiden zum ersten Mal begegnet und wussten Sie gleich, dass Sie ihre Geschichte aufschreiben möchten?

Melanie Metzenthin: Die Entstehungsgeschichte zur „Sündenheilerin“ ist eine ganz besondere – denn alles begann damit, dass mein Herzensprojekt, ein Roman, der in der römischen Antike in Alexandria spielt, als schwer verkäuflich galt. Mein damaliger Agent riet mir deshalb, ins Mittelalter zu wechseln – die Epoche, nach der die Verlage zu jener Zeit suchten. Da ich mich aber nie so ganz von meinem Herzensprojekt verabschieden wollte, wurde Philip kurzum zu einem entfernten Nachfahren meiner antiken Helden – und dadurch zu einer sehr interessanten Figur, die als Kind zweier Welten nach ihren Wurzeln sucht.

Lena hingegen ist die Heldin, die sich selbst sucht und dadurch findet, dass sie anderen hilft. Aufgrund meines beruflichen Hintergrunds bot sich die Geschichte einer „Seelenheilerin“ an. Übrigens ein Titel, den wir damals gern für das Buch genommen hätten, leider war er schon vergeben. Psychische Erkrankungen gab es schon immer – nur wurden sie früher ganz anders wahrgenommen. Göttliche Stimmen oder Besessenheit waren in den Augen der damaligen Menschen mögliche Ursachen. Ich fand es spannend, mit Lena eine Figur zu schaffen, die sich einem anderen Ansatz verschreibt, zumal das Hochmittelalter nicht so finster war, wie gern behauptet wird. Es gab auch damals aufgeklärte Menschen und Freidenker. Menschen, die nach rationalen Erklärungen suchten und nicht alles als übernatürlich betrachteten. Lena ist durchaus aufgeschlossen, aber ihre ersten Begegnungen mit Philip sind für sie dennoch verstörend – jemandem, der so frei wie er denkt, ist sie nie zuvor begegnet. Im Laufe der Zeit lernen beide voneinander und dadurch wächst die ihre beiderseitige Toleranz und Weltoffenheit. Davon erzählt „Die Reise der Sündenheilerin“.

Histo-Couch: War Ihnen von Anfang an klar, dass es mehrere Teile geben wird oder war ursprünglich nur „Die Sündenheilerin“ geplant?

Melanie Metzenthin: Ich hatte „Die Sündenheilerin“ so konzipiert, dass eine Fortsetzung möglich ist, sie aber auch als einzelne Geschichte für sich stehen kann. Bei Debütanten schauen Verlage gern auf die Verkaufszahlen, ehe sie sich für Fortsetzungen entscheiden. „Die Sündenheilerin“ hat die Erwartungen mehr als erfüllt, sie ist mittlerweile in der 4. Auflage.

Histo-Couch: Streng genommen sind die beiden Romane um Philip und Lena keine reinen historischen Romane. Die Fähigkeit Lenas, in den Augen ihres Gegenübers die Seelenflamme zu sehen, und die verborgene Stadt spielen in den Bereich der Fantasy hinein. Was hat Sie gereizt diese Themen mit hinein zu nehmen?

Melanie Metzenthin: Lenas Fähigkeit, die Seelenflamme zu sehen, ist im Grunde der Versuch, etwas für Leser nachvollziehbar darzustellen, was in der Psychiatrie durch jahrelange Berufserfahrung erreicht wird. Psychiater und Psychotherapeuten sehen natürlich keine „Seelenflamme“, aber der Blick in die Augen verrät sehr viel über den Patienten. Da gibt es die starren Blicke von Menschen mit Psychosen, die flackernden Blicke der Menschen mit Angsterkrankungen, und die Leere im Blick von schwer Depressiven. Die Seelenflamme ist einfach eine Parabel dafür – sie stellt Lenas feines Gespür und ihre Empathie bildlich dar.

Mit der verborgenen Stadt hat es etwas anderes auf sich. Das ist eine Parabel auf den Umgang der Kulturen miteinander. Es hat mich ungemein gereizt, Menschen des Mittelalters mit einer antiken Welt zu konfrontieren. Die Religion hatte im Mittelalter einen ganz anderen Stellenwert als heute, während man in der Antike damit – wenn man den Quellen glauben darf – recht pragmatisch umging, also eher so wie moderne Menschen heute.

Histo-Couch: Was hat Sie an dem Genre historischer Roman interessiert? Warum haben Sie nicht einen Krimi oder belletristischen Roman geschrieben?

Melanie Metzenthin: Ich mochte schon als Kind historische Abenteuergeschichten. Ich war ein großer Fan von Robin Hood, habe die Ivanhoe-Verfilmung mit Robert Taylor geliebt. Und die ganzen Monumentalfilme wie Quo Vadis, Cleopatra und Spartacus habe ich unzählige Male gesehen. Außerdem liebe ich Museen. Ich bin bereits als kleines Kind viel in Museen gewesen, und mein Vater hat es dabei immer verstanden, mir durch seine Geschichten die Vergangenheit lebendig darzustellen. Ein Museum war für mich ein großer Abenteuerspielplatz, der meine Fantasie anregte. Ich versuchte mir vorzustellen, wie es damals wohl gewesen sein könnte. Irgendwann fing ich an, die Geschichten aufzuschreiben, zu denen mich Museen aller Art inspirierten.

Histo-Couch: Lesen Sie privat auch gerne historische Romane oder greifen Sie da auch mal zu anderen Genres?

Melanie Metzenthin: Ich lese sehr gern historische Romane, das war schon immer so. Neben historischen Romanen habe ich auch von sehr vielen historischen Persönlichkeiten Biografien in meiner Bibliothek. Des Weiteren mag ich intelligente Thriller, in denen es mehr um das Geheimnis und weniger das Blutvergießen geht. Grishams Firma zum Beispiel, die habe mehrmals gelesen. Ich liebe auch Harry Potter und „Die Tribute von Panem“. Und natürlich Karl May. Der hat mich bereits in der Kindheit geprägt. Ich schätze auch Stefan Zweig. Seine Biographie von Marie Antoinette habe ich so oft gelesen, dass sie schon ganz zerfleddert ist. Ich glaube, es gibt kein Genre, an dem ich mich nicht schon mal als Leserin versucht habe.

Histo-Couch: Welcher(r)/Welcher Autor(en) haben Sie am meisten beeindruckt und haben sie auch Ihre Schreibweise, Ihren Schreibstil beeinflusst?

Melanie Metzenthin: Karl May ist einer davon – allerdings mochte ich seine ausufernden Beschreibungen nicht besonders, die habe ich immer überblättert, und ich selbst bemühe mich auch, die Beschreibungen meiner Figuren nicht überborden zu lassen. Eigentlich beschreibe ich Personen sehr wenig, ich lasse sie lieber durch ihre Sprache und ihre Taten in Handlung treten – und dann kann sich jeder selbst ein Bild machen.

Sehr beeindruckt haben mich auch die witzigen Dialoge in Andrea Schachts Beginen-Reihe. Deshalb freue ich mich besonders, in Andrea Schacht eine gute Freundin und geduldige Testleserin gefunden zu haben.

Histo-Couch: Es heißt ja immer, dass jeder Autor mindestens einen unveröffentlichten Roman in der Schublade liegen hat. Wie viele schlummern bei Ihnen? Und würden Sie sie heute veröffentlichen, wenn sich die Möglichkeit ergäbe oder sollen diese Werke lieber unter Verschluss bleiben?

Melanie Metzenthin: Bei mir schlummern etliche unveröffentlichte Romane. Darunter Jugendsünden, die ich im Alter zwischen 14 und 19 Jahren verfasst habe. Die sind natürlich absolut ungeeignet für eine Veröffentlichung – auch wenn mein jüngeres Ich das vor fünfundzwanzig Jahren vehement bestritten hätte. Allerdings war es wichtig für meine Entwicklung. Ich habe in der Zeit mehrere Romane mit jeweils 300 Normseiten verfasst und dadurch nicht nur mit zehn Fingern tippen gelernt, sondern auch Ausdauer und Beharrlichkeit verbessert. Ich zehre noch heute davon, dass ich weiß, in welcher Zeit ich ein Manuskript von dieser Länge verfassen kann.

Es gibt auch ein paar Projekte in meiner Schublade, die wären stilistisch reif genug, aber thematisch liegen sie derzeit weit vom Mainstream ab. Mal sehen, was die Zukunft bringt.

Histo-Couch: War „Die Sündenheilerin“ Ihr erster Versuch, einen Roman zu veröffentlichen? Haben Sie sich selbst bei den Verlagen beworben oder lief das über einen Agenten?

Melanie Metzenthin: Nein, mein erster Versuch war mein Antike-Roman. Mit dem fand ich meinen ersten Agenten, und von der Schreibe her überzeugte der Roman auch. Das Problem war die Epoche …

Wenn man beim Schreiben Erfolg haben möchte und veröffentlicht werden will, dann darf man sich nicht an ein Thema klammern, sondern muss flexibel sein und sich den Marktgegebenheiten anpassen. Vielleicht findet man dann auch ein Zuhause für die früheren Projekte, wenn man sich erst mal etabliert hat.

Histo-Couch: Wie organisieren Sie Ihr Schreiben? Als forensische Psychiaterin dürfte Ihr (Arbeits-)tag schon recht ausgefüllt sein. Wann finden Sie Zeit zum Schreiben?

Melanie Metzenthin: Ich arbeite derzeit nicht mehr in der forensischen Psychiatrie, sondern ich bin inzwischen als Ärztin im Gesundheitsamt tätig. Der Vorteil liegt darin, dass ich keine Wochenend- und Nachtdienste mehr habe. Ich schreibe meistens am Wochenende, aber wenn ich gut im Fluss bin, auch abends nach Feierabend.

Histo-Couch: Ist das Schreiben auch ein wertvoller Ausgleich zu Ihrer sicher oft nicht leichten Arbeit?

Melanie Metzenthin: Ja, auf jeden Fall. Deshalb habe ich ja auch den historischen Roman gewählt – weil ich in fernen Epochen und Abenteuern, die oberflächlich nichts mit meiner Realität zu tun haben, gut entspannen und abtauchen kann. Allerdings verstecke ich auch immer ein paar aktuelle Themen in meinen Büchern. Wenn man danach sucht, findet man sie.

Histo-Couch: Wie sind Sie bei Ihrer Recherche vorgegangen? Welche Originalschauplätze haben Sie besucht und wie lange hat die Recherche für jedes Buch gedauert?

Melanie Metzenthin: „Die Sündenheilerin“ spielt auf Burg Birkenfeld im Harz – die Burg gab es wirklich und ich habe ihre Ruine besichtigt. Auf Burg Schlanstedt, die in der Sündenheilerin ebenfalls vorkommt, können Touristen sogar übernachten – das habe ich auch getan. Ich war an allen deutschen Schauplätzen, die in meinen Romanen auftauchen und kenne mich dort gut aus. Allerdings war ich nie in Ägypten. Da habe ich es wie Karl May gehalten – man kann auch aus der Ferne recherchieren. Allerdings lag es bei mir daran, dass mein Vater zu der Zeit im Sterben lag, und nach seinem Tod waren die politischen Umstände in Ägypten zu unsicher für eine Reise. Aber irgendwann werde ich noch mal nach Ägypten reisen.

Für die Recherchen zur Sündenheilerin habe ich ziemlich lange gebraucht – ich musste ja von der Antike, in der ich mich perfekt auskannte, aufs Mittelalter umsatteln. Und viele Erfindungen, die in der Antike normal waren, waren im Mittelalter in Vergessenheit geraten. Das war zum Teil recht kniffelig. Allein für die kurze Szene im Kloster am Anfang des Buches, die nur wenige Seiten lang ist, habe ich drei Sachbücher über mittelalterliches Klosterleben studiert.

Für „Die Reise der Sündenheilerin“ habe ich alte Hanseschifffahrtswege recherchiert, die politische Lage in den Ländern, die durchreist wurden, und ich habe mich sehr mit der Glaubenswelt der Kopten auseinandergesetzt und etliche Bücher darüber gelesen. Insgesamt nimmt die Recherche für einen historischen Roman bei mir mehrere Monate in Anspruch. Wenn ich ein Jahr zum Schreiben des Romans brauche, sind davon mindestens vier Monate der Recherche geschuldet.

Histo-Couch: Sie haben ja nicht nur eine Leserunde auf der Histo-Couch als Autorin begleitet, sondern nehmen auch als Leser an welchen teil. Was gefällt Ihnen an Leserunden und wie war das für Sie, als Autorin in dem Rahmen der Kritik der Leser ausgesetzt zu sein?

Melanie Metzenthin: Es macht mir großen Spaß, mich einer Leserunde zu stellen und mich der Kritik auszusetzen. Leserunden sind eine der wenigen Möglichkeiten, wo ich als Autorin Fragen an die Leser stellen kann. Sind bestimmte Dinge so wahrgenommen, wie ich sie geplant hatte? Und wenn nicht, woran mag es gelegen haben? Es ist für das entsprechende Buch dann natürlich zu spät, aber man lernt für neue Projekte. Außerdem genieße ich es, meine eigene Geschichte durch die Augen der Leser noch einmal neu erleben zu dürfen und auf Aspekte aufmerksam gemacht zu werden, die ich so vielleicht noch nie gesehen habe. Und ich freue mich, wenn sich daraus Diskussionen entwickeln, die über das eigentliche Buch hinausgehen. So wie es bei „Die Reise der Sündenheilerin“ ja das Thema bi-nationaler und bi-religiöser Ehen war. Sehr schön finde ich es auch, wenn meine Figuren sich verselbstständigen und unterschiedlich in ihren Charakteren wahrgenommen werden. Wenn sie kontrovers diskutiert werden. Denn dann leben sie.

Histo-Couch: Zum Abschluss noch die obligatorische Frage nach Ihrem nächsten Projekt: Können Sie uns etwas darüber verraten, was wir als nächstes von Ihnen zu lesen bekommen?

Melanie Metzenthin: Im kommenden März 2014 erscheint „Die Tochter der Sündenheilerin“, dann sind Lena und Philip 43 und 49 Jahre alt und haben mit ihren zum Teil bereits erwachsenen Kindern neue Herausforderungen zu bestehen. Es geht um das mittelalterliche Fehderecht. Und natürlich werden auch wieder einige psychische Erkrankungen eine Rolle spielen …

Histo-Couch: Herzlichen Dank für das Interview!

Das Interview führt Birgit Borloni.

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