Julia Kröhn

„Ich schreibe einen fiktiven Roman, keine wissenschaftliche Arbeit“

08.2010 Die Histo-Couch im Interview mit Julia Kröhn über Auswanderungsgedanken, Pseudonyme und Fortsetzungen.

Histo-Couch: Frau Kröhn, sie haben sich nach ihrem ersten Roman „Engelsblut“ weit vom 19. Jahrhundert entfernt, nun kehren Sie mit „Im Land der Feuerblume“ in diese Zeit zurück. Was gab den Ausschlag?

Julia Kröhn: Die Geschichte der deutschen Auswanderer in Chile hat mich sehr fasziniert – und diese Geschichte hat sich nunmal im 19. Jahrhundert zugetragen. Es war also die Faszination für eine bestimmte Begebenheit und für das exotische Setting, weniger die Präferenz für eine Epoche an sich, die mich dazu motiviert hat, diesen Roman zu schreiben. Das 19. Jahrhundert ist natürlich eine spannende Zeit – nämlich die eines gewaltigen Umbruchs: in politischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Hinsicht.

Histo-Couch: Die Auswanderung von Deutschen ist ein Thema, das nur vereinzelt in der historischen Literatur auftaucht. Ist es eine Art „Tabuthema“ oder scheint es dem Gross der Autorinnen und Autoren einfach zu uninteressant?

Julia Kröhn: Im Moment scheinen sich sowohl Leser und Autoren in der Tat mehr für Themen zu interessieren, die im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit angesiedelt sind. Man darf aber nicht übersehen, welche Bedeutung die „exotischen Familiensagas“ mittlerweile auf dem Buchmarkt erlangt haben. Diese spielen zwar großteils in Neuseeland, Indien und Australien, und wenn es Auswanderer dorthin verschlägt, dann sind es meistens Engländer – aber das Interesse am Thema „Auswandern“, ob freiwillig oder nicht, ist durchaus gegeben. Ich hoffe darum sehr, mit meinem Buch viele Leser dafür zu begeistern.

Histo-Couch: Sie haben sich sehr intensiv mit den einzelnen Beweggründen und Schicksalen auseinandergesetzt und geben dem Leser die Chance, den Figuren sehr nahe zu kommen. Könnten Sie sich vorstellen, selber in der Haut der Auswanderer zu stecken?

Julia Kröhn: Ich finde den Gedanken faszinierend, in einem fremden Land ganz neu anzufangen und sich dort quasi aus dem Nichts ein Leben aufzubauen. Aber in der Realität wäre ich wahrscheinlich hoffnungslos überfordert, mitten im Urwald zu landen, dort riesengroße Bäume wie die Araukarie fällen zu müssen, mühsam den Boden zu beackern, jahrelang auf die Ernte zu warten, mit einfachsten Mitteln Häuser zu bauen und lange Zeit Hunger zu leiden. Dazu bin ich viel zu verweichlicht/verwöhnt – und letztlich auch zu heimatverbunden. So gern ich Reisen mache – ich freue mich immer, an einen vertrauten Ort zurückzukehren.
Als Autor hat man einen sehr großen Vorteil: Man kann sich in ein anderes Leben hineinversetzen, aber man muss es nicht bis in letzter Konsequenz „erleiden“.

Histo-Couch: Sehen Sie Parallelen zur damaligen Auswanderungswelle und heutigen Migrationsproblemen?

Julia Kröhn: Da gibt es einen großen Unterschied: Die Deutschen siedelten sich in Chile in einem völlig unbewohnten Gebiet an und errichteten dort – abgeschnitten von der Zivilisation – eine Art „Klein-Deutschland“. Wer heute auswandert, findet hingegen immer schon eine funktionierende Infrastruktur vor. Was die Integrationsbereitschaft anbelangt, sind die damaligen Deutschen darum gewiss kein Vorbild – im Gegenteil: den Nationalismus, den sie über Jahrzehnte pflegten, auch das Gefühl einer Überlegenheit gegenüber den Chilenen, gehört zu den sehr negativen Eigenschaften, die manche von ihnen an den Tag legten.

Allerdings kann man sich auch an den Tugenden orientieren, die sie bewiesen haben: Sie haben unglaublich hart gearbeitet und viele Opfer gebracht, um sich und ihren Kindern eine Zukunft zu ermöglichen. Das verdient Respekt – und das kann durchaus ein Vorbild für all jene sein, die zu früh die Hände in den Schoß legen. Man muss etwas wollen, und man muss etwas dafür tun. Das gilt für Auswanderer ebenso wie für alle, die ihr Leben an ein und demselben Ort verbringen.

Histo-Couch: Wieso haben Sie sich gerade für das Auswanderungsland „Chile“ entschieden? War das Zufall oder haben Sie eine besondere Affinität zu diesem Land?

Julia Kröhn: Ich bin vor einigen Jahren nach Chile gereist und habe dort zum ersten Mal von den deutschen Auswanderer erfahren. Das Thema hat mich fasziniert und ist irgendwo in meinem Hinterkopf hängen geblieben. Als ich Jahre später mit dem Gedanken spielte, einen „Auswandererroman“ zu schreiben, war diese Geschichte sofort wieder präsent – und der Zwang, sie niederzuschreiben, übermächtig.

Unabhängig vom Schicksal der Auswanderer: Chile ist ein wunderschönes, vielfältiges, wildes Land, das meines Erachtens zu Unrecht im Schatten prominenterer Reiseziele wie Neuseeland, Australien etc. steht.

Histo-Couch: In „Im Land der Feuerblume“ bleibt vieles ungesagt oder offen – heisst das, dass die Geschichte noch weitergehen wird?

Julia Kröhn: Es wird auf jeden Fall Fortsetzungsbände geben. Der zweite Band „Jenseits von Feuerland“ (erscheint voraussichtlich im Juni 2011) wird die Geschichte von Emilia und Rita, einer Tochter des Mapuche Quidel, erzählen, der dritte Band dann die Geschichte von deren Kindern. Überdies ist mindestens auch noch ein 4. Band geplant. Von fast allen Auswanderern, die in Band 1 auftauchen, wird man zumindest andeutungsweise erfahren, wie es mit ihnen weitergeht.

Histo-Couch: Der neue Roman ist unter einem Pseudonym von Ihnen erschienen, dieses wird aber sehr offen gehandhabt. Wieso erschien er nicht unter Ihrem bekannten Autoren-Namen?

Julia Kröhn: Zum einen hat das damit zu tun, dass die Romane bei unterschiedlichen Verlagen erscheinen: Carla Federico bei Droemer-Knaur, Julia Kröhn bislang bei btb und künftig bei Lübbe. Die klare Abgrenzung verhindert, dass zu gehäuft Bücher unter einem Namen erscheinen, und vereinfacht überdies die Arbeit der Vertreter und Buchhändler.

Davon unabhängig unterscheiden sich die Bücher dieser zwei Autorenidentitäten grundlegend – und zwar nicht nur was die Epoche oder den Schauplatz anbelangt. Als Julia Kröhn arbeite ich mit einer eher altertümlichen Sprache, konzentriere mich auf nur wenige Charaktere und habe eine Vorliebe für sperrige, ambivalente „Typen“, die nicht immer Sympathiefiguren sind. Bei „Carla Federico“ ist das teilweise anders.

Natürlich ist es gut möglich, dass begeisterte Kröhn-Leser auch Carla Federicos Bücher mögen – aber grundsätzlich möchte ich keine falschen Erwartungen wecken, weder in negativer noch in positiver Hinsicht. Zugleich will ich aber auch kein Geheimnis darum machen, wer sich hinter Carla Federico verbirgt – genauso wie ich mit meinen Pseudonymen „Kathrina Till“ und „Leah Cohn“ offen umgehe.

Histo-Couch: Wie schwierig ist es für eine Autorin, sich auf die verschiedenen Geschichtsepochen einzulassen? Immerhin unterstehen die Handlungen dann jeweils ja ganz anderen Gesetzmässigkeiten?

Julia Kröhn: Ich versuche mich immer ganz neu auf eine Geschichte einzulassen – egal wo und wann sie spielt. Jedes Mal bringe ich ein Vorwissen mit, jedes Mal ist aber auch umfangreiche Recherchearbeit notwendig, in deren Verlauf ich langsam mit dem Stoff warm werde. Wenn ich mit dieser Arbeit beginne, fühlt es sich ein wenig so an, als würde ich ein ganz bestimmtes Zimmer in einem Haus betreten. Und in diesem Zimmer befindet sich dann eben Chile im 19. Jahrhundert und nicht Frankreich im Mittelalter – das ist dann ein Stockwerk über oder unter mir, aber dessen Tür bleibt dann fürs erste verschlossen.

Histo-Couch: Ärgert es Sie, wenn Leserinnen oder Leser ihre Version der Ereignisse anzweifeln oder Ihnen vorwerfen, ungenau recherchiert zu haben?

Julia Kröhn: Ehrlich gesagt habe ich das noch nie in krasser Form erlebt. Meine Position ist diesbezüglich aber klar: Intensive Recherche gehört bei jedem Historischen Roman dazu, ist sozusagen die unerlässliche „Hausaufgabe“, und die will ich nicht schlampig, sondern gründlich erledigen. Allerdings muss man immer bedenken, dass man am Ende einen fiktiven Roman schreibt, keine wissenschaftliche Arbeit. Über viel Hintergrundwissen zu verfügen schenkt einem Sicherheit, um ganz in der Geschichte aufzugehen. Klar ist aber auch, dass sich immer kleine Fehler einschleichen können und es immer Wissenslücken gibt, die man mit der Fantasie füllen muss – das Risiko inklusive, dass man dadurch die Wahrheit etwas verfälscht. Damit muss man leben – als Autor wie als Leser.

Histo-Couch: Wann können Sie ihre Figuren in die Eigenständigkeit entlassen? Schon wenn der Roman in einer ersten Fassung vorliegt oder erst, wenn das Buch in den Händen der Leser ist?

Julia Kröhn: Für mich ist die Arbeit an einem Roman „emotional“ abgeschlossen, wenn ich das Manuskript an meine Lektorin schicke. Natürlich beschäftige ich mich nach dem Lektorat noch einmal damit, aber zu diesem Zeitpunkt ist das Buch nicht mehr nur ausschließlich „mein Kind“. Es ist sozusagen in die Welt entlassen – und die Figuren des Buchs gehören dann der Allgemeinheit.

Histo-Couch: Was geht in Ihnen vor, wenn Sie in einer Buchhandlung an einem Stapel Bücher vorbei kommen, die ihren Namen tragen?

Julia Kröhn: Ich freue mich jedes Mal darüber, und es ist zur Gewohnheit geworden, dass ich bei Erscheinen eines neuen Buchs sämtliche Buchhandlungen der Umgebung abklappere und danach Ausschau halte. Allerdings ist auch ein bisschen Distanz dabei. Das fertige Buch zu sehen bedeutet immer auch: Ich werde nie wieder an diesem Roman schreiben. Er ist ein für allemal fertig. Ich werde den Protagonisten nicht mehr so nahe kommen wie während des Schreibprozesses.

Histo-Couch: Was fasziniert Sie gerade an historischen Büchern?

Julia Kröhn: Ich habe mich immer schon für vergangene Epochen interessiert. Schon als Kind liebte ich es, mir in alten Burgruinen Geschichten auszudenken. Nicht zuletzt aufgrund dieser Vorliebe habe ich später u.a. Geschichte studiert. Historische Romane zu schreiben gibt mir die Möglichkeit, ganz tief in die Vergangenheit einzutauchen. Überdies glaube ich, dass uns in diesem Genre die großen Themen der Menschheit – Liebe, Krieg, Krankheit, Tod, Selbstbestimmung, Scheitern – auf eine archaischere und darum existenziellere Weise begegnen als im Alltag der modernen Welt.

Histo-Couch: Worüber würden Sie nie schreiben wollen?

Julia Kröhn: So sehr ich mich für die Vergangenheit interessiere, so wenig fasziniert mich – zumindest als Autorin – die ferne Zukunft. Science Fiction ist das Genre, mit dem ich nichts anfangen kann. Allerdings gilt auch hier das Motto: Sag niemals nie …

Histo-Couch: Haben Sie ein Vorbild?

Julia Kröhn: Was das Schreiben von Romanen anbelangt habe ich nicht das eine große Vorbild. Es gibt immer wieder Autoren und Büchern, von denen ich viel lerne, aber das sind sehr viele und auch vielfältige.

Allerdings habe ich Vorbilder hinsichtlich der Art und Weise, wie man an das Schreiben herangeht und seine Autorenkarriere gestaltet – Kolleginnen nämlich, die jahrelang erfolgreich Bücher veröffentlichen, z.B. Eva Völler (alias Charlotte Thomas), Andrea Schacht, das Autorenpaar „Iny Lorentz“, Ines Thorn u.v.a.m. Sie alle eint, dass sie eine große Leidenschaft für ihren Beruf aufbringen, aber ebenso viel Pragmatismus, dass sie also Disziplin, Ehrgeiz und Schreiblust wunderbar vereinbaren und dass sie einen guten Mittelweg finden, wenn es darum geht, den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, aber auch auf Anregungen von Agenten und Lektoren einzugehen. Sie haben ein gesundes Vertrauen in ihre Fähigkeiten, verzichten aber auf das nervtötende, narzisstische Getue, das man bei kreativen Berufen manchmal leider auch findet. Sie lassen sich weder durch extremem Erfolg noch abfällige Urteile davon abbringen, konsequent und fleißig ihre Arbeit zu tun. Unabhängig davon, was und wie sie es schreiben – so eine Autorin möchte ich auch sein.

Histo-Couch: Hörten Sie als Kind gerne Geschichten ihrer Grossmutter oder anderer älterer Leute?

Julia Kröhn: Oh ja, unbedingt! Ich habe als Kind und Jugendliche stundenlang den Familiengeschichten gelauscht, die meine Großeltern zu erzählen hatten. Ich habe alte Fotos angesehen, Briefe gelesen und von vielen Episoden, z.B. aus dem Krieg, erfahren – und ich habe nichts davon vergessen. Bis heute kenne ich die Geschichte meiner Vorfahren in- und auswendig – und manche Motive haben Einzug in meine Romane gehalten. Mir ist es wichtig zu wissen, von wem ich abstamme, woher ich also komme. Unabhängig davon faszinieren mich fremde Lebensgeschichte, die Frage also, wie Menschen mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen ihr Leben meistern oder daran scheitern.

Das Interview führte Rita Dell’Agnese.

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