Ulf Schiewe

„Das Schreiben hat mich verändert.“

06.2011 Die Histo-Couch im Interview mit Ulf Schiewe über Frankreich, Leserunden und das Beschreiben von Schlachtenszenen.

Histo-Couch: Herr Schiewe, nun ist bereits Ihr zweiter Roman erschienen. Was ist das für ein Gefühl, diese Werke in den Händen zu halten?

Ulf Schiewe: Ich hatte vor meinem ersten Roman nie zuvor im Leben auch nur eine Kurzgeschichte geschrieben, geschweige denn einen 900-Seiten Roman. Wenn man dann vier Jahre lang neben einem anstrengenden Beruf daran geschuftet hat, dazu Verlagssuche, Lektorat und das lange Warten, bis das Buch in den Druck geht, dann ist es schon etwas ganz Besonderes, wenn endlich ein dickes Paket eintrudelt mit Stapeln von säuberlich in Folie eingeschweißten Kopien des eigenen Werks. Das haut einen erstmal um. Man braucht Monate, um sich davon zu erholen.

Beim zweiten Mal hat die Sache schon eher einen professionellen Charakter angenommen. Das Schreiben ist Teil eines neuen Selbstverständnisses geworden. Das macht die Veröffentlichung nicht weniger bedeutsam, aber doch auf eine Art, die schonender für den Kreislauf ist.

Histo-Couch: Ihr erstes Buch „Der Bastard von Tolosa“ spielt ja nicht nur in Südfrankreich, sondern auch in Outremer. Wie kamen Sie dazu, ausgerechnet die Zeit der Kreuzzüge zu wählen?

Ulf Schiewe: Vor Jahren fiel mir ein Roman in die Hand, der den Ersten Kreuzzug zum Inhalt hatte. Es gibt zwar viele Geschichten über Richard Löwenherz und Saladin, aber der Erste Kreuzzug war ja eigentlich das bedeutsamere Ereignis. Ich war jedenfalls fasziniert, habe weiter recherchiert, vor allem Steven Runcimans erschöpfendes Werk über jene Epoche. Das Leid der Bevölkerung und die enormen Verluste auf beiden Seiten, dieses wahnwitzige Unternehmen, am Ende doch noch mit Erfolg gekrönt, dazu die Wirkung, die dies auf die damalige Welt hatte, das hat mich nicht mehr losgelassen.

Es war, mit wenigen Ausnahmen, eine rein französische Anstrengung, wobei das größte Kontingent aus dem Süden Frankreichs kam, unter Führung des Grafen von Toulouse. Naheliegend, meinen Held ebenfalls Provenzale sein zu lassen. Im Roman wird jedoch eher seine Heimkehr thematisiert als der Kreuzzug selbst, weil mich die Frage umtrieb: Was wird aus einem jungen Mann, der sich einst dem Heer angeschlossen, fremde Welten gesehen und Jahre des Krieges durchlebt hat, endlich heimkehrt, älter und erfahrener aber auch mit angekratzter Seele, und sich nun verloren zwischen zwei Welten befindet. Wie empfängt man ihn, findet er sich noch in seiner Heimat zurecht?

Histo-Couch: Im „Bastard von Tolosa“ kommen ja aufgrund des Themas einige Kampf- und Schlachtszenen vor. Wie sind Sie vorgegangen, um dem Leser ein möglichst authentisches Bild zu verschaffen?

Ulf Schiewe: Diese Szenen kommen im Buch natürlich vor. Dennoch ist Krieg nur ein Teil des Romans. Für mich stehen viele andere Dinge im Vordergrund, nicht zuletzt Verlust eines geliebten Menschen, was bedeuten Freundschaft und Familie für meinen Helden, die Lehren aus einem bewegten Leben.

Aber um zur Frage zu kommen, Militärisches hat mich schon immer interessiert, da konnte ich auf einige Leseerfahrungen zurückgreifen. Cornwell und Pressfield schreiben unter anderen sehr beeindruckend über Krieg, letzterer noch realistischer. Ich besitze auch ein faszinierendes Sachbuch, dass intensiv den Kampf in einer griechischen Phalanx (Schlachtreihe) analysiert und beschreibt, wie sich Männer dabei fühlen, diese Mischung aus Wut und Panik, und die starke Bindung zu den Kameraden, die sie zusammenhält und nicht einfach schreiend weglaufen lässt.

Sehr nützlich waren die Untersuchungen eines Militärhistorikers über den Ersten Kreuzzug rein aus militärischer Perspektive, Waffen, Taktik, Belagerungsmethoden beider Seiten, Nachschub und Versorgung, die einzelnen Schlachten, aber auch die Plünderungen und Greueltaten. Ich habe sogar ein wenig über Posttraumatische Störungen gelesen, denn die schrecklichen Erlebnisse werden auch bei den Männern dieser Zeit ihre Spuren hinterlassen haben. Und dazu ein Schuss Vorstellungsvermögen, um all dies dem Leser so vorzuführen, als wäre er dabei. Zumindest war das mein Anspruch.

Histo-Couch: Sowohl im „Bastard von Tolosa“ wie auch in Ihrem neuen Buch „Die Comtessa“, wurde der Hauptpart in Südfrankreich angesiedelt. Was verbindet Sie mit dieser Gegend?

Ulf Schiewe: Ich mag Frankreich, überhaupt den romanischen Teil Europas. Ich habe sechzehn Jahre in französisch-sprechenden Ländern gelebt, spreche außerdem fließend portugiesisch. Sprache und Mentalität sind mir sehr vertraut. Der Süden Frankreichs, überhaupt die Mittelmeerkultur bedeutet mir viel, die Lebensart, der Humor, das Essen, die wunderbaren Landschaften. Dort befindet sich neben Italien das „römische“ Europa, wo das römische Erbe sich mit dem Germanischen verschmolzen hat, um unser Mittelalter zu gebären. Die damalige Provence war reich und kulturell tonangebend. Ich habe dies in manchen kleinen Details im ersten Buch auszudrücken versucht, und auf wieder andere Weise in der „Comtessa“, wo sich Ovid mit Troubadour-Lyrik mischt.

Histo-Couch: War in Ihrem Erstlingswerk ein Kreuzritter der Protagonist, ist es in Ihrem aktuellen Buch eine junge Frau. Wie schwer ist es die Perspektive zu wechseln und in die Seele des anderen Geschlechts zu schlüpfen?

Ulf Schiewe: Wenn ich ehrlich bin, hatte ich mich ein wenig davor gefürchtet. Wie Männer denken und fühlen, ist für einen männlichen Autor nicht schwer nachzuempfinden. Aber wie versetzt man sich überzeugend in die Seele des anderen Geschlechts? Zum Glück bin ich kein ängstlicher Typ, sonst hätte ich es vielleicht gar nicht erst versucht. Was zweifellos geholfen hat, ist die Tatsache, dass ich eine sehr ausdrucksstarke Frau und zwei selbstbewusste Töchter habe. Da bekommt man so Einiges mit, was Frauen bewegt. Trotzdem habe ich mit Bangen einige erste Leserinnen befragt, ob ich danebenliege, ob sie vielleicht irgendetwas in der Darstellung meiner weiblichen Figuren befremdlich oder unnatürlich fanden. Zum Glück gab es bisher keine Klagen aus dieser Richtung.

Histo-Couch: Zum Erscheinungstermin der „Comtessa“ begleiteten Sie auf der Histo-Couch eine Leserunde, bei der sich die Teilnehmer sehr aktiv mit Diskussionen zum Buch beteiligten. Was empfinden Sie als Autor, wenn Sie die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Leser quasi „hautnah“ zu erfahren?

Ulf Schiewe: Ich finde das großartig. Ich beteilige mich sehr gern an diesen Leserunden, denn es ist fast die einzige Möglichkeit, detailliertes Feedback zu bekommen. Ich beantworte gern die weiterführenden Fragen interessierter Leser. Und vor allen Dingen ist es nützlich zu erfahren, wie Leser auf die eine oder andere Szene reagieren, wie sie Figuren beurteilen, ob sie den Ablauf spannend finden, welche Gefühle beim Lesen entstehen. Manche reagieren analytisch, andere sehr emotional. Rundum habe ich aber nur gute Erfahrungen mit Leserunden gemacht.

Histo-Couch: Hat man als Autor auch eine gewisse Angst vor Leserunden, insofern, als dass das Buch vielleicht nicht gut ankommen könnte? Wie gehen Sie generell mit negativer Kritik um?

Ulf Schiewe: Bei einem neuen Buch ist man gewiss etwas aufgeregt und neugierig, wie es ankommen wird. Aber Angst habe ich nicht. Allerdings sind Leser genauso unterschiedlich wie Bücher. Da gibt es entsprechend auch unterschiedliche Reaktionen auf gewisse Inhalte.

Was Kritik betrifft, muss ich sagen, dass ich bisher keine schlechten Erfahrungen gemacht habe. Die allermeisten Teilnehmer benehmen sich wohlwollend und konstruktiv dem Autor gegenüber. So habe ich es jedenfalls erlebt. Schlimm wären Angriffe unter der Gürtellinie, oder wenn ich mich für meinen Schreibstil schämen müsste, wenn mein Buch langweilig wäre. Zu den Geschichten, die ich erfinde, kann ich gut stehen, die habe ich sorgfältig ausgearbeitet. Über wohlmeinende Kritik, wenn sie kommt, denke ich nach und entnehme daraus, was mir nützlich erscheint.

Histo-Couch: Sie sind ja – mit Verlaub – nicht mehr in ganz jugendlichen Jahren. Was hat Sie dazu bewogen, erst relativ spät mit dem Schreiben zu beginnen?

Ulf Schiewe: Das Schreiben war jahrelang so etwas im Hinterkopf, allerdings nur ganz leise. Wie viele Dinge, bei denen man sich gelegentlich sagt, ach, man müsste mal …und tut es dann doch nicht. In diesem Fall kam es aber, dass ich fast drei Jahre lang aus beruflichen Gründen gezwungen war, eine Wochenendehe zu führen. Da war es mir abends in meiner Junggesellenbude zu langweilig, und so habe ich angefangen zu schreiben. Erst nur abends, dann auch im Zug, auf Geschäftsreisen oder morgens früh beim Frühstück. Irgendwann wurde es Teil von mir und ich kam nicht mehr davon los. Das Schreiben hat mich verändert, das Leben hat eine neue Richtung genommen.

Histo-Couch: Nun ist ja eben erst Ihr zweites Buch erschienen, aber haben Sie schon Pläne für ein weiteres Werk und wenn ja, werden Sie die Geschichte wieder in Südfrankreich ansiedeln?

Ulf Schiewe: Im Augenblick gibt es zwei mögliche Projekte, die zum Teil in Planung und Recherche schon recht fortgeschritten sind. Das eine würde sich figurenmäßig an „Die Comtessa“ anschließen, aber ein ganz anderes Thema behandeln. Das zweite ist ein sehr spannendes Szenario irgendwo in Südeuropa, ebenfalls im Mittelalter, allerdings zu einer etwas anderen Zeit. Mehr möchte ich noch nicht verraten.

Histo-Couch: Als Autor wird man auch selber gerne lesen, bevorzugen Sie da auch das Genre der historischen Romane oder variieren Sie da?

Ulf Schiewe: Ich lese ziemlich querbeet. Gerne auch einen Krimi oder guten Thriller, aber neben Sachbüchern besteht ein Gutteil meines Lesestoffs tatsächlich aus historischen Romanen, da mich Geschichte an sich interessiert. Ein guter Roman kann ja doch mehr als nur nackte Tatsachen vermitteln. Aber ich verlange schon, dass der Autor in punkto Fakten seine Hausaufgaben macht und seine Leser nicht verschaukelt.

Histo-Couch: Gibt es Autoren die Sie inspirieren oder sogar als Vorbild fungieren?

Ulf Schiewe: Es gibt eine Handvoll Autoren, die mir als Leser mehr als andere liegen. Aber Vorbild? Da bin ich doch zu vorsichtig, mich in irgendeine Richtung drängen zu lassen. Ich möchte kein Abklatsch eines Anderen werden, genauso wenig wie ich auf Trends im Buchmarkt schiele.

Trotzdem profitiert man als Autor durch das Lesen. Ich finde, jeder hat so seine Stärken und Schwächen. Der Eine erzählt sehr spannend, nur der Stil hinkt ein wenig. Der Andere schreibt über interessante Dinge, aber es zieht sich alles zu lang dahin. Wieder einer ist Meister in Kriegsbeschreibungen, aber das Gefühl bleibt auf der Strecke, oder umgekehrt. Man kann ja überall etwas lernen. Und das ist auch ganz wichtig. Aber am Ende muss jeder Autor seine eigene Stimme finden.

Histo-Couch: Herr Schiewe, ganz herzlichen Dank für das Interview und weiterhin viel Inspiration für Ihre weiteren Werke!

Das Interview führte Daniela Loisl.

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