Charlotte Thomas

„Ich lerne auch heute immer noch beim Romaneschreiben dazu.“

04.2010 Die Histo-Couch im Interview mit Charlotte Thomas über Venedig, das Theater und eigene Bühnenerfahrungen.

Histo-Couch: Frau Thomas, wie seine drei Vorgänger spielt auch ihr neuer Roman „Der König der Komödianten“ größtenteils in Venedig. Warum Venedig? Was fasziniert Sie so an dieser Stadt?

Charlotte Thomas: An Venedig fasziniert nicht nur die besondere Geschichte. Bis zur Eroberung durch Napoleon war der Dogenrepublik das einzigartige Kunststück gelungen, sich über circa tausend Jahre hinweg einen eigenständigen Staat zu erhalten. Jahrhunderte lang war Venedig die größte See- und Handelsmacht der Welt. Von dem märchenhaften Reichtum der damaligen Zeit zeugen heute noch die prachtvollen Gebäude und Kunstschätze. Geradezu betörend an Venedig ist jedoch die Lage inmitten einer Lagune, mit herrlichen Palästen und Kirchen, die buchstäblich im Wasser erbaut worden sind und die Zeiten überdauert haben. Hier lebt die Geschichte förmlich weiter. Erkunden lässt sich die Stadt wie vor fünfhundert Jahren nur zu Fuß oder mit dem Boot, sodass es für den Betrachter auf fast magische Weise so aussieht, als sei die Zeit stehengeblieben.

Histo-Couch: Waren Sie selbst in Venedig? Wie lange recherchieren Sie vor Ort für ein Buch?

Charlotte Thomas: In Venedig war ich schon öfter, auch diesen Frühling fahre ich wieder hin und freue mich schon sehr darauf.
Wegen der Familie kann der Aufenthalt allerdings immer nur wenige Tage dauern, höchstens eine Woche. Diese Zeit ist dann natürlich randvoll mit Rechercheaktivitäten, denn jeder Tag wird zum Besichtigen von Schauplätzen genutzt.

Histo-Couch: Ein weiterer Ort der Handlung ist Padua. Waren Sie auch dort, und wie wichtig ist generell die Recherche vor Ort?

Charlotte Thomas: Ja, Padua wurde auch schon besichtigt, und in ein paar Wochen ist es wieder so weit, weil mein nächster Roman auch dort spielt. Die Stadt ist ja nicht weit von Venedig entfernt.
Generell ist die Recherche vor Ort schon sehr wichtig, vor allem dann, wenn – wie bei Venedig – die historischen Stätten noch in großem Umfang erhalten sind. Als Autor kann man es sich nicht entgehen lassen, vor Ort die besondere Atmosphäre auf sich wirken zu lassen. Natürlich kann ich als alleinerziehende Mutter von schulpflichtigen Kindern nicht beliebig in der Weltgeschichte herumjetten und muss mir sorgfältig aussuchen, wann und wohin ich reise.
Aber wenn es irgendwie geht, versuche ich mindestens einmal im Jahr eine Recherchereise zu unternehmen. Dass es in meinem Fall in den letzten Jahren „nur“ um das Veneto ging, ist dabei natürlich praktisch, denn dorthin braucht man nicht so lange. Für künftige Romane sind jedoch auch entferntere Schauplätze angedacht, wo ich noch nicht war. Da kommen sicher noch einige Reiseabenteuer auf mich zu.

Histo-Couch: Das Buch spielt auf den Brettern, die die Welt bedeuten. War es schwer, sich in die Commedia dell´Arte zu begeben, die ja heute so nicht mehr praktiziert wird?

Charlotte Thomas: So schwer war es nicht, denn die Commedia dell’arte ist nicht etwa ausgestorben.
In Oberitalien etwa gehört sie – meist anlässlich historischer Stadtfeste – oft als Straßentheater zum festen Unterhaltungsrepertoire.
Auch in der Schauspielausbildung hat sie noch ihren Platz, denn sie bietet die Möglichkeit, aufgrund der Rollenklischees „Typen“ einzustudieren, die nach Kostüm und Charakter feststehen, aber durch eigene Interpretation und Improvisation an Individualität gewinnen.
Die Commedia dell’arte umfasst ja als eine über Jahrhunderte gewachsene Theaterkunstform die ganze Bandbreite der Schauspielerei: Dialog und Monolog, Tanz und Gesang, Kostümierung und Maskierung.
Noch ein Tipp: Falls jemand so rein gar keine Vorstellung von der Commedia dell’arte hat – ein kurzer Besuch bei youtube kann hier Abhilfe schaffen. Es sei denn, man hat irgendwann Gelegenheit, die Aufführung eines italienischen Straßentheaters in natura zu sehen.

Histo-Couch: Reizt es Sie nicht, nachdem Sie sich jetzt so intensiv mit dem Theater beschäftigt haben, selber mal ein Stück für die Bühne zu schreiben?

Charlotte Thomas: Das Schreiben von Theaterstücken ist eine Wissenschaft für sich. Im wahrsten Sinne des Wortes, deshalb gibt es ja auch Theaterwissenschaft als komplettes Studium. Sich den dafür nötigen Background mitsamt allen ausgefeilten Techniken mal eben so selbst beizubringen, halte ich für ziemlich unmöglich. Ich lerne ja auch heute, nach all den Jahren, immer noch beim Romaneschreiben dazu, und ich kann darüber nur eines sicher sagen: Es ist verflixt schwierig. Deshalb werde ich, was das Theater angeht, daran weiterhin freudig-bescheiden aus der Laienperspektive teilhaben.

Histo-Couch: Sie schreiben über Marco Ziani, der ein Stück schreibt und dieses etliche Male umwirft. War es nicht schwer, da den Überblick zu behalten? Wie geht man an so etwas heran?

Charlotte Thomas: Das war in diesem Falle recht einfach – frei nach dem Motto: Schlag nach bei Shakespeare! Was liegt näher, als beim Altmeister, dem berühmtesten Komödiendichter aller Zeiten, persönlich abzugucken?
Wir schreiben das Jahr 1594. Als Zeitgenosse von unserem Helden Marco Ziani drängt Shakespeare sich förmlich als Inspiration auf. Es wäre gewissermaßen sträflich gewesen, ihn außen vor zu lassen. Also spielt er mit, wenn auch nur im Hintergrund.
Marco muss unbedingt ein neues Theaterstück schreiben, sonst droht der Schauspieltruppe der Ruin. Der junge Mann gibt folglich sein Bestes, aber aller Anfang ist schwer. Doch da ist dieser nette theaterbegeisterte Engländer namens Henry, der ihm Mut macht, indem er ihm oft von seinem guten Londoner Freund Will erzählt...
Marcos erster Versuch handelt von einem eifersüchtigen Mauren. Der zweite von einem verpfändeten Zeh. Da wird es sicher bei manchem Shakespeare-Fan schon klingeln. Und dann kommt der Schwenk auf den dritten und letzten Versuch. Dieses Stück erzählt nun, wiederum kein Zufall, zugleich die Geschichte von Marcos eigenem Leben. Mehr soll aber hier nicht verraten werden.

Histo-Couch: Entwickelt man so eine Geschichte wie das Theaterstück dann quasi rückwärts? Dass man also erst die Endfassung hat und sich dann überlegt, wie es dazu gekommen ist?

Charlotte Thomas: Den Ausgang des Romans kannte ich vorher, auch das Stück, dass unser Held schreiben muss. Die Schlussszene, in der Stück und Roman gemeinsam enden, hatte ich schon bei der Planung der Story ganz plastisch vor Augen. Aber der Weg dahin fängt bei mir immer vorne an, d. h. den Entwurf des Plots beginne ich wie bei einer Wanderung mit dem ersten Schritt und arbeite mich chronologisch vor – immer das Ziel im Blick, aber überall an angebrachter Stelle Hürden errichtend, ab und zu auch mal eine Sackgasse. So kann ich die Geschichte beim Schreiben aus Sicht des Helden selbst nachempfinden, genau wie der Leser sie später idealerweise erleben soll.

Histo-Couch: Haben Sie selber Bühnenerfahrung? Fällt es Ihnen leicht, Texte auswendig zu lernen?

Charlotte Thomas: Meine eigene Bühnenerfahrung beschränkt sich auf eine winzige Nebenrolle bei einer Schulaufführung in der sechsten Klasse. Seitdem weiß ich eines ganz sicher: An mir ist kein Schauspieler verloren gegangen. Ich hatte nur einen Satz zu sprechen, bin aber trotzdem fast vor Lampenfieber gestorben. Für den Rest meines Lebens habe ich daher die Rolle des Zuschauers gewählt.
Texte konnte ich immer halbwegs ordentlich auswendig lernen – und sie auch genau so leicht wieder vergessen. Es kam ganz darauf an, ob und wie lange ich sie hinterher benötigte. Am leichtesten konnte ich mir folglich Gesetzestexte merken, denn die brauchte ich für meinen Beruf. Wobei einem die Schauspielerei allerdings nicht das Geringste nützte …

Histo-Couch: Gibt es eine der Figuren im Roman, die Ihnen besonders am Herzen liegt oder die vielleicht auch einige Charakterzüge von Ihnen selber trägt?

Charlotte Thomas: Unter all den Figuren im Roman ist natürlich der Hauptdarsteller Marco derjenige, dem meine größte Sympathie gilt und dem ich mich am stärksten verbunden fühle. Was vermutlich daran liegt, dass sich in dem Buch vieles ums Schreiben dreht. Um die Sorgen und Ängste und Nöte, aber auch um die Freude und die Begeisterung, die das Autorendasein so mit sich bringt. Und natürlich erinnere ich mich noch sehr gut, wie beschwerlich der Weg zum ersten eigenen Werk ist und was für ein Kampf oft dahintersteckt, eine unterhaltsame Geschichte zu erzählen. Davon ist viel in diese Story geflossen. Deshalb ist mir Marco auch sehr ans Herz gewachsen, denn seine Empfindungen beim Schreiben waren sozusagen typisch: Kein Autor wird jemals vergessen, wie er sich als Anfänger gefühlt hat, die meisten Schriftsteller haben dazu augenzwinkernde Anekdoten auf Lager. Insofern wird sich jeder, der sich je am Schreiben versucht hat, wahrscheinlich ein Stück weit in dieser Figur wiederfinden.

Histo-Couch: Können Sie sich zum „König der Komödianten“ eine Fortsetzung vorstellen?

Charlotte Thomas: Nein, zu dem Buch kann ich mir keine Fortsetzung vorstellen. Ich bin sowieso kein Freund von Fortsetzungen, jedenfalls nicht bei meinen Büchern. Viele Geschichten verlieren ein Stück von ihrem Zauber, wenn sie weitererzählt werden, deshalb finde ich es für mich persönlich immer am zufriedenstellendsten, an dem Punkt aufzuhören, wo es am schönsten ist – beim Happy End.

Histo-Couch: Besonders auffällig und von vielen Lesern bereits gelobt ist das Cover des Romans. Hatten Sie da Einfluss drauf?

Charlotte Thomas: Auf das Cover hatte ich insofern Einfluss, als mir vorher die Entwürfe gezeigt wurden und ich zusätzliche Vorschläge zur Gestaltung einbringen konnte. Die Motive hatte hier Jan Balaz beigesteuert, der auch die wundervollen Innenillustrationen gezeichnet hat. Das Gesamtergebnis, innen wie außen, ist so schön geworden, dass es meine kühnsten Vorstellungen übertroffen hat. Illustrator und Verlagsgraphiker haben hier Großartiges geleistet, ich bin sehr glücklich über die ungewöhnliche und ins Auge fallende Aufmachung!

Histo-Couch: Sie erwähnten, dass ihr nächster Roman in Padua spielen wird. Können – und dürfen – Sie uns schon mehr darüber verraten, und vielleicht auch darüber hinaus?

Charlotte Thomas: In dem Roman, an dem ich gerade schreibe, geht es um das Studentenleben um das Jahr 1600 herum, in diesem Fall an der Universität von Padua. Diese war zu jener Zeit eine der wichtigsten Bildungsstätten der ganzen Welt. In Padua war man den übrigen europäischen Universitäten teilweise um Jahrzehnte voraus. Wer auf sich hielt, ging zum Studium nach Padua, denn die Voraussetzungen, akademisches Wissen zu erwerben, waren hier ideal. Höchste wissenschaftliche Kapazitäten versammelten sich dort, von den Kathedern lehrten die berühmtesten Dozenten, unter ihnen z. B. Galileo. Die Studenten kamen aus ganz Europa, später sogar auch aus der Neuen Welt. Bei der Recherche zu dem Roman stieß ich auf eine Fülle faszinierender zeitgeschichtlicher Informationen, anhand derer festzustellen war, dass das damalige Bildungssystem bereits verblüffend modern ausgestaltet war. So besaß Padua das erste fest eingerichtete anatomische Theater der Welt, wo regelmäßig anspruchsvolle Lehrsektionen durchgeführt wurden, während im übrigen Europa dergleichen z. T. noch undenkbar war.
Allerdings ist all das nur der Hintergrund für die eigentliche Geschichte, die sich wie immer um Liebe, Intrigen, Verwicklungen und alte Familiengeheimnisse dreht. Genaueres müssen dann die Leser selbst herausfinden, sobald der Roman im nächsten Jahr erscheint.

Das Interview führte Carsten Jaehner.

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