Gisbert Haefs

„Reich-Ranicki mag das nicht“ – „Dann erst recht!“

02.2010 Die Histo-Couch im Interview mit Gisbert Haefs, über seinen neuen 'Road-Movie-Roman’ „Die Rache des Kaisers“, sinnvolle Kürzungen am Skript und die Entstehung von magischen Sphären.

Histo-Couch: Herr Haefs, wie sind Sie zum Schreiben gekommen?

Gisbert Haefs: Naja, das ist eigentlich so eine Entwicklung, die einfach da war. Genau wie ein Klavierspieler halt irgendwann weiß, dass er Pianist werden will. So war das bei mir mit dem Schreiben. Mit 13-14 Jahren wusste ich das einfach: Ich habe dann zuerst ein für mich unbefriedigenden Karl-May-Roman-Ende umgeschrieben, dann Interesse an der Kombination aus Text und Musik als Betätigungsfeld entdeckt, bis hin zu der Verfassung von Chansons, die dann übrigens in einer schlecht verkauften LP geendet haben und schließlich irgendwann festgestellt, dass man davon nicht so recht leben kann. 1980/81 bin ich dann bei der Prosa gelandet, habe viele Sachen gemacht, meine eigenen Werke, kleinere freie Aufträge vom Rundfunk und Übersetzungen erledigt, was ich aber sukzessive zurückgefahren habe, als dann die Romanschreiberei nach und nach erfolgreicher wurde.

Histo-Couch: Ist die Verwirklichung Ihres Kindheitstraums, Schriftsteller zu werden, auch aus der heutigen Perspektive betrachtet noch der Kindheitstraum von damals?

Gisbert Haefs: Das, was ich heute mache, kann ich eigentlich schon als Verwirklichung meines Kindheitstraums bezeichnen, auch wenn es mitunter regelmäßig eine Arbeitswoche von 70 Stunden bedeutet. Das ist mir aber allemal lieber, als 40 Stunden auf Kommando zu arbeiten.

Histo-Couch: Wie kamen Sie nach so erfolgreichen Krimibüchern mit Ihrem „Universaldilletanten“ Baltasar Matzbach und Science-Fiction-Geschichten um Dante Barakuda oder auch den Agenten wider Willen Mario Guderian zum Genre des historischen Romans?

Gisbert Haefs: Das ging eigentlich schon ziemlich schnell parallel nebeneinander her. Angefangen hatte ich mit Krimis, daneben Science Fiction und meinem Lieblingsthema, den einfachen Erzählungen, wobei man damit halt einfach auch nicht seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Ja, und da saß ich dann im Jahre 1987 in meiner Ecke und habe überlegt, was ich denn nun machen könnte: Immer Krimis, Science-Fiction und Erzählungen wird ja mit der Zeit langweilig. Der große Gegenwartsroman, neee, will ich nicht, was ist denn eigentlich mit historischen Romanen? Hat mich immer interessiert, mein kleiner Mann im Ohr sagte mir „Reich-Ranicki mag das nicht“, darauf hin sagte ich: „dann erst recht“.

Als erstes fiel mir dann „Hannibal“ ein, der ja als Figur recht interessant ist und aber halt auch als Schlüssel zu einer ganz wichtigen Umbruchsituation der Geschichte für mich wichtig war. Die Frage war dann, ob ich es schaffen würde, die Geschichte so zu schreiben, dass es für die Leserschaft interessant genug sein würde. Das stieß letztendlich doch auf Zustimmung und Interesse und so bin ich dann beim historischen Roman geblieben, ohne jetzt die anderen Genres komplett aufzugeben. So lasse ich mich heute von dem treiben, was mir einfällt und wozu ich gerade Lust habe, egal in welches Genre das fertige Werk dann letztendlich einzusortieren ist.

Histo-Couch: Bei „Die Rache des Kaisers“ ziehen Sie einen Kreis zwischen Kaiserkrönung, Bauernkrieg, Sacco di Roma und der ersten Belagerung Wiens durch die Türken in wenig mehr als 400 Seiten. Eine selbstbewusste Entscheidung, auch wenn viele Histofans gerne dickere Schmöker bevorzugen!

Gisbert Haefs: Ich bin der Meinung, dass ein Thema seine eigene Form und seine eigene Länge schafft. Die quasi autobiographische Aufzeichnung des Protagonisten Jakob Spengler war einfach mit diesen 400 Seiten erledigt. Weniger wäre bei der Menge an historischen Schauplätzen nicht möglich gewesen und mehr muss ja nicht sein, nur damit meine Leserschaft mittendrin eventuell dann die große Langeweile befällt. Ich verfahre nach dem Motto „Wenn Du etwas mit 4 Worten sagen willst, dann sag es mit 2 und nimm davon das Kürzere“.

Histo-Couch: Mit „Hannibal“, „Alexander der Große“, „Troja“ und „Cäsar“ schrieben Sie zuletzt über die ganz großen Männer und Ereignisse der Geschichte. Mit „Die Rache des Kaisers“ behandeln Sie vordergründig ja „nur“ einfache Personen. Wie kamen Sie zum Thema, zumal Sie bislang ja eher in der Antike zu Hause waren?

Gisbert Haefs: Der entscheidende Tipp kam eigentlich durch ein Gespräch mit Bekannten vor Jahren. Irgendwann kamen wir auf das Stichwort „Renaissance“ zu sprechen und haben überlegt, was wissen wir über diese Zeit. Leonardo Da Vinci, Michelangelo, klar, weiß jeder, aber eigentlich war da ja noch viel mehr los. Ich las mich in die Zeit ein, um Lücken zu schließen und habe schnell gemerkt, dass da innerhalb von gerade einmal 10 Jahren – die Selbsterwählung König Karl V. zum Kaiser 1520, Bauernkrieg 1524-1526, Sacco di Roma 1527 und die erste Belagerung Wiens durch die Türken 1529 – so unglaublich viel weltbewegende Geschichte geschrieben wurde. Fast zu viel für nur einen Roman.

Histo-Couch: Gab es Vorbilder für die Person Jakob Spengler?

Gisbert Haefs: Nein. Das Problem war, die bereits erwähnten Ereignisse miteinander zu verbinden. Ich brauchte also einen Protagonisten, der plausibel an allen Geschehnissen teilnehmen konnte. Der genügend Geld hatte, um überall hinzukommen, aber gleichzeitig auch ein starkes Motiv hatte, in genau diese Katastrophen hinein zu geraten. Jeder vernünftige Mensch wäre ja diesen Geschehnissen eher ausgewichen. Dieses mittelalterliche „Roadmovie“ brauchte genau solch eine „Rache-Story“, um plausibel zu erklären, wie eine Gruppe von Menschen immer gerade diese Brennpunkte auswählte.

Histo-Couch: Die Geschichte des zwischen Liebe und Hass stehenden Rächers Jakob Spengler ist einerseits vielleicht eher ein Roman für die männliche Leserschaft, andererseits beinhaltet er doch auch eine weibliche Seele. Wen sehen Sie als Ihr Zielpublikum?

Gisbert Haefs: Primär wichtig ist nicht, welche Lesergruppe das Buch lesen wird. Ich versuche, ein Publikum zu erreichen, das sprachlich kompetente Unterhaltungsliteratur mag. Wenn mir das gelingt bin ich zufrieden.

Histo-Couch: Ihr Roman hat sehr viele Schauplätze. Wie sah Ihre Recherche dafür aus, besuchten Sie die Originalschauplätze?

Gisbert Haefs: Teils-teils. Viele Orte sehen heutzutage gar nicht mehr so aus, wie sie damals aussahen. Da, wo es sich lohnt, ist es aber sehr sinnvoll. Natürlich fließen Erfahrungen von früher auch mit ein. Ich war vor Jahren schon mal in Rom, was ausreichte. Da muss man dann nicht noch einmal extra nach Rom fahren. Sehr viel wichtiger ist die Recherche in und mit Büchern.

Histo-Couch: Welche Unterschiede sehen Sie zwischen dem Schreiben von Krimis, Science Fiction und historischem Roman beispielsweise bezüglich Recherche-Aufwand, Freiheitsgraden, usw...?

Gisbert Haefs: Handwerklich, was die Fakten des Buches angeht, sind die Unterschiede praktisch nicht vorhanden. Sie müssen glaubhafte Personen glaubhafte Dialoge sprechen lassen und alles so mit den Hintergründen verzahnen, dass es nicht bloß eine seitenlange Beschreibung der Situation und einen kurzen Dialog als Abschluss dazu gibt.

Natürlich gibt es verschiedene Bezugsrahmen; beispielsweise sind beim historischen Roman die Angaben in Meilen oder Anzahl an Tagesmärschen zu machen, während beim Science Fiction in Lichtjahren gemessen wird. Auch ist beim historischen Roman der Rechercheaufwand einfach größer als bei anderen Genres. Andererseits tritt das Problem ja schon bei den Gegenwartsromanen auf. Ich hatte da etwa 1985 ein Buch gelesen, wo ein Protagonist gerade von Berlin nach Köln geflogen war und beim Ausstieg dann sagte, dass der Kaffee der Lufthansa auch dieses Mal wieder so schlecht war wie immer. Da muss ich dann inhaltlich leider aussteigen, denn 1985 hatte die Lufthansa überhaupt keine Landerechte in Berlin, sondern nur die 4 Siegermächte. Man sieht also, es gibt nicht nur bei den historischen Romanen diese berüchtigten „Kartoffeln-im-12.-Jahrhundert“ – Fettnäpfchen.

Histo-Couch: Was bedeutet Ihnen die Arbeit als Herausgeber und Übersetzer neben Ihrer eigenen (und seit 20 Jahren auch überwiegenden) Arbeit als Autor?

Gisbert Haefs: Was ich an Übersetzungen noch mache, sind Sachen, bei denen ich nicht widerstehen kann: Beschäftigungen mit einem Lieblingsthema, technischen Herausforderungen oder eine Fortsetzung alter Sachen. Ich habe beispielsweise in den 80ern die große „Jorge-Luis-Borges“-Ausgabe herausgegeben und wenn da jetzt noch was zu tun ist, werde ich vom Hansa-Verlag gefragt und dann mache ich das natürlich auch weiterhin. Oder auch die Übersetzung von sämtlichen Chansons-Texten von Georges Brassens oder Liedtexten von Bob Dylan: Eher eine Herzenssache, denn Auftrag für mich. Natürlich habe ich das gerne gemacht.

Histo-Couch: Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was wünschten Sie sich von Ihren Histo-Lesern?

Gisbert Haefs: Die Mitwirkung des Lesers besteht darin, seinen Zweifel während der Lektüre auszuschalten. Gleichzeitig ist es aber die Aufgabe des Autors, dies zu ermöglichen. Zurückkommend auf das vorherige Beispiel mit der Lufthansa in Berlin in den 80ern bedeutet dieser handwerkliche Fehler, dass die bestehende „magische Sphäre“, die beim Eintauchen in die Geschichte des Buches zwischen dem Leser, Autor und Buch entsteht, gestört oder sogar ganz kaputt gemacht wird. Also ist es weniger ein Wunsch an die Leser, als vielmehr der Wunsch an mich selbst und die Kollegen, solche Fehler vermeiden zu können, damit die Leserschaft (und ich bin ja bisweilen selbst auch kritischer Leser) nicht in die Situation kommt, ein Buch nicht zu Ende lesen zu können. Gleichwohl ist es trotzdem mein Wunsch an die Leser, wenn möglich, eigene Zweifel während der Lektüre hinten dran zu stellen, was ja gleichzeitig nicht ausschließt, hinterher seine Zweifel dann loszuwerden.

Histo-Couch: Wie ist das Gefühl, wenn Sie ein neues Buch auf den Markt gebracht haben? Ist das noch zu vergleichen mit der Situation damals 1981, als Sie Ihren ersten Roman „Mord auf dem Millionenhügel“ veröfffentlichten?

Gisbert Haefs: Das ist natürlich schon eine große Erleichterung gewesen – und ein großer Kraftakt, weil es einen Abgabetermin gab, damit das Buch noch in die Jurywertung zum „Edgar-Wallace-Preis“ vom Goldmann-Verlag 1980/81 kam (G. Haefs erlangte mit dem genannten Roman den 3. Platz, Anm. d. Red.) und mir wollte der Plot des Buches bis 10 Tage vor Redaktionsschluss einfach nicht einfallen. So habe ich also den Roman in 10 Tagen schreiben und ganz zum Schluss noch den Spätschalter der Post um einen deutlichen Datumsstempel auf dem Umschlag bitten müssen, damit das noch geklappt hat. Das war also schon eine ganze besondere Sache, damals.

Im Grunde genommen war das aber nicht mein erster Roman, denn auch ich hatte zuvor schon einmal einen Roman von einem Verlag zurückgeschickt bekommen. Und es gab auch Werke, die bereits meiner kritischen Begutachtung nicht standgehalten haben und schon gar nicht bis zum Versand zum Verlag gekommen sind. Natürlich hat sich auch das Handwerk mit der Zeit verändert. Früher musste ich viele Dinge streichen, was ich heute aus der gesammelten Erfahrung gleich gar nicht mehr aufschreiben würde.

Histo-Couch: Waren Sie als Kind eine Leseratte?

Gisbert Haefs: Ja, natürlich. Ich hatte das große Privileg, dass, wann immer ich krank war und im Bett bleiben musste, jemand von meiner Familie kam, um mir vorzulesen. Am schönsten war, wenn mein Großvater sich zu mir auf die Bettkante setzte und mir Grimm’s Märchen erzählte. Erzählte, nicht vorlas. Das habe ich auch erst später begriffen, was es bedeutet, etwas frei erzählen zu können. Vielleicht auch ein Grund, dass bei mir der Wunsch aufkam, selbst große Erzählungen zu schreiben.

Histo-Couch: Aus einem Interview vom Juni 2002 ist zu entnehmen, dass Sie den „Ausbruch des Monotheismus, als schlimmste aller Katastrophen bezeichnen...“ (Buchkritik.at, Anm. d. Red.)

Gisbert Haefs: Heute würde ich sagen, dass die Erfindung des Monotheismus die schlimmste aller Katastrophen ist, denn meiner Meinung nach ist es eine Menschenerfindung um das Unerklärliche zu erklären und den Menschen weiszumachen, dass es nach dem Tod noch etwas gibt, was wiederum ein gutes Mittel ist, die Menschen zu disziplinieren und zu manipulieren. Und das ist die eigentliche Katastrophe, wobei damit nicht gesagt sein soll, dass die Konzepte von Martin Luther die unbedingt besseren Mittel waren. So war er überhaupt nicht der große Weltreformer und Bauernkriegsbefürworter – ganz im Gegenteil – sondern letztendlich nur der Kritiker des Papstes, dessen Bevormundung des Volks im Namen Christus das eigentlich Schlechte ist.

Mit einem reichlich schrägen Grinsen im Gesicht lese ich mal wieder Aldous Huxley’s „Brave New World“, wo die Menschen bevormundet und entmündigt werden und das Bedürfnis zum kritischen Denken und Hinterfragen der Weltordnung verloren geht. Szenarien die auch in der jüngeren Zeit (Prohibition in den USA, Kontrollwahn der Staaten gegenüber ihren Bürgern, z.B. Nacktscanner, Zugriff auf Kontendaten aller Bewohner, genetischer Fingerabdruck,...) wieder verstärkt zum Vorschein kommen. Und da schließt sich dann der Kreis wiederum.

Histo-Couch: Sind schon neue Projekte geplant? Können Sie davon schon etwas preisgeben?

Gisbert Haefs: Immer! Was schon kein Geheimnis mehr ist, weil es in diesen Tagen beim Suhrkamp / Insel-Verlag erscheint, ist eine neue Fassung von Shakespeares „König Lear“ („Die Geschichte von König Lear“), die ich komplett neu in eine Prosa-Textfassung übersetzt habe (abgesehen von den paar Versen, die zwischendurch gesungen werden). Wobei der komplette Shakespeare-Text enthalten ist und nur ein Textgerüst drumherum gebaut wurde, um den schwierig zu lesenden Dialogtext des Originals in ein verständlicheres Erzählungs-Schema zu bringen. Eine große technische Herausforderung, wo ich gespannt auf Reaktionen warte.

Außerdem möchte ich nochmals auf das Thema „Karthago“ zurückkommen. Deshalb wird im Herbst 2010 noch ein dritter Krimi-Teil, nämlich „Die Mörder von Karthago“ erscheinen. Da sitze ich aktuell drüber.

Histo-Couch: Herzlichen Dank für das Interview.

Das Interview wurde geführt von Volker Faßnacht.

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