Alex Beer

07.2020 Die Histo-Couch im Interview mit Alex Beer über das Wien der 1920er Jahre, Berichte über Waisenhäuser und die Auswahl des Tages.

"Mein Privatleben ist der Gegenpol zu meinem Arbeitsleben"

Histo-Couch: Frau Beer, Sie haben einen interessanten Lebenslauf vorzuweisen. Vom Projektmanagement über Archäologie bis zum Fotoverlag war einiges dabei. Wann kam der Wunsch, Bücher zu schreiben hinzu?

Alex Beer: Die Idee kam eigentlich recht spät, da war ich bereits Anfang 30. Ich habe mich in dem Augenblick ernsthaft gefragt, warum ich nicht schon viel früher draufgekommen bin, zu schreiben – immerhin waren Bücher schon immer meine große Leidenschaft.

Histo-Couch: Als Daniela Larcher haben Sie bereits 2008 Cosy Crimes veröffentlicht. Gibt es noch weitere Ausflüge in verschiedene Genres? Wünschen Sie sich vielleicht noch einen?

Alex Beer: Ich liebe (historische) Abenteuerromane und finde auch Thriller sehr reizvoll. An und für sich würde ich sehr gerne ein paar Ausflüge in diese Genres machen, doch leider fehlt mir momentan die Zeit dafür (August Emmerich und Isaak Rubinstein halten mich sehr auf Trab). Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Histo-Couch: Was war das Ausschlaggebende, für die Krimiserie um August Emmerich die Epoche der 20-er Jahre in Wien zu wählen?

Alex Beer: Die Epoche der Ersten Republik fand ich äußerst spannend, da sie weniger bekannt ist als z.B. die k.u.k. (Anm. kaiserlich und königlich) Zeit oder die Phase des Zweiten Weltkriegs. Außerdem ist es eine sehr düstere und gleichzeitig aufregende Zeit. Wien war damals sehr desolat. Es gab zu wenig Wohnraum und Arbeit, Krankheiten grassierten (Typhus, Cholera, Tuberkulose ...), die Menschen hungerten und froren, und die Nachwehen des Kriegs waren überall spürbar.

Histo-Couch: Emmerich ist ein typischer Zeitgenosse in Wien. Kriegsversehrt kämpft er sich durch die Anforderungen seines Alltags. Wie nähert man sich der Zeit und dem Empfinden der Menschen an?

Alex Beer: Am besten gelingt mir das durch das Studium diverser (Auto-)Biografien, zudem lese ich so viele zeitgenössische Zeitungen und Magazine wie möglich. Eine große Hilfe sind z.B. die Aufzeichnungen des Journalisten Max Winter, einem der Vorreiter der Sozialreportage.

Histo-Couch: Emmerich hat eine harte Vorgeschichte im Waisenhaus, die ihn mit einem der Großen der Unterwelt zusammenbringt. Veit Kolja hat ebenfalls viele Facetten. War er ein Produkt der Recherche?

Alex Beer: Bevor ich mit dem Schreiben des ersten Bandes (Der zweite Reiter) begonnen habe, habe ich viele Monate recherchiert, um meinen Protagonisten zu einem Kind seiner Zeit zu machen. Ein Bericht über die Zustände in den öffentlichen Waisenhäusern hat mich ganz besonders erschreckt, und ich habe mich gefragt: Wie entwickelt sich jemand, der so eine harte Kindheit hatte? Emmerich und Kolja sind zwei mögliche Antworten auf diese Frage. Emmerich wurde zynisch und zu einem Verfechter der Schwachen und Armen. Kolja hat einen anderen Weg eingeschlagen und wurde zu einem skrupellosen Opportunisten.

Histo-Couch: Emmerichs Fälle dauern meistens nicht länger als zwei Wochen. Die Zeit ist immer ein großer Gegner. Der temporeiche Erzählstil treibt den Leser voran. Ist Ihr Privatleben ebenfalls turbulent?

Alex Beer: Im Gegenteil. Mein Privatleben ist der Gegenpol zu meinem Arbeitsleben. Die Arbeit als Schriftstellerin ist nämlich oft sehr aufregend: Ich muss z.B. häufig zu Lesungen, Preisverleihungen und Interviews reisen, Deadlines sind oft hart einzuhalten, dazu kommt die Nervosität vor jeder Veröffentlichung (werden die LeserInnen und KritikerInnen das Buch mögen?). Ich brauche daher dringend einen Ort/eine Zeit, in der ich mich davon erholen und mich erden kann.

Histo-Couch: In einem Interview konnten wir lesen, dass am Anfang jedes Krimis die Auswahl des Tages steht. Wie müssen wir uns Ihr Vorgehen von der Idee bis zur Fertigstellung vorstellen?

Alex Beer: Ich überlege mir, an welchen Tagen die Handlung stattfindet. So wollte ich z.B. in „Der dunkle Bote“ unbedingt Allerheiligen und Allerseelen drin haben. Dann lese ich sämtliche Zeitungen, die rund um das ausgewählte Datum erschienen sind. So kann ich einen Eindruck davon bekommen, welche Themen die Menschen damals beschäftigt haben. Darauf basierend entwickle ich dann das Motiv des Täters und baue die Handlung drumherum auf.

Histo-Couch: Stand Emmerichs Charakter bereits von vornherein fest, oder entwickelte er sich im Verlauf des Schreibens?

Alex Beer: Zu Beginn standen ein paar Eckpunkte fest, wie z.B. seine Kriegsverletzung, sein Zynismus und die Tatsache, dass er ein Underdog ist. Die Nuancen haben sich dann im Laufe des Arbeitsprozesses entwickelt, und es kommen mit jedem Band noch mehr Facetten hinzu.

Histo-Couch: Nach vier Bänden und einem unglücklichen Liebesleben können wir uns den Rayonsinspektor Emmerich kaum anders vorstellen. Er sagt, was nötig ist und geht oft den direkten Weg. Wie macht er sich als Vaterersatz von drei Kindern?

Alex Beer: Er tut, was er kann. Als Alleinerzieher sieht er sich mit denselben Herausforderungen konfrontiert, wie viele Menschen heute auch. Ich denke, er wird sich in den kommenden Bänden aber gut schlagen – immerhin hat er das Herz auf dem rechten Fleck. Und wer weiß? Vielleicht gibt es irgendwann ja wieder eine Frau an seiner Seite, die ihn bei der Erziehung unterstützen kann.

Histo-Couch: Isaak Rubinstein hat in „Unter Wölfen“ sein Debüt gehabt. Auch 1942 in Nürnberg war eine geschichtsträchtige Zeit. Warum musste der eigenwillige Wiener pausieren?

Alex Beer: Ich brauchte dringend einen Tapetenwechsel. So gern ich Emmerich und Winter auch habe, aber nach drei Jahren, in denen ich mich intensiv mit den beiden und ihrer Zeit auseinandergesetzt habe, war ein bisschen Abwechslung fällig.

Histo-Couch: Was fällt leichter: Den Protagonisten zu kreieren, oder ihm die Nebenfiguren an die Seite zu stellen?

Alex Beer: Beides hat seine Tücken.

Histo-Couch: Sie haben bereits zwei Mal den Leo-Perutz-Preis verliehen bekommen. Wie aufgeregt ist man, wenn man seinen Namen auf einer Shortlist entdeckt?

Alex Beer: In erster Linie freue ich mich, weil ja schon die Nominierung eine große Ehre und Auszeichnung ist. Gerade im Krimibereich, wo es jedes Jahr so viele Neuerscheinungen gibt, ist es schon toll, wenn man zu den fünf Besten gehört (oder wie viele Bücher auch immer auf der jeweiligen Liste stehen).

Histo-Couch: Beide Serien werden im Limes Verlag fortgesetzt. Wann dürfen wir was als nächstes lesen?

Alex Beer: „Unter Wölfen – Der verborgene Feind“ erscheint am 12. Oktober. Der fünfte Fall für August Emmerich voraussichtlich im Herbst 2021.

Das Interview führte Heike Stepprath im Juli 2020.
Foto: © Ian Ehm

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