Die Hebamme und das Rätsel von York

  • Lübbe
  • Erschienen: Januar 2014
  • 1
  • Lübbe, 2013, Titel: 'The Midwife's Tale: A Mystery', Originalausgabe
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Carsten Jaehner
811001

Histo-Couch Rezension vonJul 2014

Eine ermittelnde Hebamme und eine resolute Magd

York, 1644. Im Zuge des englischen Bürgerkriegs ist die Stadt von Rebellen umzingelt, der Ausgang der Belagerung ist ungewiss. Bridget Hodgson ist erst zwei Jahre in York, zweifache Witwe und erfolgreiche Hebamme, die aber auch selbst schon zwei eigene Kinder verloren hat. Zwischen einigen erfolgreichen Entbindungen erfährt sie, dass ihre Freundin Esther Cooper verhaftet wurde, weil sie ihren Mann umgebracht haben soll.

Bridget glaubt nicht an Esthers Schuld und versucht, ihre Unschuld zu beweisen. Um Zeit zu gewinnen, erklärt sie Esther nach einer Untersuchung für schwanger, da Schwangere nicht getötet werden dürfen, da es Sünde ist. Zur Hand geht ihr bei ihren Nachforschungen ihre neue Magd Martha, die selbst Probleme mit ihrem brutalen Bruder Tom hat.

Immer weiter verstrickt sich Bridget in die Machenschaften der höheren Mächte in York, während die Rebellen weiterhin vor der Stadt stehen. Dabei macht sie sich jedoch auch Feinde, die nicht unbedingt wollen, dass der wahre Täter gefasst wird...

Mord in York

Der amerikanische Schriftsteller Sam Thomas beginnt mit Die Hebamme und das Rätsel von York eine neue Reihe historischer Kriminalromane, die tatsächlich auf einer Hebamme namens Bridget Hodgson beruht, die im 17. Jahrhundert in York lebte und dort tätig war. Der Autor hat Bridget Hodgson bei der Durchsicht von historischen Testamenten entdeckt und in ihr eine selbstbewusste Frau gefunden, die sich nicht über ihre beiden toten Ehemänner, sondern über sich selbst und ihren Beruf definiert, und so Interesse an einer für diese Zeit ungewöhnlich resoluten Frau gefunden.

Die reale Bridget Hodgson als Vorbild, hat er auch die Personenkonstellationen der Familie und der Freunde übernommen. Bridget, die Ich-Erzählerin, ist zweifache Witwe und mit ihren Männern nicht immer glücklich gewesen. Sie hatte zwei Kinder, die inzwischen auch verstorben sind, so dass sie selbst Freud und Leid einer Mutter kennt und dies auch in ihren Beruf als Hebamme einbringen und nutzen kann. Sie ist nicht die einzige Hebamme in York, aber - nach eigenen Angaben - eine der besten. Unter den Hebammen gibt es auch eine in Gestalt von Rebecca Hooke, die aufgrund unlauterer Methoden nicht mehr als Hebamme arbeiten darf und nun eine Art Erzfeindin von Bridget ist, der sie auch gerne den Mord in die Schuhe schieben würde, zumal Rebecca auch zu den Verdächtigen gehört.

Präzise Recherchen

Der Autor hat intensiv recherchiert und präsentiert den Lesern ein York im 17. Jahrhundert, das nicht immer freundlich zu seinen Bewohnern ist. Der Autor hat zahlreiche Dokumente studiert und versteht es, den Leser mit seinem Wissen einzunehmen, vor allem, was die Arbeit einer Hebamme angeht. Ohne sich in allzu unnötigen Details zu ergehen, die man sich als geneigter Leser auch so vorstellen kann, beschreibt er den Hebammen-Alltag mit Freud und Leid und kennt sich auch mit den medizinischen Kenntnissen und Möglichkeiten der Zeit aus. Gelegentlich droht dem Autor sogar, diese Kenntnisse zu kurz zu fassen, so dass ein protokollartiger Stil lauert, wie es manchen Autoren geschieht, die sich ins Thema einlesen und mehr wissen als die Leser, sie aber nicht überfrachten will. Nicht immer trifft Thomas hier gerade zu Beginn des Romans die richtige Mischung, bleibt aber trotzdem Herr der Lage.

Ermittlungen in allen Gesellschaftsschichten

Bridget zur Seite steht ihre neue Magd Martha, die auf einmal vor der Tür steht und auf Empfehlung zu ihr gesandt wurde. Bridget gefällt ihre resolute Art, die sehr vielversprechend ist, beispielsweise wenn Martha bei einem Überfall den Räuber in die Flucht schlägt. Das macht sie allerdings auch verdächtig, eine nicht ganz saubere Vergangenheit zu haben, aber das gibt auch die Würze für einen Roman, bei dem nicht immer alles glatt läuft.

Der Mordfall zieht hohe Kreise. Die Stadt York ist umzingelt, und Bridgets Freundin Esther Cooper soll ihren Mann getötet haben. Darauf steht die Todesstrafe, und Bridget kann diese nur abwenden, indem sie bei Verwandten ihres zweiten verstorbenen Mannes vorspricht, die sie zu Esther in die Zelle vorlassen, und indem Bridget bei Esther eine Schwangerschaft feststellt, die die geplante Hinrichtung nicht verhindert, ihr aber einen zeitlichen Aufschub gewährt, in dem sie Zeit hat, den wahren Mörder zu finden.

Reales Vorbild

Bridgets Nachforschungen durch alle Gesellschaftsschichten sind recht intensiv, doch kommt sie nicht recht voran, denn es gibt zu viele Möglichkeiten, die sich eine nach der anderen alle zerschlagen oder wo sie nicht weiterkommt. Denn es werden ihr auch Steine in den Weg gelegt, man will an einigen Stellen weitere Schnüffeleien verhindern. Gerade die Stadtoberen scheinen nicht unbedingt Interesse an dem wahren Mörder zu haben, doch leider kennt Bridget die Oberen durch ihre beiden verstorbenen Männer recht gut, denn entweder ist sie mit ihnen verschwägert oder sie kennt sie aus Gründen ihrer Hebammen-Tätigkeit. Keine einfache Konstellation, aber tatsächlich mit realem Hintergrund, sonst würde dem Leser einiges unrealistisch vorkommen. Leider gibt es im nicht vorhandenen Anhang des Romans keinerlei Hinweise auf das Leben der realen Bridget Hodgson, dies entdeckt man erst auf der ausführlichen Homepage des Autors. Hier hätte man im Roman nicht sparen müssen.

Der Fall ist durchaus spannend und hat einige bisweilen auch unerwartete Wendungen. Gerade jedoch was Martha als eine Art Über-Magd angeht, übertreibt der Autor ein wenig, und hier wäre weniger mehr gewesen bzw. hätte man einiges an Erlebnissen besser in weitere Romane verteilen können, anstatt gleich alle Geheimnisse im ersten Buch lüften zu wollen. Zufällig zu einer solchen Magd zu kommen, die sich im Nahkampf auskennt, kein Kind von Traurigkeit ist, aber dennoch bei Geburten und Trauerfeiern von Neugeborenen geschont werden soll, passt nicht ganz zusammen.

Dennoch ist der Roman ein schöner Einstieg in eine neue Reihe historischer Kriminalromane mit einem interessanten Setting und durch seinen realen Hintergrund mit Potenzial für weitere Fälle ausgestattet. In England sind bereits zwei weitere Romane und eine Kurzgeschichte erschienen, so dass man hoffen kann, Bridget auch auf Deutsch bald wiederzutreffen. Leider ist der einzige Zusatz des Romans eine Danksagung des Autors, interessierte Leser über mehr Hintergrund sollten sich daher auf der interessanten und ausführlichen Homepage des Autors informieren. Wir freuen uns auf den nächsten Fall.

Die Hebamme und das Rätsel von York

Sam Thomas, Lübbe

Die Hebamme und das Rätsel von York

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