Armin Öhri

„Beim Rasenmähen kommen mir immer die besten Ideen.“

09.2012 Die Histo-Couch im Interview mit Armin Öhri über seine neue Krimi-Reihe, seine Vorliebe für Klassiker und sein Faible für Hollywood-Filme, deren Stilmittel auch in seinen Büchern Anwendung findet.

Histo-Couch: Mit „Sinfonie des Todes“ gaben Sie Ihr Debüt beim Gmeiner-Verlag, und das sehr erfolgreich. Was ist der Grund, dass Sie Ihre Geschichten bevorzugt im ausgehenden 19. Jahrhundert ansiedeln?

Armin Öhri: Seit Langem schon fasziniert mich die Literatur dieser Epoche. Angetan haben es mir besonders die Werke, die jenem Zweig der Romanliteratur angehören, welchen man im englischen Sprachraum „romance“ nennt, im Gegensatz zur althergebrachten „novel“. In diesen Geschichten wird die Realität nur noch als dünner Firnis angesehen, der jederzeit aufbrechen kann, um das darunter Verborgene an die Oberfläche zu befördern: das Böse, das Irrationale, das Unheimliche. Gerade Autoren wie Sheridan Le Fanu oder Wilkie Collins haben dies auf grandiose Weise um- und beschrieben. Ihrem Beispiel möchte ich mit meinen Geschichten nacheifern.

Histo-Couch: Schreibt man im historischen Genre, ist stets Recherche gefordert. Wie gehen Sie da vor? Besuchen Sie die Schauplätze Ihrer Romane auch?

Armin Öhri: Sofern möglich, ja. Jeder Roman stellt einen aber vor andere Herausforderungen. Bei der „Sinfonie des Todes“ war es so, dass „mein“ Wien eine Art „nachgefühlte“ Stadt ist. Der morbide Charme der alten Monarchie ist dort noch an jeder Straßenecke zu spüren. Berlin jedoch stellte mich vor Probleme: Ganze Straßenzüge gibt es nicht mehr, sei es, weil sie im Zweiten Weltkrieg zerbombt wurden, sei es, weil im Ostsektor vieles abgerissen wurde. Als ich die Matthäikirchstraße ablief, staunte ich nicht schlecht, all die modernen Gebäude dort zu sehen. Keine Spur mehr von altehrwürdigen Häusern des Bürgertums, keine Erinnerung an den Literatursalon der Fanny Lewald. Viele Beschreibungen der alten Preußenmetropole in meinem Roman stützen sich daher auf historische Quellen. „Mein“ Berlin ist also eher eine „nacherzählte“ Stadt.

Histo-Couch: Woher nehmen Sie Ihre Täter und nach welchen Aspekten konstruieren Sie die Morde?

Armin Öhri: Schwierige Frage. Mit der „Dunklen Muse“ wollte ich bewusst einen Kriminalfall erzählen, bei dem nicht das klassische „Whodunit?“ im Vordergrund stand – der Leser erfährt ja bereits im ersten Kapitel, wer der Mörder ist. Vielmehr ging es mir darum, mehrere Fragen aufzuwerfen, die im Kriminalgenre eigentlich nicht üblich sind: Was bezweckt der Täter mit einigen seiner Handlungen? Oder: Schafft er es, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen? Nicht zuletzt sollten diese Überlegungen natürlich die Spannung der Lektüre steigern. In Julius Bentheims nächstem Fall treibt mich etwas ganz anderes um: Da wird es mehrere Leichen und eine Handvoll Verdächtiger geben. Alle haben ein Alibi und niemand ein Motiv. Ich freue mich schon darauf, die Leser gemeinsam mit meinen Helden Bentheim und Krosick aufs Glatteis zu führen.

Histo-Couch: Bei Ihren Büchern ist ja nicht nur die Recherche der Historie wichtig, sondern auch die kriminaltechnische Vorgehensweise der Zeit, will man authentisch sein. Wie kommen Sie an diese Informationen?

Armin Öhri: Wir leben in einer multimedialen Welt, die gerade uns Autoren von historischen Romanen zupass kommt. Neben der Recherche in Fachbüchern und der Quellenkunde bietet sich das Internet immer mehr an. Ich gehe da nach dem Schneeballsystem vor. Irgendwo finde ich einen Anhaltspunkt. Dieser verweist mich auf einen anderen. Dort finde ich womöglich ein Verzeichnis mit nützlichen Links im Netz. Oder ein Sachbuch liefert bibliografische Daten anderer Werke. Eins führt zum andern. Die interessantesten und wichtigsten Informationen lasse ich in meine Werke einfließen.

Histo-Couch: Ihre Figuren sind vielschichtig und sehr realitätsnah. Wie entstehen Ihre Darsteller und wie viel „Armin Öhri“ ist in Ihren Figuren?

Armin Öhri: Ich denke, an meinen Protagonisten lässt sich mein Faible fürs Kino erkennen, denn es ist unschwer zu leugnen, dass ich meine Romane mit den Stilmitteln von Hollywood-Filmen aufbaue: Schnitt, Gegenschnitt, Szenenmontage usw. Gerade bei der „Dunklen Muse“ hat mein Figuren-Arsenal mit dem Bösewicht, dem Helden, dem Love-Interest und dem Side-Kick, der für die unterhaltsamen Sprüche zuständig ist, klassische Vorbilder. Es wäre natürlich schön, wenn in Albrecht Krosicks Charme und Unbedarftheit im Umgang mit dem anderen Geschlecht ein wenig „Armin Öhri“ steckte, aber dem ist nicht so. Nein, ich denke, die einzigen autobiografischen Bezüge, die ich ausmachen kann, sind die Bücher, die meine Helden lesen: unterhaltsame Tendenz- und Kolportageliteratur. Da mache ich unverhohlen Werbung für vergessene Autoren, die es meiner Meinung nach wieder neu zu entdecken gilt.

Histo-Couch: Besprechen Sie Ihre Ideen mit jemand Vertrautem oder lassen Sie Ihren Gedanken zuerst freien Lauf?

Armin Öhri: Eher Letzteres. Beim Rasenmähen kommen mir immer die besten Ideen. Die müssen aber eine Zeitlang keimen, bis ich sie meinen Freunden mitteile. Dabei gehe ich nicht ins Detail, sondern lasse sie zum Beispiel einfach wissen: „Du, ich will einen Krimi schreiben, der in Berlin spielt. Was hältst du davon?“ Lange Zeit spukt mir bloß ganz vage ein Thema im Kopf herum, das ich bearbeiten möchte. Das verfestigt sich immer mehr, bis sich die genauen Konturen herausstellen, in welche Richtung mein neues Werk gehen soll. Bei der „Dunklen Muse“ schwebte mir zu Beginn einfach eine Gerichtsszene vor; ich wollte schon immer mal den klassischen Schlagabtausch von Ankläger und Verteidiger auf Papier bringen, etwa so, wie es Robert Traver in „Anatomie eines Mordes“ ausformuliert hat. Schritt für Schritt kristallisierte sich dann auch der Rest heraus: Wo spielt die Geschichte sich ab? Wann spielt sie? Welche Figuren möchte ich auftreten lassen? Wie baue ich den Handlungsstrang auf? Notizen mache ich mir keine; ich lasse die Geschichte über Wochen und Monate einfach reifen und gehe sie in Gedanken immer wieder durch, bis ich das Gefühl habe, sie sei ausgereift. Dann setze ich mich an den Computer und schreibe, am liebsten abends, so ab 22 Uhr, wenn es draußen dunkel ist und ich nicht abgelenkt werde. Ich beginne beim ersten Kapitel und ende mit dem letzten; es ist nicht so, dass ich mir erst jene Szenen heraussuche, die ich gern schreibe. Das hat zur Folge, dass ich manchmal schnell vorankomme, während bald darauf wieder eine harzige Zeit anbricht, sobald ich einige Szenen beschreiben muss, die für das Fortlaufen der Geschichte zwar notwendig sind, mich aber nicht in erster Linie interessieren. Wenn ich ein Kapitel beendet habe, lese ich es in ausgedruckter Form noch einmal durch und bringe Korrekturen an. Manchmal überarbeite ich kleine Stellen, um Querverweise zu meinen anderen Erzählungen und Romanen herzustellen. Was mich an Balzacs „Menschlicher Komödie“, Emile Zolas „Rougon-Macquart“-Zyklus und an den „Tim und Struppi“-Comics von Hergé so fasziniert, ist das wiederkehrende Auftauchen von bekannten Nebenfiguren im gesamten Werk. Von Anfang an fand ich diese Idee interessant und habe sie konsequent in meinen Büchern angewandt. Bis jetzt wird der aufmerksame Leser wohl nur hin und wieder ein paar Hinweise finden, aber mit jedem Buch, das ich schreibe, kommen mehr hinzu, sodass sich alle Geschichten einmal ineinander verzahnen sollten.

Histo-Couch: Wie lange schreiben Sie an einem Buch und setzen Sie sich einen bestimmten Zeitrahmen?

Armin Öhri: Pro Werk plane ich ein Jahr ein. Zumindest bisher. Und diese Kadenz möchte ich noch mit den nächsten beiden Romanen halten. Natürlich immer vorausgesetzt, der Verlag akzeptiert meine Manuskripte und das Lesepublikum will wissen, wie es mit Julius und Filine weitergeht.

Histo-Couch: Wer darf Ihr fertiges Skript zuerst lesen?

Armin Öhri: Eine Gruppe von fünf, sechs engen Freunden und Bekannten. Von ihnen erhalte ich immer gutes Feedback, das ich einarbeite, bevor ich das Manuskript an den Verlag schicke. Auf ihre Meinung lege ich viel Wert, und wenn mehr als die Hälfte von ihnen zum Beispiel an einem Satz etwas auszusetzen haben, der mir persönlich außerordentlich gut gefällt, so akzeptiere ich die demokratische Mehrheit: Der Satz wird abgeändert oder gestrichen.

Histo-Couch: Was hat es für Sie bedeutet, das erste Buch mit dem eigenen Namen in den Händen zu halten?

Armin Öhri: Eine schöne, tolle Erfahrung. Viele Autoren sagen ja in Interviews, das erste Werk sei etwas ganz Besonderes. Ich empfinde das etwas anders. Ich habe das Gefühl, bei mir steigert sich die Vorfreude – oder die Ungeduld, wenn man das so nennen möchte – mit jedem Werk etwas mehr. Die tollen Cover, die Gmeiner macht, vergrößern da nur noch meine Gespanntheit.

Histo-Couch: Sie haben eben die Covergestaltung angesprochen. Der Gmeiner-Verlag ist ja dafür bekannt, die Aufmachung der Bücher passend zum Inhalt zu gestalten. Entspricht diese auch Ihren Wünschen oder werden Sie nicht dazu befragt und hätten ganz andere Ideen?

Armin Öhri: Bei der „Dunklen Muse“ hätte ich erst gerne einen Ausschnitt von Hugo Simbergs Gemälde „Der Garten des Todes“ auf dem Cover gehabt. Aber die Verantwortlichen beim Gmeiner-Verlag konnten mich zum Glück überzeugen, dass dies ein viel zu düsteres Motiv gewesen wäre. Als ich ihre Variante zugemailt bekam, war ich vollends zufrieden.

Histo-Couch: Spielen Sie mit dem Gedanken, einen Ermittler für eine Reihe ins Leben zu rufen, der, à la Hercule Poirot von Agatha Christie, mehrere Fälle zu lösen hat, oder werden auch Ihre künftigen Romane Einzelfälle bleiben?

Armin Öhri: „Die dunkle Muse“ ist der Auftakt zu einer Reihe mit Fällen des Tatortzeichners Julius Bentheim. Jeder einzelne Kriminalfall sollte für sich allein lesbar sein, ohne Vorwissen der vorherigen Bände, während aber die Geschichte auf der persönlichen Ebene der Figuren ihren Verlauf nimmt. Im Folgeband tauchen auch wieder bekannte Nebenfiguren auf und wir erfahren, wie es Julius in amourösen Dingen weiter ergeht. Und dann ist da noch ein historischer Umstand, den ich beachten muss, nämlich den sich anbahnenden Krieg zwischen Preußen und Österreich. Im ersten Band deute ich das nur leise an, im zweiten vertiefe ich die Thematik, im dritten wird das Folgen für die Hauptdarsteller haben.

Histo-Couch: Werden Sie auch künftig der Zeit rund um den Jugendstil und der Gründerzeit treu bleiben oder käme auch einmal eine andere Epoche infrage?

Armin Öhri: Es gibt zwei Epochen, in denen ich mich als Autor von historischen Romanen besonders wohlfühle: Die eine ist das 19. Jahrhundert, in dem ich mindestens noch zwei weitere Bentheim-Fälle lang verweilen möchte. Die andere Epoche ist die Zeit der Römer, genauer gesagt: der Römischen Republik. In meiner Schublade schlummert ein über 1.000 Seiten umfassendes Epos mit allem Brimborium, das dazugehört: Seeschlachten, Gladiatorenkämpfe, Bürgerkriege, die politischen Intrigen zwischen Caesar, Cicero und Pompeius. Eines Tages wird dieses Manuskript vielleicht in gebundener oder broschierter Form das Licht der Welt erblicken.

Histo-Couch: Vielleicht ist das jetzt etwas vermessen, da Ihr erster Berlin-Krimi gerade erst erschienen ist. Aber können Sie uns schon verraten, wo und wann in etwa der nächste Bentheim-Fall spielen wird?

Armin Öhri: Der nächste Bentheim-Fall spielt natürlich wieder in Berlin (im Jahr 1866); er beginnt jedoch auf dem Lande, und zwar bei einer Silvesterfeierlichkeit. Ein Baron hat einige illustre Gäste in sein Lustschloss geladen. Man vergnügt sich bei Gesellschaftsspielen. Unter anderem wird auch eine Séance abgehalten, bei der zufällig 13 Personen anwesend sind – eine Unglückszahl! Als ein Pferd durchgeht und ein Mann unter die Hufe gerät, nimmt die Presse diesen Umstand auf und spricht von einem Fluch. Um dem Aberglauben der einfachen Leute entgegenzutreten, hat Albrecht Krosick die Idee, einen spiritistischen Club zu gründen, der bewusst nur aus 13 Leuten besteht. Doch leider gibt es weitere Tote, und Albrecht und sein Freund Julius Bentheim gehen erneut auf Mörderjagd.

"Als kleines „Schmankerl“ kann ich eine kleine Textprobe anbieten:Der Wachtmeister klappte voll Ingrimm sein Notizbuch zu und reichte dem Baron die Hand. Sein Händedruck war schlaff, doch die Worte, die er zum Abschied wählte, waren ungewohnt angriffig: »Ich werde zu keiner Zeit die Ernsthaftigkeit des Anlasses vergessen, mein Herr, auch nicht meine eigene verantwortungsvolle Position. Sie kennen den Begriff des ›Dreizehnten‹, oder? Ein Synonym für den Teufel. Gestern wurde Satan wachgerüttelt, und heute liegt ein Toter in Ihrem Garten."

Sie sehen, der nächste Fall wird leicht gruselig, aber hoffentlich nicht minder spannend.

Das Interview führte Daniela Loisl.

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