Robert Löhr

„Mir sind die Loser immer lieber als die Helden“

04.2012 Die Histo-Couch im Interview mit Robert Löhr über Mittelalterliche Lieder, die Zahl sechs in seinen Romanen und seine eigenen Sangeskünste.

Histo-Couch: Herr Löhr, wie viel Zeit haben Sie im letzten Jahr auf der Wartburg verbracht?

Robert Löhr: Ich war für die Recherche zwei Mal auf der Wartburg und habe dort oben im Hotel auch gewohnt – wobei mich besonders der Besuch im Winter tief beeindruckt hat. Dann ist die Wartburg nämlich nicht so überfüllt wie im Sommer, und eine Wanderung durch die umliegenden Wälder und Schluchten, tief verschneit, ist mehr als inspirierend.

Histo-Couch: Wie sind Sie auf die Geschichte gestossen?

Robert Löhr: Im Rahmen meiner Recherche für das „Erlkönig-Manöver“ habe ich mich ausgiebig in Thüringen umgetan und war damals auch auf der Wartburg. Die Burg hat mich vom ersten Augenblick an fasziniert, zumal sie so viele Aspekte der deutschen Geschichte (und Mythologie) bündelt – von der Entstehung über den Sängerkrieg, die Heilige Elisabeth, Luther, das Burschenschaftsfest, die deutsche Teilung und Wiedervereinigung …Tja, und das Motiv eines Dichterwettstreits auf Leben und Tod fand ich herrlich radikal und anregend (wie auch zahlreiche Autoren und Germanisten vor mir, vor allem im 19. und frühen 20. Jahrhundert). Außerdem wollte ich schon immer einen Mittelalterstoff bearbeiten.

Histo-Couch: Wie viel davon ist Realität und wie viel ist dichterische Freiheit?

Robert Löhr: Diesmal ist der Anteil dichterischer Freiheit deutlich höher, zumal man schon vom Sängerkrieg nicht wirklich sagen kann, ob er tatsächlich so stattgefunden hat: Vielleicht ist es nur eine brillante Erfindung. Ich halte mich dennoch an die überlieferten „Fakten“, an die damalige Politik (deutscher Thronstreit) und an die Biographien und Werke der sechs Sänger um Walther von der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach – aber der Verlauf und der Ausgang ist ein anderer.

Histo-Couch: Bekommt man nicht ein schlechtes Gewissen, wenn man den berühmten Sängern eine Biographie andichtet, die vielleicht so gar nicht gewesen ist?

Robert Löhr: Nein, ein schlechtes Gewissen bekommt man nicht. Zum einen sind diese Persönlichkeiten seit 800 Jahren tot, und wir können eh überhaupt nicht sagen, was von den Überlieferungen stimmt und was Legende ist. Zum anderen haben sich diese Dichter, wie Dichter zu jeder Zeit, auch ihrerseits immer bei historischen Figuren bedient. (Ich dürfte mich also dementsprechend nicht beklagen, wenn in ferner Zukunft das gleiche mit mir passiert ...)

Histo-Couch: Manche Leser werden den „Sängerkrieg“ mit der Oper „Tannhäuser“ von Richard Wagner verbinden. Warum gibt es in Ihrem Roman keinen Tannhäuser?

Robert Löhr: Weil der Tannhäuser nie Teilnehmer des Sängerkriegs war. Der war 1206 nämlich noch ein Baby, wenn überhaupt schon geboren. Richard Wagner hat, wie es sein Stil war, kurzerhand mehrere Mythen zu einem wahren Mythencocktail vermischt: den Sängerkrieg, den Tannhäuser und die Heilige Elisabeth – das alles in einer Oper, die die Wartburg zusammenhält. Wegen Wagner werden diese Dinge also immer wieder durcheinandergebracht. Andererseits hat Wagners Oper dem Sängerkrieg zu neuerlichem Ruhm verholfen …

Histo-Couch: Haben Sie einen persönlichen Favoriten unter den sechs Sängern? Hat einer von ihnen vielleicht Eigenschaften von Robert Löhr?

Robert Löhr: Das Interessante ist, dass ich jeden der sechs Sänger (mit Ausnahme des tugendhaften Schreibers) auf seine Weise sympathisch finde, aber keinen davon uneingeschränkt. Mir am nächsten liegt sicherlich die Hauptfigur Biterolf, der junge, unbedarfte und relativ talentlose Sänger, aber ich hoffe, man zieht deshalb keine Rückschlüsse auf mein eigenes Talent. Mir sind die Loser halt immer lieber als die Helden.

Histo-Couch: Wie steht es um Ihre eigenen sängerischen Fähigkeiten? Spielen Sie auch ein Instrument?

Robert Löhr: Ich spiele zwar Klavier, bin aber zu meinem großen Bedauern kein begnadeter Sänger …

Histo-Couch: Die Vorträge der Sänger beim Wettstreit werden ja einige Zeit gedauert haben. Wie steht es um Ihre Fähigkeit des Auswendiglernens?

Robert Löhr: Interessante Frage. Aber da ich ja auch Schauspieler bin, macht mir das Auswendiglernen gar keine Mühe. Zudem waren die Epen damals ja in Versform und gereimt, was das Lernen ungemein erleichtert. (Man geht ja auch davon aus, dass diese frühen Epen (von der 'Ilias’ an) überhaupt nur deswegen in Versen geschrieben waren – damit sie, insbesondere bei der mündlichen Überlieferung, besser im Kopf bleiben.)

Histo-Couch: Haben Sie all die Epen gelesen, die von den Sängern vorgetragen wurden?

Robert Löhr: Ich habe alle Epen und Gedichte gelesen, ja, allerdings nicht alles im mittelhochdeutschen Original.

Histo-Couch: Hatten Sie denn Einsicht in die originalen Handschriften? Wo befinden sich die?

Robert Löhr: Nein, ich hab mir die Handschriften nicht angesehen, was auch daran liegt, dass sie über ganz Europa verteilt sind. Und letzten Endes war der Inhalt wichtiger. Den Codex Manesse allerdings würde ich mir schon eines Tages mal im Original anschauen wollen …

Histo-Couch: Würde es Sie reizen, selber mal ein solches – gereimtes – Epos zu verfassen?

Robert Löhr: Ein ganzes Epos in Reimen wäre mir wahrscheinlich etwas zu spröde. Aber kleinere Balladen oder gereimte Passagen in meinem Romanen und Theaterstücken schreibe ich seit eh und je, weil ich ein Freund des gepflegten Reimes bin.

Histo-Couch: Auffällig im „Krieg der Sänger“ und in den beiden vorherigen Romanen ist eine Konstellation von sechs Hauptfiguren. Wie kommen Sie darauf? Warum ausgerechnet sechs?

Robert Löhr: Ja, die wiederkehrenden sechs Hauptfiguren sind wirklich erstaunlich. Offenbar ist das eine gute Zahl zum Arbeiten! Absicht steckt jedenfalls nicht dahinter. Und die sechs Sänger im Sängerkrieg sind ja belegt, deswegen konnte ich da gar nicht abweichen.

Histo-Couch: Den Rahmen des „Kriegs der Sänger“ bildet eine Begegnung mit Luther und dem Teufel in der Wartburg, woraufhin der Teufel die Geschichte des Sängerwettstreits erzählt. Woher kommt diese Idee?

Robert Löhr: Ich wollte unbedingt einen Bogen schlagen von der Stauferzeit zu Luthers Bibelübersetzung auf der Wartburg und seiner vermeintlichen Begegnung mit dem Teufel. Da ich Luther schlecht in eine Zeitmaschine setzen konnte, kam ich auf die Idee, ihn und den Teufel zu den Figuren einer Rahmenhandlung zu machen – die die Geschichte sowohl straffen als auch kommentieren.

Histo-Couch: Können Sie uns etwas über das Motiv auf dem Buchcover erzählen?

Robert Löhr: Das Buchcover habe ich gleich bei der ersten Präsentation ins Herz geschlossen; ein für Autoren eher seltener Vorfall. Aber auch ich wollte wenig Farbe und einen Raben – und nicht das Detail einer Frauenhand auf historischem Kleide oder das Stillleben mit Schädel, die jeden zweiten historischen Roman zieren. Die Majuskel unter dem Rahmen ist zwar streng genommen nicht gotisch, aber dafür stammt der Rahmen aus dem Codex Manesse.

Histo-Couch: Der liegt ja in Heidelberg und enthält Texte und Bilder, aber keine Noten. Weiß man etwas darüber, wie damals gesungen wurde?

Robert Löhr: „Originale“ Noten der alten Meister sind nicht überliefert, erst recht nicht im Codex Manesse, aber es gibt spätere Notationen aus dem 14. Jahrhundert z.B. für einige Lieder von Walther von der Vogelweide. Ob sie Walther aber tatsächlich so gesungen hat, ist nicht verbürgt. Ansonsten hilft man sich mit Melodien anderer Lieder aus, die man unter den betreffenden Text legt, oft auch mit Melodien der französischen Trobadore.

Histo-Couch: Sie schreiben ja auch Theaterstücke. Können Sie sich vorstellen, einen Ihrer Romane für die Bühne zu adaptieren oder gar ein Filmdrehbuch daraus zu machen?

Robert Löhr: Ja, ich finde meine Romane natürlich durch die Bank dazu geeignet, verfilmt zu werden, denn als gelernter Drehbuchautor neige ich eh zu „filmischem“ und dramaturgisch flüssigem Schreiben. Beim „Erlkönig-Manöver“ gibt es konkretere Pläne zu einer Verfilmung, da hapert es freilich noch bei den Finanzen. Denn ganz billige wäre so ein historisches Abenteuer nicht. Mein Erstling, der „Schachautomat“, wird in Hollywood gerade von Oscar-Preisträger Julian Fellowes adaptiert. (Und war lustigerweise ursprünglich ein Drehbuch, das rückblickend im Vergleich zum Roman aber etwas blutleer wirkt.)

Mehr als alle anderen Stoffe eignet sich nach meiner Meinung der „Krieg der Sänger“ für eine Verfilmung, weil er so ein schönes Kammerspiel darstellt und Mittelalter gerade wieder mal en vogue ist. Mal sehen, ob etwas daraus wird …

Histo-Couch: Wenn Sie die Möglichkeit hätten, würden Sie dann in einer Adaption Ihrer Romane eine Rolle übernehmen wollen? Welche wäre das?

Robert Löhr: Ich würde gerne eine kleinere Rolle übernehmen, ja, aber die Hauptrollen würde ich sicherlich den Vollprofis überlassen. Wenn ich mir hypothetischerweise eine Rolle aussuchen könnte …dann wahrscheinlich Schiller aus dem „Erlkönig-Manöver“ oder Walther von der Vogelweide aus dem „Krieg der Sänger“. Die Idealisten.

Histo-Couch: Wird es einen dritten „Einsatz“ von „Goethe + 5“ geben?

Robert Löhr: Obwohl das „Hamlet-Komplott“ mein liebstes Buch ist, war es leider nicht so erfolgreich. Deswegen ist der dritte Einsatz fraglich. Ich hätte freilich sehr, sehr große Lust darauf – und mehr als genug Ideen (Kleists Freitag, Völkerschlacht Leipzig ...). Vielleicht gönne ich mir dieses Liebhaberprojekt also eines Tages noch.

Histo-Couch: Wie lange brauchen Sie, bis Sie einen Roman fertig haben?

Robert Löhr: Für meine Romane habe ich bislang immer ein halbes bis ein Jahr Recherche gebraucht, und dann noch einmal ein Jahr zum Plotten und schreiben.

Histo-Couch: Können und dürfen Sie uns schon verraten, was ihr nächster Roman wird?

Robert Löhr: Über den nächsten Roman möchte ich noch nicht zu viel verraten, allerdings wird es erstmals *kein* historischer Roman werden, sondern eine Gegenwartsgeschichte. So leid es mir dann auch tut, nicht von der Histo-Couch rezensiert zu werden …

Das Interview führte Carsten Jaehner.

Zeitpunkt.
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