Sebastian Fleming

„Um so mehr ich weiß, um so freier bin ich – auch im Verzicht“

01.2011 Die Histo-Couch im Interview mit Sebastian Fleming über den Petersdom, die Entwicklung von Figuren, Luther und die Renaissance und die Art und Weise, Romane zu schreiben.

Histo-Couch: Herr Fleming, wie oft haben Sie im letzten Jahr die Kuppel des Petersdoms in Rom bestiegen?

Sebastian Fleming: Körperlich nicht einmal, da ich geschrieben habe, geistig war ich eigentlich nur noch dort und zu Hause gelegentlich als Gast. Wenn ich morgens im Arbeitszimmer verschwand, sagte die Familie, dass ich wieder in Rom wäre. Die Recherchen liegen ja vor dem Schreiben. Wichtiger als die Kuppel, so wie man sie in Rom bestaunen kann, zu besteigen, ist es, sich mit den Skizzen und Bauplänen, den Architekturzeichnungen zu beschäftigen und natürlich einen Zugang zu finden zu dem Denken und zu den technischen Möglichkeiten der Baumeister der Renaissance. Denn es ist der falsche Weg, heutigen Figuren historische Kostüme anzuziehen. Man muss in das Denken, Handeln und Fühlen der Zeit, über die man schreibt, eindringen.

Histo-Couch: War es denn schwierig, an die Baupläne und Skizzen heranzukommen? Hatten Sie Zugang zu den Originaldokumenten?

Sebastian Fleming: Die Architekturzeichnungen sind gut publiziert und die Originale werden hin und wieder ausgestellt. Schwierig ist es, die Reihenfolge ihres Entstehens anzugeben. Über die Frage in welcher Reihenfolge und zu welchem Zweck der Bramante-, der Sangallo-, der Fra Giocondo-Entwurf entstanden sind, diskutiert die Fachwelt seit einem Jahrhundert und ein Ende ist nicht abzusehen. Eine offene Frage ist es, ob der berühmte Bramante-Entwurf, der uns nur einen Teil der Vierung zeigt, von einem Lang- oder einem Zentralbau ausgeht. Man darf auch nicht vergessen, dass die Wissenschaft immer nur von dem reden kann, was ihr an Quellen zur Verfügung steht. Aber es ist ja auch viel verloren gegangen, teils weiß man vom Verlust, teils nicht. Wenn mir von einem Kunstwerk nur ein Fetzen, auf dem sich mit viel Mühe ein Flügel erkennen lässt, überliefert ist, stellt sich die Frage, ob der Flügel zu einem Vogel, einem Teufel oder einem Engel gehört.
Was viel schwieriger war und bei weitem mehr Mühe gekostet hat, war die exakte Topographie der Stadt Rom und die Gestalt der alten Petersbasilika herauszufinden. Übrigens eine sich täglich ändernde Topographie, denn es wurde ja in der Zeit, in der der Roman spielt, extrem viel gebaut. Wie sah die alte Petersbasilika, die zerstört und abgerissen wurde, aus? Was stand in ihr? Wie sah der Vatikan aus? Heute kennen wir alle die Stanzen des Raffaels, die wurden aber erst unter Julius II. errichtet. Im Kupferstichkabinett in Berlin befindet sich beispielsweise das Originalskizzenbuch von Maarten van Heemskerck, einem niederländischen Maler, der am Anfang des 16. Jahrhunderts in Rom weilte und die Stadt, den Petersdom und den Vatikan in seinen Skizzen verewigte. Obwohl die Skizzen und Veduten immer wieder gedruckt worden sind, bereitete es mir ein großes Vergnügen, mit den Originalen zu arbeiten. Sie bekommen ein Gefühl für die Zeit, wenn Sie die Originalskizze, das Papier, den Strich genau vor Augen haben, sie die Details sozusagen riechen und fühlen können. Man muss sich soviel man kann mit Originalen beschäftigen.
Ich gebe es zu, dass ich besessen davon bin, wissen zu wollen, wie die Straßen und die Gassen ausgesehen haben, die meine Protagonisten betreten und wie lange sie für ihre Wege benötigen. Das Leben ist bekanntlich konkret und der Mensch ist überwiegend mit den alltägliche Hindernissen beschäftigt. Ich möchte eintauchen in die Welt, die Menschen dieser Zeit begleiten, ihnen zuschauen. Es ist ganz einfach: – Um so mehr ich weiß, um so freier bin ich – auch im Verzicht. Manchmal wird mit Detailverliebtheit vorgeworfen, aber im Detail zeigt sich das Wesen. Wer wenig weiß, scheut das Detail.

Histo-Couch: Wie schwierig ist es dann, sich historischen Persönlichkeiten wie Bramante, Michelangelo oder Julius II. zu nähern und Ihnen gerecht zu werden? Ist es einfacher, nicht-historische Figuren zu entwerfen?

Sebastian Fleming: Lassen Sie mich mit dem zweiten Teil der Frage beginnen: Was sind nicht-historische Figuren in einem historischen Roman? Die Zeit zu verstehen, das Lebensgefühl der Menschen, ihre Denk- und Gefühlswelten zu erfahren, muss man, ganz gleich ob es sich um „erfundene“ oder um authentische Figuren handelt, immer versuchen. Das ist bei erfundenen Figuren in Wahrheit noch viel schwieriger, weil es bei ihnen keine konkreten Anhaltspunkte geben kann. Von Michelangelo kann ich Briefe und Gedichte lesen, die mir einen Einblick in sein Fühlen und Denken liefern. Bei einer erfundenen Figur fehlt dies. Es mag Lektoren geben, die der irrigen Meinung huldigen, dass man im Historischen Roman nur über erfundene Figuren schreiben kann. Mal ganz davon abgesehen, dass diejenigen nie Heinrich Mann oder Lion Feuchtwanger gelesen und auch Umberto Eco nicht verstanden haben, behaupte ich, dass man bei einer erfundene Figur nicht weniger Sorgfalt walten lassen darf als bei einer authentischen. Ich kann natürlich heutige Menschen oder Soap-Figuren verkleiden und Blut und Schmutz auf das Kostüm werfen, damit es auch zünftig nach Mittelalter aussieht, aber so etwas möchte ich weder lesen, noch schreiben und es hat auch nichts mit dem Historischen Roman und mit der Geschichte ohnehin nichts zu tun.
Zum ersten Teil: Warum kennen wir Michelangelo, Bramante und Julius II.? Weil sie erstens Außergewöhnliches geleistet haben und zweitens sich die Zeit in ihnen mustergültig abgebildet hat. Warum soll ich also den üblichen Plot aus sex and crime, arme, misshandelte Frau setzt sich am Ende durch, weil der Autor ihr den Weg ebnet, zum hundertsten Mal erzählen? Bei meinen Recherchen für die Sachbücher über die Geheimbünde oder über den Vatikan stoße ich ständig auf faszinierende, spannende Geschichten. Warum soll ich nicht die erzählen? Die Welt oder die Welten, nämlich die heutige und die vergangenen, sind doch so wundervoll vielgestaltig und stecken voller packender Geschichten, die alle nur darauf warten, erzählt zu werden. Und sie sind es wert! Was mich antreibt, ist, die Geschichten in der Geschichte zu finden, in der historischen Persönlichkeit den Menschen zu entdecken. Nun ist mir das Handwerkzeug des Biographen bestens vertraut. Deshalb arbeite ich im Grunde in zwei Phasen. Die erste Phase besteht in der Recherche und Materialsammlung, die zweite in der Auseinandersetzung: ich bohre solange, bis ich die Figur gefunden habe, sie verstehe. Womit ich lange gerungen habe, war, die Sexualität Michelangelos abseits der üblichen Klischees zu entdecken. Homosexuelle Schriftsteller neigen dazu, ihn als homosexuell zu sehen, heterosexuelle machen gern um diese Frage einen Bogen – das Ergebnis ist, dass beide ihm nicht gerecht werden. Oder die große Wandlung Bramantes. Es mag sein, dass dem einen oder anderen Leser Bramante anfangs unsympathisch vorkommt, aber erstens: er war so, zweitens haben wir keinen aufgeklärten und politisch korrekten Bürger des 21. Jahrhunderts, sondern ein Genie der Hochrenaissance vor uns und drittens hat mich seine Wandlung sehr berührt. Ob man den historischen Persönlichkeiten am Ende wirklich gerecht geworden ist, wird ganz gleich, ob wir über einen Roman oder eine Biographie, über Belletristik oder Wissenschaft reden, nur der liebe Gott sagen können. Alles, was mir bleibt, ist, mich redlich zu bemühen.

Histo-Couch: Was hat Sie dazu bewogen, einen Roman über den Bau des Petersdoms zu schreiben?

Sebastian Fleming: Bei meinen Recherchen für ein Buch über die Geschichte des Vatikans von den Anfängen bis heute, ergab sich die schöne Gelegenheit, mich noch einmal ausgiebig und gründlich mit der Baugeschichte des Petersdomes zu beschäftigen. Faszinierend ist, dass wir es in diesem Fall am wenigsten mit einer reinen Architekturgeschichte zu tun haben, sondern sobald wir die Frage des Neubaus von Sankt Peter stellen, wir mitten in der Macht-, der Politik- und der Kunstgeschichte stehen. Und auch das ist nur die halbe Wahrheit: wie von einem Strudel wird man in einen wahren Roman der Leidenschaften gezogen. Wille, Verlangen, Liebe, Hass, Neid, Größe, Glauben, Ängste, die Schicksale realer Menschen in einer Zeit, als Europa den ersten Schritt machte, um zu dem zu werden, was es heute noch ist, ermöglichen, erzwingen geradezu einen Roman. Und offen gestanden musste ich mich sehr disziplinieren, um dem Verlag nicht ein doppelt so langes Manuskript vorzulegen, denn die Geschichten verlangen, erzählt zu werden.
Der Petersdom ist einzigartig. Er unterscheidet sich in seiner fast zweitausendjährigen Geschichte und Bedeutung von allen anderen Kirchen und Kathedralen. In kargen Worten gesagt, was den Petersdom zum Siedepunkt der Leidenschaften im Persönlichen und im Politischen werden lässt, ist, dass er über lange Zeit die Geschichte Europas bestimmt hat. Die Päpste haben ihren Machtanspruch, Stellvertreter Petri und später Christi zu sein, damit begründet, dass sich unter dem Petersdom das Grab des Apostels Petrus befindet. Petrus wurde von Christus als Nachfolger eingesetzt. Von Christus über Petrus reicht die lückenlose Reihe der Nachfolger, der Päpste, die das Petrusgrab unter dem Petersdom beglaubigt und legitimiert. Umso höher der Einsatz, um so leidenschaftlicher entwickelt sich das Spiel.
Mit einem Wort: mich haben die Figuren und die Geschichten nicht mehr losgelassen, so dass ich gar nicht anders konnte, als den Roman zu schreiben, denn Bauen ist Leben, und insofern ist „Die Kuppel des Himmels“ kein Buch über den Bau des Petersdomes, sondern über die Leidenschaften der Menschen, die den Bau entweder gewollt oder nicht gewollt, oder von ihm mitgerissen wurden, ein Buch über das Leben von Menschen in einer Zeit, in der die Welt sich radikal ändert.

Histo-Couch: Im Roman taucht immer wieder Dantes „Göttliche Komödie“ auf. Hatte es damals tatsächlich eine so hohe Bedeutung, und meinen Sie, man sollte das Buch auch heute gelesen haben?

Sebastian Fleming: Dantes „Göttliche Komödie“ ist sicher das grundlegende literarische Werk der Renaissance, vielleicht sogar ihre geistige Verfassung. Im Schaffen von Michelangelo spielt diese Dichtung eine nicht zu überschätzende Rolle. Zeitlebens setzte er sich mit diesem Werk auseinander. Ich vermute sogar, dass er die Verse zu großen Teilen auswendig kannte. Seinen Mitmenschen galt er als der Dante-Experte schlechthin und zwei große Gespräche sind überliefert, in denen Michelangelo über die Göttliche Komödie stritt. Michelangelo las die Dichtung ja auch sehr konkret, er diskutierte darüber, wie lange Dante unterwegs war und an welchem Wochentag er zur Reise aufbrach.
Wer nicht über Dantes Weltdichtung reden konnte, der galt damals als ungebildet und schied aus der Diskussion aus, der hatte sich disqualifiziert. Sandro Botticelli hatte hinreißende Illustrationen geschaffen und Landino einen exzellenten Kommentar verfasst, den alle kannten, um nur zwei weitere Beispiele zu nennen.
Wen es heute zur Lektüre der Göttlichen Komödie zieht, wer Genuss, Freude und Leidenschaft entwickeln kann, der sollte es unbedingt tun, denn es ist ein großartiges Werk. Allerdings ist es für uns Heutige keine einfache Lektüre, weil verschiedene Hintergründe für uns fremd oder in Vergessenheit geraten sind. Die Menschen haben vor 500 oder 600 Jahren anders gedacht als wir. Deshalb versuche ich im Roman ja auch, das Denken und Fühlen der Menschen der Renaissance für uns einsichtig und verstehbar zu machen. Die Leser sollen in diese Zeit schauen, in diese Epoche reisen können. Und wie bei jeder Reise besteht der Reiz in dem Wechselspiel aus dem Bekannten und dem Fremden.
Zudem ist die Göttliche Komödie ein komplexes Werk. Wenn man sich eine Synthese aus Thomas Manns „Zauberberg“ und Einsteins Relativitätstheorie vorstellt, dann kommt man der Vielschichtigkeit der Göttlichen Komödie nahe. Es ist das Buch, in dem alles steht, was für die Menschen der Renaissance wichtig war.

Histo-Couch: Sie erwähnen an einer Stelle den „Mönch aus Wittenberg“, der zur selben Zeit tätig war, wie der Bau des Petersdoms vonstatten ging. Wusste Luther von dem Bau, und ist von ihm eine Meinung überliefert?

Sebastian Fleming: Da die gesamte katholische Christenheit den Peterspfennig zum Bau des Petersdomes zu entrichten hatte, wussten notwendigerweise alle von dem größten Bauprojekt der Epoche. Man kann die Wirkung auf die Zeitgenossen ein wenig vergleichen mit der Erhebung der Gebühren für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, ganz gleich, ob Sie ihn nutzten oder nicht, Sie hatten für ihn zu zahlen, weil er als im gesamtgesellschaftlichen Interesse stehend definiert wurde. Untersuchungen haben ergeben, dass allerdings die für den Bau des Petersdomes erhobene Abgabe nicht immer und nicht vollständig für den Bau verwandt wurde, sondern das luxuriöse Leben der Römischen Kurie finanzierte. Dazu kamen Ablässe. Und diese Ablässe wurden bekanntlich zum Auslöser der Reformation, denn es waren ja Luthers Thesen gegen den Ablasshandel, die den Stein ins Rollen brachten. Hübsch an der Geschichte war, dass Papst Leo X. von Anfang an unterschätzte, was sich in der fernen Wittenberger Provinz, im dunklen, barbarischen Deutschland zusammenbraute. Im Hintergrund standen die deutschen Beschwerden (Gravamina), weil Deutschland am stärksten an der finanziellen Last trug, denn aus Deutschland flossen im Vergleich mit den anderen katholischen Ländern Europas mit Abstand die größten Summen nach Rom, dem damaligen Zentrum Europas. Demzufolge herrschte in Deutschland auch die größte Unzufriedenheit. Mit anderen Worten: für die einen war der Bau des Petersdomes ein Zeichen für den Triumph der Kirche, für die Gründung eines neuen Jerusalems in Rom, für die anderen schlicht ein Skandalbau. Für Luther und seine Anhänger wurde Rom immer mehr zu Babylon, zum Sündenbabel, und der Bau des Petersdomes verglich der Reformator mit dem Turmbau zu Babylon. Dabei konnte sich Luther und die gesamte protestantischen Propaganda auf einen prominenten Vorgänger stützen, auf den Seher Johannes, der das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung oder Apokalypse verfasst hatte. Auf der Insel Patmos schreibend hatte Johannes Rom bereits mit der großen Hure Babylon verglichen.
Außerdem kannte Luther die römischen Verhältnisse aus eigener Anschauung, denn er hatte als junger Mann eine Pilgerreise nach Rom unternommen. Die Reformation war letztendlich ein Ersatz für die Reform der katholischen Kirche, die auf der Tagesordnung stand, was den Päpsten sehr wohl bewusst war. Es traute sich nur niemand, das heiße Eisen anzufassen. So schob man die fällige Reform lustlos vor sich her, bis sie sozusagen von unten in Angriff genommen wurde.
Als eine Gruppe hoher Geistlicher wie Reginald Pole, großer Dichter wie Vittoria Colonna und Künstler wie Michelangelo sich für eine Reform der Katholischen Kirche einsetzten, wurden sie bekämpft und es entstand die Römische Inquisition – auch das wird im Roman erzählt.
Hübsch ist auch, dass Luthers oberster Ordensvorgesetzter der Augustinergeneral Egidio da Viterbo war. Und Egidio spielt im Roman ja eine wichtige Rolle und kommt natürlich hier besser weg, als wenn man ihn einseitig allein aus protestantischem Blickwinkel sieht.
Ich bedauere natürlich, dass ich Luther keinen Raum im Roman bieten konnte, aber das hätte den Rahmen bei weitem gesprengt, das Buch ist ohnehin schon dick genug geworden, obwohl ich bereits vieles, was ich gern erzählt hätte, unterdrückt habe.

Histo-Couch: Warum ist heute der Name von Bramante nicht mehr so bekannt, im Gegensatz zu Raffael oder Michelangelo?

Sebastian Fleming: Zum einen ist die Überlieferung eine eigensinnige Dame, die sich von niemandem befehlen lässt. Niemand kann wirklich seine Wirkung auf die Nachwelt bestimmen. Zum anderen war Bramante vor allem Baumeister, sein Ruhm bezieht sich vor allem auf seine Bauten, an denen zum Teil andere mitwirkten oder sie fertig stellten. Andere Baumeister wie die Sangallo Familie, der Architektenmönch Fra Giocondo, aber auch der Erbauer des Florentiner Duomos, Arnolfo di Cambio, sind heute kaum jemand ein Begriff. Man kennt Giotto als Maler, weiß vielleicht noch, dass er den Campanile des Duomo entworfen hat, niemand kennt aber Andrea Pisano und Francesco Talenti, die den Campanile fertig gestellt haben. Giotto, Raffael, Michelangelo haben Ruhm als Maler erworben, Michelangelo zudem als Bildhauer. Zu diesem Ruhm gesellte sich dann die Leistung, die sie als Architekten vollbrachten. Wären sie in der Hauptsache als Architekten tätig gewesen, so wären sie der Nachwelt keinesfalls bekannter als Bramante geblieben. Giacomo della Porta und Carlo Maderno, die den Petersdomes weitgehend fertig stellten, kennen auch nur noch Fachleute oder Menschen, die sich speziell für die Errichtung des Petersdomes interessieren.
Mit Bramante etablierte sich erst die Architektur als Kunst, während Malerei und Bildhauerei schon lange den Wettstreit austrugen, wer die vornehmere der beiden Künste sei.

Histo-Couch: Ist es nicht erstaunlich, dass nicht alle Päpste den Bau des Petersdomes gleich stark vorangetrieben haben? Es ist doch das „Aushängeschild“ der katholischen Kirche?

Sebastian Fleming: Eigentlich nicht, denn die Interessen der Päpste gingen zuweilen weit auseinander, zuweilen fehlte es an Geld, dann standen andere Aufgaben im Vordergrund. Es waren ja keine ruhigen Zeiten, sondern Europa fand unter brutalen Auseinandersetzungen zu einer neuen Form. Neue Mächte stiegen auf, die dem Papsttum Konkurrenz machten. Die traumatische Plünderung Roms durch Landsknechte 1527, die unter der Bezeichnung „Sacco di Roma“ in die Geschichte einging, hinterließ Leid, Verwüstung und leere Kassen in der Ewigen Stadt, so dass gar nicht daran zu denken war, am Dom weiterzubauen. Außerdem stieß die Reformation die Katholische Kirche in eine Identitätskrise, sie musste sich sozusagen neu erfinden, und das tat sie auf dem Konzil von Trient. Dieses Konzil war keine gemütliche Versammlung, sondern eine mit allen Mitteln geführte Auseinandersetzung um die Zukunft der Kirche. Einer der wichtigen Reformtheologen, Giovanni Morone, wurde ins finsterste Verließ der Engelsburg gesperrt und nur der Tod des Papstes rettete ihm das Leben. Bevor also das „Aushängeschild“ zu vollenden war, musste inzwischen geklärt werden, wofür es eigentlich stand. Grob gesagt finden sich diese Kontroversen in dem Streit, ob der Dom ein Langbau oder ein Zentralbau wird, wieder. Aber das wird im Buch viel lebendiger anhand leidenschaftlicher Figuren erzählt, als ich das hier theoretisch beschreiben könnte.

Histo-Couch: Sie schildern eindrucksvoll die Arbeiten im Carrara-Marmorsteinbruch. Hat sich der Abbau seit der Zeit sehr verändert, und sind Sie selbst einmal dort gewesen?

Sebastian Fleming: Die Lizzatura beispielsweise, die Holzschlittenbahn, mit der die Blöcke auf Schlitten mit Hanfseilen abgeseilt wurden, ist inzwischen außer Betrieb. Heute werden die Marmorblöcke auf LKWs verladen und ins Tal gefahren. Insofern hat die Technisierung auch hier die Arbeit verändert. Nicht verändert hat sich, dass ein Gespür für den Stein, eine Erfahrung beim Abbau notwendig ist. Denn der Marmor soll keine Risse aufweisen.
Hinzu gekommen als Erwerbszweig ist der Tourismus und vor allem auch die einheimische Produktion von Marmorplastiken.

Histo-Couch: Eine sehr theoretische Frage: Wären Sie gerne an einem bestimmten Punkt beim Bau des Petersdoms dabei gewesen? Hätten Sie gerne eine Persönlichkeit aus Ihrem Buch persönlich kennen gelernt, und wenn ja, wen?

Sebastian Fleming: Die Grundsteinlegung hätte ich sehr gern erlebt, aber noch lieber hätte ich sehr, sehr gern Wochen und Monate – wir wollen ja bescheiden bleiben – damit zugebracht, die alte Petersbasilika mit all ihren Geheimnissen zu durchstöbern, das Bauwerk, das ich mühselig für den Roman rekonstruiert habe, einmal tatsächlich in Augenschein zu nehmen. Nicht nur, aber auch um die Probe aufs Exempel zu machen, wie nahe meine Rekonstruktion der Wirklichkeit gekommen ist. Selbst auf die Gefahr hin, Teile des Romans neu schreiben zu müssen. Das stärkste ist doch immer die Wahrheit.
Der zweite Teil der Frage bringt mich in Verlegenheit. Ich könnte jetzt antworten: alle, sonst kämen sie im Roman nicht vor. Wenn es nichts Interessantes und Einzigartiges gäbe bei einer Figur, über die ich schreibe, fände sie keinen Eingang in die Geschichte. Am Anfang ist jeder Figur, historisch nachweisbar oder erfunden, ein Rätsel und ein Versprechen, ein Geheimnis, dem ich mich nähern kann. Im Grunde suche ich bei jeder Figur nur nach einem, mag sie wenig oder viel Raum im Buch einnehmen, nämlich nach ihrer Seele. Figuren ohne Seele sind Pappmaché. Um so länger ich über Ihre Frage nachdenke, merke ich, dass ich die Frage nicht beantworten darf, schon um die anderen, die ungenannten Figuren nicht ungerecht zu behandeln. Lassen Sie es mich so sagen: ich hätte gern einmal mit Pico della Mirandola über die Kabbala und mit Landino über Dante diskutiert, und Julius II. und Leo X. über den Glauben interviewt. Natürlich hätte ich auch gern Bramante gefragt, wie fertig das Petersdom-Projekt bei ihm im Kopf zu Baubeginn war, doch wäre das nutzlos, weil ich von ihm keine ehrliche Antwort bekommen hätte. Warum das so ist, steht im Roman. Und Michelangelo? Ich habe ihn beim Schreiben auf eine Art und Weise kennengelernt, dass ich zuvor drei Stoßgebete zum Himmel schickte, ihn in einer guten Stunde anzutreffen. Und schließlich habe ich ja alle Figuren im Buch sehr persönlich kennengelernt, viel Zeit mit ihnen verbracht, in die tiefsten Gründe und Abgründe ihrer Herzen geschaut – mehr geht eigentlich nicht.

Histo-Couch: Wie schreiben Sie einen Roman? Fangen Sie vorne an und hören hinten auf, oder verbinden Sie mehrere Stücke miteinander?

Sebastian Fleming: Ich beginne immer mit dem Anfang, ob es am Ende dann wirklich der Anfang ist, erweist sich am Ende. Zuweilen erzwingt der Anfang noch einen Beginn. Da ich mit einem Konflikt einsteige, um die Figuren besser kennenzulernen, kann es sein, dass ich später bemerke, der Konflikt benötigt einen kleinen Vorlauf. Ein wenig von dem, was ich über die Figuren weiß, sollte ich dem Leser mitteilen, bevor ich die Figuren in die Auseinandersetzung schicke. Best offs zu kreieren und sie hinterher zu verbinden, ist nicht meine Methode. Heutzutage wird viel zu viel von der Wirkung her geschrieben und nicht von der Wahrheit der Figuren und der Tiefe der Konflikte aus. Die Wirkung ergibt sich von selbst, wenn ich bei meinen Figuren und ihren Kämpfen bleibe. Das Schreiben unter dem Gesichtspunkt der Wirkung führt nicht zur Wahrheit, sondern zur Aneinanderreihung von Klischees. Da Menschen Klischees lieben, wenn sie nicht verunsichert werden wollen, sondern ihre Weltsicht bestätigt sehen möchten, was legitim ist, ist das sehr erfolgreich. Aber so erfolgreich es ist, so uninteressant ist es für mich. Ob eine Figur sympathisch oder unsympathisch ist, ist für mich keine erzählerische Kategorie, sondern ich möchte die Charaktere in ihrem Handeln, in ihren Prüfungen, in ihren Auseinandersetzungen begleiten. Aus diesem praktischen Grund muss ich ihnen folgen, nacheinander schreiben, um auch von ihnen zu erfahren, wo und wann und durch welche Erfahrungen sie sich verändern. Figuren sind für mich nicht Autors Schachfiguren, sondern lebendige Wesen. Deshalb offenbaren sie sich dem Leser nicht immer sofort, sondern wird auch von ihm ein wenig Geduld und Neugier erwartet.

Histo-Couch: Nach „Arminius“ ist „Die Kuppel des Himmels“ ihr zweiter Roman. Was dürfen Ihre Leser als nächstes erwarten?

Sebastian Fleming: Als nächstes wird wieder ein Sachbuch erscheinen, das sich mit den Geheimen Religionen beschäftigt. So wird es auch heißen: „Die geheimen Religionen“. Die Arbeit an dem Sachbuch, das ich gegenwärtig abschließe, konfrontierte mich mit so vielen faszinierenden Geschichten, die geradezu danach schreien, erzählt zu werden. Sie sehen mich in dieser Arbeit sehr vergnügt, denn die Recherche zeigte mir wieder, dass die wenigsten wirklich guten Geschichten bis heute erzählt sind. So dass der Verlag und ich gegenwärtig über das Thema eines neuen Romans nachdenken. Soviel aber darf ich verraten, dass ich sehr gern wieder den Roman einer Epoche schreiben würde, wie es „Die Kuppel des Himmels“ so ganz nebenbei auch ist, nämlich der Roman über die Hochrenaissance.

Das Interview führte Carsten Jaehner.

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