Kate Morton

11.2018 Die Histo-Couch im Interview mit Kate Morton über englische Häuser, Charles Dickens und dem Springen zwischen mehreren Zeitebenen.

Mein Ziel ist es, immer darüber zu schreiben, was ich liebe

Histo-Couch: Frau Morton, in Ihren Romanen spielen zumeist alte Häuser in England eine Rolle. Haben Sie persönlich ein Faible für alte Herrenhäuser?

Kate Morton: Ich liebe Häuser, sowohl architektonisch als auch ästhetisch, aber als Geschichtenerzählerin interessiert mich vor allem ihre Verbindung mit den Menschen – ihre Rolle als Zuhause. Sie sind Orte der Erinnerungen und Hüter von Geheimnissen, und ich finde sie unwiderstehlich.

Histo-Couch: Wieso wählen Sie als gebürtige Australierin jeweils Schauplätze in Grossbritannien aus. Was verbindet Sie mit Grossbritannien?

Kate Morton: Ich bin fasziniert von englischer Geschichte und finde die Landschaft einfach herrlich; und, für eine Autorin, die alte Häuser so sehr liebt wie ich es tue, ist England ein sehr inspirierender Ort, um meine Bücher dort stattfinden zu lassen.

Histo-Couch: In Ihrem Roman „Die Tochter des Uhrmachers“ spielt Birchwood Manor eine zentrale Rolle – Sie verbinden mit dem Haus eine höchst wechselhafte Geschichte. Gibt es dafür ein konkretes Vorbild?

Kate Morton: Ich habe tatsächlich viele existierende Häuser besucht, während ich „Birchwood Manor“ entwickelt habe. Zwei der beeindruckendsten waren „Avebury Manor“ aus dem frühen 16. Jahrhundert, das einem das unglaubliche Gefühl von mehreren sich übereinanderliegenden Zeitschichten vermittelt, inmitten einer Gruppe neolithischer Steinkreise; und „Kelmscott Manor“, das einmalige Landhaus von William Morris (und seiner Frau, Jane Morris, sowie des Freundes Dante Gabriel Rossetti).

Histo-Couch: Durch die Figur der Uhrmacher-Tochter und deren Schicksal kommt eine starke Note von Charles Dickens Roman „Oliver Twist“ auf – ist diese Anlehnung gewollt?

Kate Morton: Ich bewundere Dickens, und das Viktorianische Zeitalter ist eine meiner liebsten Epochen. Es war wirklich eine Freude, die Düsternis und die verschmutzten Straßen von Covent Garden zum Leben zu erwecken, als die Tochter des Uhrmachers dort die Geschichte ihrer Kindheit erzählt.

Histo-Couch: Durch Birdie und auch Ada Lovegrove spielen Kinder eine wichtige Rolle in Ihrem Roman, während Sie bisher meist auf erwachsenen Protagonisten setzten. Was hat Sie zu den Kindern gebracht?

Kate Morton: Ich genieße es, aus der Perspektive eines Kindes zu schreiben Kinder sehen gewöhnlich mehr als Erwachsene, auch wenn sie es noch nicht verstehen – und in „Die Tochter des Uhrmachers“, mit dem Fokus auf das Thema der Zeit und die Art und Weise, wie diese vergeht und sich mit der Gegenwart verknüpft, hatte ich zusätzlich das Vergnügen, einige meiner jungen Charaktere als Erwachsene in den fortgeschrittenen Handlungssträngen wiederzutreffen.

Histo-Couch: Sie jonglieren – wie schon in früheren Romanen – stark mit den verschiedenen Zeitebenen. Welche Szenerie ist Ihnen persönlich die Liebste?

Kate Morton: „Die Tochter des Uhrmachers“ ist sicherlich mein bisher komplexester Versuch, so viele verschiedenen Zeitebenen zu bemühen, und ich habe es geliebt, so viele Charaktere zum Leben zu erwecken, die alle im Laufe der Jahrhunderte Birchwood Manor ihr Zuhause nennen und deren Leben sich überkreuzen, um die Antwort auf das Geheimnis im Mittelpunkt des Romans zu finden. Das gab mir auch die Gelegenheit, ganz verschiedene meiner bevorzugten Epochen zu besuchen – das Viktorianische Zeitalter, den Ersten und Zweiten Weltkrieg – ohne dass ich mich auf eine hätte beschränken müssen.

Histo-Couch: In „Die Tochter des Uhrmachers“ kommt ein stark übersinnliches Element zum Tragen: bewegen Sie sich langsam in Richtung Fantasy-Genre?

Kate Morton: Ich empfinde die Spannung zwischen verschiedenen Zeiten als unwiderstehlich, und ich halte immer Ausschau nach Wegen, den Einfluss der Vergangenheit auf  die Gegenwart zu erkunden. Der Charakter der Uhrmacherstochter, meine Erzählerin, mit ihrem ungewöhnlichen Blickwinkel, ermöglichte mir einen ganz neuen Weg, damit umzugehen, und obwohl ich es liebte, sie zu erfinden und zu schreiben (und ich sie vermisse, seit ich den Roman beendet habe), so bedeutet sie jedoch keinen entscheidenden Genrewechsel.

Histo-Couch: Ihre Romane werden vorwiegend von einem weiblichen Publikum verschlungen – und es sind auch vorwiegend weibliche Figuren, die den Romanen Leben einhauchen. Hat es Sie noch nie gereizt, ein Buch mit typisch männlicher Note zu schreiben?

Kate Morton: Ich liebe es, über vielschichte Charaktere zu schreiben, ob männlich oder weiblich, aber ich plane nicht, mich auf männliche Protagonisten an sich zu konzentrieren.

Histo-Couch: In ihren Romanen spielen oft zahlreiche Charaktere eine Rolle – so auch in „Die Tochter des Uhrmachers“. Für die Leserinnen ist es da nicht immer ganz einfach, den Überblick zu behalten. Weshalb gehen Sie so stark in die Breite?

Kate Morton: Ich mag es, dass meine Vorstellungskraft genauso facettenreich und vielschichtig wie mein wirkliches Leben ist, und in „Die Tochter es Uhrmachers“, einem Buch, dass die Übergänge der Zeit an einem einzigen Ort erkundet, scheint es unvermeidlich zu sein, dass die zentrale Geschichte von verschiedenen Stimmen erzählt werden sollte. Wir hören von einer ganzen Anzahl von Charakteren, die Birchwood Manor im Laufe von eineinhalb Jahrhunderten ihr Zuhause genannt haben, und deren Leben sich über die Zeiten hinweg überschneiden, um die Antwort auf das Geheimnis im Mittelpunkt des Romans zu finden.

Histo-Couch: Nicht alle Romane stossen auf das selbe Echo. Spielt es für Sie eine Rolle, wie die Leserinnen Ihr letztes Buch aufgenommen haben, wenn Sie an einem neuen Roman arbeiten?

Kate Morton: Mein Ziel ist es, immer darüber zu schreiben, was ich liebe. Es ist unmöglich, jeder/m Leser/in zu jeder Zeit gerecht zu werden, oder den nächsten Zeitgeist in der Literatur zu erahnen. So ist es am Wichtigsten, dass ein/e Autor/in in seiner/ihrer Wahl authentisch bleibt.

Histo-Couch: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die erste Ausgabe eines neuen Romans in den Händen halten? Warten Sie nervös auf die ersten Publikumsreaktionen oder haben Sie für sich das Projekt längst abgeschlossen?

Kate Morton: Nachdem ich an einem Roman so lange gearbeitet und so viel Liebe und Gedanken in die Entstehung investiert habe, hoffe ich, dass er die richtigen Leser erreichen wird – Menschen, zu denen diese Geschichte sprechen und in deren Vorstellungskraft er lebendig wird. Aber unabhängig davon wie der Roman wahrgenommen wird, wenn einmal neue Ideen zu flüstern begonnen und mein Verstand und mein Herz von einer neuen Geschichte eingenommen sind, dann bin ich zufrieden damit, die alte hinter mir zu lassen.

Histo-Couch: War es Ihr Traum, eine erfolgreiche Autorin zu werden, oder sind Sie eher zufällig zum Schreiben gekommen?

Kate Morton: Ich verliebte mich schon als Kind in das Lesen, und ich liebte nichts mehr, als ganz innerhalb der Welt eines Buches zu verschwinden. Ich fing zu schreiben an, um dieses Gefühl zurück zu erobern – und ich hatte wirklich keine großen Träume, jemals publiziert zu werden.

Histo-Couch: Was sehen Sie, wenn sie am Schreiben sind und aufblicken? Welches Bild bietet sich Ihnen da?

Kate Morton: Ich bin mal hier und mal da, wenn ich arbeite, so dass die Aussicht immer wieder eine andere ist. Aber der Schreibtisch in meinem Büro geht genau auf ein Fenster in einer Backsteinmauer raus, was vielleicht uninspirierend klingen mag, bis auf die Tatsache, dass ich viktorianische Mauersteine ziemlich hübsch finde. Manchmal passiert es, dass ein Rotkehlchen im Blumentopf auf der Fensterbank ein Nest gebaut hat, was natürlich eine wunderbare Ablenkung ist.

Histo-Couch: Wie vereinen Sie das Leben als Autorin mit dem Familienleben? Gibt das nicht manchmal Konflikte?

Kate Morton: Ich tendiere nicht dazu, in Schubladen zu denken: Meine Charaktere und ihre Welt sind immer in meinem Kopf, auch wenn ich nicht an meinem Schreibtisch bin. Umgekehrt, wenn ich am Schreibtisch sitze, bin ich in der Lage, ziemlich produktiv zu sein, auch wenn meine Kinder ständig um mich herum sind.

Histo-Couch: Arbeiten Sie an einem neuen Buch? Wenn ja, worum handelt es sich?

Kate Morton: Ich wünschte, ich könnte schon etwas dazu sagen! Aber leider bin ich sehr monogam, wenn es ans Schreiben geht, und ich finde es einfach ganz undenkbar mit einem neuen Buch zu beginnen, wenn ich immer noch auf Lesereise bin und über den jüngsten Roman spreche. Doch ich habe gerade die ersten aufregenden Anzeichen von Begeisterung gespürt, was bedeutet, dass die ersten neuen Ideen nach ihrer Aufmerksamkeit verlangen.

Das Interview führte Rita DellAgnese im Februar 2018.
Übersetzung: Julia Jerosch
Fotos: © ddp images, Alexander Domanski

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