Das Schicksal der Henkerin

  • Lübbe
  • Erschienen: August 2020
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Carsten Jaehner
781001

Histo-Couch Rezension vonJul 2021

Auf der Suche nach dem totgeglaubten Bruder

Rottweil, Januar 1340. Die ehemalige Henkerin Melisande hat eine Nachricht von ihrem Bruder Rudger bekommen, der eigentlich seit Jahren tot ist. Er sitzt im Kerker von Esslingen, und natürlich will sie ihn befreien, sagt aber ihrer Familie nichts davon, weder ihrem Ehemann Wendel, noch ihren beiden Kindern Gertrud und Antonius. Zudem stellt sie fest, dass sich Burckardt Wolff die Stelle des Truchseß der Adlerburg unter den Nagel gerissen hat.

Die Adlerburg gehörte einst Melisandes Erzfeind, Ottmar de Bruce, doch nun ist Ottmar Sohn mit dem gleichen Namen, ein Achtjähriger, Herrscher der Burg, doch in seinem Namen herrscht dessen älterer Halbbruder Nicklas, der allerdings spurlos verschwunden ist. Melisande ahnt, dass Wollf beide Nicklas und Ottmar aus dem Weg schaffen will, um selbst Herrscher der Adlerburg zu werden. Doch dazu muss sie Nicklas finden und befreien und Ottmar aus den Händen von Wolff entreissen, ehe er ihn beseitigen kann. Doch zunächst will sie ihren Bruder finden. Doch auch ihre Kinder reissen von zu Hause aus, um ihre Mutter zu suchen, und in diesem Winter gibt es Kinderentführer, die Lösegeld erpressen. Viel zu tun für Melisande und ihren Mann Wendel, der unabhängig von ihr nach den Kindern sucht. Niemand ahnt irgendetwas von dem jeweiligen anderen. Und doch beginnt ein Wettspiel um die Zeit, denn nicht nur der Winter ist kalt und gnadenlos.

Viele Handlungsstränge, hohes Erzähltempo

Sieben Jahre nach dem zweiten Teil „Die Tränen der Henkerin“ schickt das Autorenpaar Sabine Martin seine Protagonistin Melisande ein drittes Mal in weitere Abenteuer. Im Roman sind derweil acht Jahre vergangen, Melisande und ihr Mann Wendel sind inzwischen Eltern der Kinder Gertrud und des Jungen Antonius, die beide nichts von der grausamen Vergangenheit ihrer Mutter wissen. Melisandes gesamte Familie wurde einst von Ottmar de Bruce ausgelöscht, daher ist sie erstaunt, nun von ihrem totgeglaubten Bruder Rudger eine Nachricht zu bekommen. Er war damals der einzige, dessen Tod sie nicht beobachten konnte, und so macht sie sich unter Ausreden auf den Weg von Rottweil nach Esslingen, wo Rudger in einem Kerker sitzen soll. Es ist Winter, das Land ist tief verschneit, Wendel ist unterwegs und die Kinder werden allein zu Hause zurückgelassen.

Es kommt, wie es kommen muss: die Kinder folgen der Mutter, Wendel erfährt bei seiner Rückkehr von anderen Bewohnern von der Entführung von Kindern, die in der Gegend stattfinden sollen, und seine eigenen sind auch nicht zu Hause. Hier schafft das Autorenpaar eine um die andere aussichtslose Situation, aus der sich die Protagonisten selbstverständlich befreien können. Immer wenn man denkt, jetzt kann es nicht mehr schlimmer kommen, kommt es doch noch schlimmer. Das verschafft dem Roman zwar ein hohes Tempo, allerdings kann man wegen der häufigen Perspektivwechsel auch schon einmal durcheinander kommen. Fast jedes Kapitel endet mit einem Cliffhanger, so dass man unwillkürlich weiterlesen muss, aber dieses Mittel ist bald durchsichtig und aufgebraucht, was schade ist, denn es wird hier wirklich inflationär angewandt. Man hätte dem Leser gerne mal eine Pause gönnen können.

Stereotypen

Die Figuren sind allzu typisch entweder gut oder schlecht, Nuancen zwischen diesen Farben gibt es nur wenige. Melisande als Hauptfigur ist eine rothaarige Frau, die allein wegen ihrer Haarfarbe auffällt, sich aber deswegen auch durchsetzen muss und dies auch tut – sie gerät dauernd in aussichtslose Situationen, kann sich aber immer irgendwie daraus befreien oder wird befreit, je nachdem. Sie ist eine taffe Heldin, und ihre beiden Kinder, die sich nicht unbedingt altersgemäß verhalten, sind es ebenfalls. Ehemann Wendel zweifelt an seiner Frau, an ihrer Treue und ihrer Ehe, was soll er auch sonst tun, da er nicht weiß, worum es eigentlich geht. Am Ende gerät auch er noch in Lebensgefahr, es wird nichts ausgelassen.

Die „Bösen“, allen voran Burckhardt Wolff (schon zu erkennen an der Schreibweise mit vielen unnötigen Konsonanten im Namen) sind abgrundtief böse und ohne nennenswerte Facetten ausgestattet. Wolffs Handlanger sind, fast schon klischeemäßig, nicht immer die hellsten und denken nicht selbständig. So entwickelt sich die Handlung bis zum Ende, wo es noch einmal um Leben und Tod geht und die Gerechtigkeit ihren nicht überraschenden Lauf nimmt.

Weniger wäre mehr

Trotz seiner vielen Handlungsstränge kann der Leser dem Geschehen immer folgen, die Autoren haben einen flotten Schreibstil, der der Zeit angepasst ist und daher nicht unangenehm auffällt. Sie denken immer daran, dass Winter ist und man nur schwerlich vorankommt und sichtbare Spuren hinterlässt, tappen hier nicht in selbstgelegte Fallen und behalten immer den Überblick, wer gerade was macht und wo das ganze womöglich hinführen soll. Am Ende werden alle Fäden zusammengeführt, keine Fragen bleiben offen. Gerne hätten es aber ein paar Handlungsschleifen weniger sein dürfen und daher etwas mehr Tiefgang haben dürfen. Manchmal ist weniger eben mehr. Ein Glossar und eine Karte der Schwäbischen Alb ergänzen den Roman.

Fazit:

„Das Schicksal der Henkerin“ bietet solide Unterhaltung für LeserInnen, die bereits die beiden Vorgänger gelesen haben, deren Lektüre vor diesem Band empfohlen wird, damit einige Zusammenhänge besser erkennbar sind. Die Historie wird gut dargestellt, die Charaktere hätten gerne mehr Facetten haben dürfen. Trotzdem eine schöne Geschichte aus dem Winter 1340. Insgesamt der schwächster der drei „Henkerinnen“-Romane.

Das Schicksal der Henkerin

Sabine Martin, Lübbe

Das Schicksal der Henkerin

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