Thomas Ziebula

„Recherche bedeutet vor allem: Lesen, lesen, lesen“

02.2017 Die Histo-Couch im Interview mit Thomas Ziebula über Magdeburg, seine Romane und eigene Kampftechniken.

Histo-Couch: Herr Ziebula, „Die rote Löwin“ ist ihr dritter historischer Roman, sie haben auch Romane in den Genres Science Fiction, Thriller und Fantasy geschrieben. Haben Sie ein Lieblings-Genre?

Thomas Ziebula: Zwei: Lyrik, Kurzprosa und darin die Satire; als drittes folgt Fantasy. Historische Romane schreibe ich auch sehr gern, doch es ist wahnsinnig anstrengend und wird schlecht bezahlt.

Histo-Couch: Was unterscheidet die Arbeit an historischen Romanen von der Arbeit an anderen Genres?

Thomas Ziebula: Ich muss mindestens zehnmal soviel Recherchearbeit leisten.

Histo-Couch: Ihre ersten beiden historischen Romane spielten während des Dreißigjährigen Krieges, der aktuelle Roman zu Beginn des 13. Jahrhunderts. Warum der Wechsel?

Thomas Ziebula: Ich plane seit langem eine Erzählung, die vor dem Hintergrund des Magdeburger Domneubaus spielt. Die Bauarbeiten begannen 1207 nach dem in der „Löwin“ geschilderten Brand. Die Geschichte Magdeburgs interessiert mich sehr, dort habe ich mich ja schon in „Die Hure und der Spielmann“ über viele Kapitel „aufgehalten“. Während der Recherchearbeit zum Dombauroman fragte der Verlag an, ob ich einen kürzeren Mittelalteroman einschieben könnte. Also lag es – schon aus purer Faulheit – nahe, die „Löwin“ in dieselbe Zeit wie den Dombauroman zu setzen. So konnte ich auf meine Rechercheergebnisse zurückgreifen.

Histo-Couch: Die Hauptfigur des Romans ist die 18jährige Rubina, genannt Runja. Gibt es für ihre Figur reale Vorbilder?

Thomas Ziebula: Nein.

Histo-Couch: In den zwei Jahren, die der Roman umspannt, hat Runja einiges durchzustehen. Wie realistisch ist ihr Roman?

Thomas Ziebula: Kaum eine realistische Biographie, in der sich einschneidende Ereignisse nicht manchmal in einem kurzen Zeitraum drängen, oder?

Histo-Couch: Der „Böse“ in ihrem Roman, Domdekan Laurenz von Magdeburg, geht für sein Ziel, Bischof zu werden, sprichwörtlich über Leichen. Warum erkennt er nicht den eigenen Widerspruch zwischen dem christlichen Berufsbild und dem äußerst unchristlichen Weg dahin?

Thomas Ziebula: Das sollte man ihn mal fragen, wirklich wahr. Ihn und unzählige Männer mit ähnlichen Schwächen und Lastern, die sich auf der Bühne der Kirchengeschichte getummelt haben. Und nicht nur christliche Würdenträger fallen durch solche Widersprüche auf. Ein Blick in Geschichte und Gegenwart zeigt, dass auch Politiker, Wirtschaftsbosse, Sportler etc. gern und leicht einen Weg finden, sich den Widerspruch zwischen Berufsethos und gelebter Wirklichkeit glatt zu reden. Laurenz verkörpert also nur ein Stück verbreiteter menschlicher Existenzweise.

Histo-Couch: Gab es wirklich solche Orden wie den „Orden der Vollstrecker“? Der ist sehr brutal und erinnert an Filme, die sonst versteckt im Nachtprogramm laufen.

Thomas Ziebula: Die sogenannten Assassinen pflegten den politischen Mord im mittelalterlichen Orient. Von ähnlichen Orden innerhalb der abendländischen Kirche berichten weder Chroniken, noch zeitgenössische Briefe und Aufzeichnungen. Doch was heißt das schon?

Histo-Couch: Der Roman könnte nichts für schwache Nerven sein, ihre Charaktere gehen bisweilen sehr brutal vor, was sie detailliert beschreiben …

Thomas Ziebula: Das stimmt. Auch das Tempo und die Cliffhanger sind stellenweise „brutal“. Ich hatte formale Vorgaben, die nach einem Thriller verlangten.

Histo-Couch: Wie sehen Recherchearbeiten für solch einen Roman aus? Beherrschen sie selbst einige Kampftechniken? Haben Sie schon mal eine Armbrust benutzt?

Thomas Ziebula: Noch nie, da musste ich mich schon gründlich einlesen. Kampftechniken beherrsche ich allerdings: ich bin seit ein paar Jahren Kung Fu Schüler. Recherche bedeutet vor allem: lesen, lesen, lesen. Das Netz ist zwar äußerst hilfreich, doch um das physische Buch kommt keiner herum, der genau wissen will, worüber er schreibt.

Histo-Couch: Wie sind Sie auf den historischen Hintergrund in Magdeburg gestossen, und haben Sie vor Ort recherchiert?

Thomas Ziebula: Ich war zweimal in Magdeburg und werde für den nächsten Roman sicher noch öfter dorthin zurückkehren. Die Kirchengeschichte Magdeburgs und die Namen der jeweiligen Amtsinhaber sind recht gut dokumentiert. Die Stadt hat eine ausführliche Chronik ins Netz gestellt. Richtig gut.

Magdeburg interessiert mich, seit ich für die Recherchen zum „Gaukler“ und zu „Die Hure und der Spielmann“ über die Belagerung und Vernichtung der Stadt durch Tillys Soldaten im Mai 1631 gelesen habe. Mich beeindruckt, wie hartnäckig und eigensinnig die Magdeburger Bürger sich schon im Mittelalter gegen die kirchliche Obrigkeit durchgesetzt und ihnen ziemlich früh stadtbürgerliche Rechte abgetrotzt haben. Und wie diese Stadt buchstäblich aus Ruinen auferstanden ist. Freilich, ohne die alte Größe je wieder zu erreichen. Ohne Tilly und den 30jährigen Krieg hätte Magdeburg heute sicher die Bedeutung Hamburgs oder Kölns.

Histo-Couch: Wie lange haben Sie an dem Roman gearbeitet. Länger als für jene aus den anderen Genres?

Thomas Ziebula: Ja, länger. Allerdings nicht so lange, wie etwa am „Gaukler“. Die „Löwin“ ist ja kürzer, und ich hatte, wie gesagt, schon eine Menge Recherchearbeit für den nächsten Magdeburg-Roman erledigt, bevor mir der Auftrag zur „roten Löwin“ vor die Füße fiel.

Histo-Couch: Zu Beginn des Romans steht ein Vers in mittelhochdeutsch. Was fasziniert Sie daran?

Thomas Ziebula: Das Hohelied der Liebe aus dem Ersten Korintherbrief scheint mir ein abendländischer Schlüsseltext zu sein. Am Mittelhochdeutschen fasziniert mich, wie weit es von dem Deutsch entfernt ist, das wir heute – oder soll ich sagen: im Augenblick? – sprechen. Eine Leserin, Studentin der Germanistik, hat mir die zitierte Textstelle gemeinsam mit ihrem Professor ins Mittelhochdeutsche übertragen. Meines Wissens ist es die erste Version der Paulusworte in dieser Sprache. Ich erzähle das gern. Es macht mich dankbar.

Histo-Couch: Hatten Sie Mitspracherecht bei der Gestaltung des Covers?

Thomas Ziebula: Cover und Klappentexte überlasse ich dem Lektorat und dem Marketing. Die verstehen mehr davon als ich. Klar habe ich es vorher gesehen; und hatte nichts dagegen einzuwenden, wenn ich mich recht erinnere.

Histo-Couch: Der Roman ist mit Personenregister, Zeittafel, Landkarte, Glossar und Nachwort üppig ausgestaltet. Stammt das auch alles von Ihnen?

Thomas Ziebula: Die Karte nicht. Für die habe ich nur eine Skizze anfertigt. Der Rest stammt natürlich von mir – allerdings ist es keine Kunst mit Hilfe von Büchern ein Glossar und eine Zeittafel zu erstellen.

Histo-Couch: Wenn Sie die Möglichkeit hätten, bei einer Szene in dem Roman dabei sein zu können, welche wäre das?

Thomas Ziebula: Die zweite Bettszene mit Pirmin und Runja. Selbstverständlich ohne Pirmin.

Histo-Couch: Im Nachwort deuten Sie bereits einen weiteren historischen Roman an. Können und dürfen Sie da schon mehr verraten?

Thomas Ziebula: Wie schon erwähnt: Der nächste Roman war längst geplant, als mir angeboten wurde, „Die rote Löwin“ zu schreiben. Mein Verlag brauchte den Roman für die Zusammenarbeit mit einem Internetverleger, der ihn scheibchenweise über eine Streamingplattform veröffentlichen wollte – um Menschen zum Lesen zu animieren, die mit ihrem Smartphone verheiratet sind. Deswegen auch die Kürze und die straffe Form: 3 mal 120 Seiten à zehn Kapitel à zwölf Seiten.

Der nächste Roman heißt „Die Kathedrale des Lichts“. Die Erzählung setzt knapp zwanzig Jahre nach dem Brand ein, mit dem „Die roten Löwin“ endet und spielt vor dem Hintergrund des Domneubaus bis etwa zum Jahr 1240. Um diese Zeit nämlich entstand der „Schwarze Ritter“, ein Bildnis des Stadt- und Domheiligen Mauritius. Stellen Sie sich einen Schwarzafrikaner in Ivanhoe-Dress vor. Zu bewundern im Chor des Magdeburger Doms. Als ich den sah, fing ich Feuer und wollte über ihn schreiben.

Die männliche Hauptfigur wird wieder ein Wende sein, die weibliche die Tochter eines schwäbischen Baumeisters. Und: Dieser Roman wird wieder die gewohnte epische Breite haben. Möglicherweise wird man ihm dennoch anmerken, dass sein Autor inzwischen gelernt hat, auf knappem Raum einen historischen Thriller zu entfalten.

Das Interview führte Carsten Jaehner.

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