Einige aber doch

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  • Erschienen: September 2019
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Jörg Kijanski
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Histo-Couch Rezension vonOkt 2019

Widerstand gegen Hitler durch die Rote Kapelle

Im Jahr 2012 erschien Sabine Friedrichs monumentales Werk „Wer wir sind“, welches sich mit dem deutschen Widerstand im Nationalsozialismus auseinandersetzt. Dabei spannt sich der hoch interessante Erzählbogen von der so genannten „Roten Kapelle“ über die „Weiße Rose“, den „Kreisauer Kreis“ bis hin zu der für den Anschlag am 20. Juli 1944 verantwortlichen Widerstandsgruppe (Stauffenberg). Allein, das gewaltige Opus war für die Masse des Lesepublikums eher ungeeignet, hatte es doch eine Länge von über 2.000 Seiten. Vor diesem Hintergrund erfolgte – auch auf Wunsch des Verlages – eine Neubearbeitung des Textes, um ein breiteres Publikum zu erreichen. Geplant sind drei Bände, von denen der erste „Einige aber doch“ im September 2019 veröffentlicht wurde.

„Da hocken sie bei Torte und Berliner Weiße mit Schuss, die hungernden Massen sind ihnen gleichgültig, das Schicksal Deutschlands ist ihnen schnuppe, sie kriegen noch nicht einmal mit, dass sie selbst mitsamt ihrer kleinen Welt im Begriff stehen, hinweggefegt zu werden von der neuen Sorte Geschmeiß, das der Demokratismus gezüchtet hat: dem persönlich beleidigten, ewig zu kurz gekommenen Kleinbürger, übelnehmerisch, neidisch, ressentimentzerfressen und wild darauf, die Republik zu zerschlagen, die ihn hervor gebracht hat.“

Die von der Gestapo als „Rote Kapelle“ bezeichnete Widerstandsgruppe bestand aus zahlreichen Kommunisten und Marxisten, die aus unterschiedlichen Motivationen heraus ihren Kampf gegen das Regime und vor allem Hitler suchten. Es geht im Wesentlichen um die Familien der Schulze-Boysens, der Harnacks und der Kuckhoffs, später auch der Coppis. Deren Umfeld und persönliche Verflechtungen untereinander werden teils haarklein beschrieben, durch die unfassende Zahl erwähnter Personen, wird auch der vorliegende Roman mit seinen nur rund 400 Seiten eine Herausforderung. In dem abschließenden Personenverzeichnis werden laut einer Fußnote nur jene Menschen genannt, die in dem Roman eine Erwähnung finden. Also bei weitem nicht das gesamte Umfeld der „Roten Kapelle“, dennoch erstreckt sich das Personenverzeichnis auf fünfzehn Seiten.

Der Ausblick auf das unausweichliche Ende bedrückt

Harro Schulze-Boysen ist 23 Jahre jung, Herausgeber der Zeitung „Gegner“ und träumt von einer neuen Zeit unter Führung einer elitären Gruppe. Nicht die Parteien bringen den Segen, sondern kleine Gruppen der bündischen Jugend, aus denen sich die geistigen Führer von selbst ergeben. So kann „wahrer Sozialismus“ entstehen, selbstredend mit ihm an führender Position. Später wird er Offizier der Luftwaffe, hat somit Zugang zu teils wichtigen Informationen. Seine zunehmend offene Beziehung mit seiner Frau Libertas stellt überraschend wenige Probleme dar, sein zunehmend unvorsichtiges Zugehen auf die russische Seite hingegen schon. Mit nur 33 Jahren stirbt er in Plötzensee durch den Strang. Ein Schicksal, welches die meisten seiner Weggefährten teilen werden und welches die Autorin bereits im Prolog vorweg nimmt.

Neben Schulze-Boysen spielen Arvid und Mildred Harnack eine wichtige Rolle, die sich in Wisconsin/USA kennen lernen. Sie arbeitet als Literaturwissenschaftlerin, er als Nationalökonom zunächst als Erster Sekretär in der Arplan, der Arbeitsgemeinschaft zum Studium der sowjetischen Planwirtschaft. Denn „der Kapitalismus muss zwangsläufig nach Phasen der Hochkonjunktur immer wieder Zeiten extremen Niedergangs und Elends produzieren“. Hierzu will er Alternativen entwickeln.

Greta Kuckhoff kennen die Harnacks noch aus Amerika, während ihr Mann Adam ebenfalls publizistisch tätig ist. Er gibt die „Tat“ heraus und arbeitet später im Ministerium von Reichsmarschall Göring, dort zuständig als Referent für fremde Luftflotten.

„Sie haben ja jetzt erst von all den Ungeheuerlichkeiten erfahren, die ihre Freunde begangen haben. Wenn Sie davon gewusst hätten, hätten Sie sie dann angezeigt?“

„Niemals. Dann wäre ich ja wirklich so niederträchtig, wie Sie mich hier hinstellen wollen.“

Kontakte auch in führende Kreise des Staatssystems haben die Widerständler durchaus, später auch zur sowjetischen Botschaft, die ihr zum Verhängnis werden soll. Ein Funkgerät wird zur Verfügung gestellt, doch den Nazis gelingt es, einen Code zu dechiffrieren. Der Anfang vom Ende ist besiegelt. Die letzten rund hundert Seiten schildern die Verhaftungen der Protagonisten und ihres Umfeldes sowie deren Hoffen und Bangen. Beklemmend für den Leser ist besonders dieses letzte Viertel des Romans, denn Hoffnung auf ein Überleben gibt es nur für ganz wenige Personen. Als ultimativ-abstoßender Kontrapunkt wirkt dann das schon erwähnte abschließende Personenverzeichnis, aus dem einmal mehr entnommen werden kann, dass hochrangige Nazis wie Gestapo-Kommissar Johannes Strübing oder der Vertreter der Anklage, Oberkriegsrichtsrat Manfred Roeder (mitverantwortlich für über 40 Todesurteile), nach dem Krieg oft unbehelligt weiterleben und arbeiten konnten. Sei es nach 1945 beim Bundesamt für Verfassungsschutz (Strübing) oder zwanzig Jahre später als stellvertretender Bürgermeister in einer hessischen Gemeinde (Roeder).

Fazit:

Der Roman ist ein Extrakt aus „Wer wir sind“ und gleichwohl ein eigenständiges Werk, das sich tiefgründig mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus auseinandersetzt. Dabei wir die eher unbekannte „Rote Kapelle“ in den Fokus der Erzählung gestellt, wodurch auch diese (einmal mehr) nachträglich eine Würdigung ihres Widerstandes erfährt. Wer sich für die Geschichte des Dritten Reiches und/oder des deutschen Widerstandes interessiert, sollte hier zugreifen, auch wenn die Lektüre mitunter anstrengend und beklemmend ist.

Einige aber doch

Sabine Friedrich, dtv

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