Ein guter Blick fürs Böse (Ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross 4)
- Lübbe
- Erschienen: Januar 2013
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- Lübbe, 2012, Titel: 'A Particula Eye for Villainy', Originalausgabe
Nebel und Gaslicht allein reichen nicht
Wie in ihren vorherigen Werken führt Ann Granger ihre Leser wieder in die gute alte Zeit. Die gute alte Zeit, in der nachts die Gaslichter entzündet wurden und sich die Familie im Dezember vor dem Kaminfeuer versammelte. Die gute alte Zeit, in der unverheiratete Frauen bei missgelaunten alten Tanten unterkriechen mussten, um so als Gesellschafterin ihr Dasein zu fristen und sich ansonsten in der Tugend übten, in der Kirche zu schweigen.
Auch wenn Ann Granger gerne bereit ist, die Zeit um den Ausgang des 19. Jahrhunderts in Pastellfarben zu malen, versteht sie bei diesem Thema keinen Spaß: Die Rolle der Frau in dieser Epoche. Stand im letzten Krimi um das Ermittler-Duo Lizzie Martin und Benjamin Ross noch der goldene Käfig einer verheirateten Frau im Vordergrund, so befasst sich dieser Krimi außerhalb der eigentlichen Mörderjagd mit der Wahl eines standesgemäßen Gatten und der Rolle der Frau als dessen Verlobten. Andererseits aber auch mit dem Schicksal, dass ihr bevorstand, wenn es ihr nicht gelang einen zumindest in finanzieller Hinsicht möglichst potenten Gatten zu erhaschen. Diese Kritik des viktorianischen Zeitalters wird im Zuge von Rückblicken auf den Werdegang der mittlerweile glücklich verheirateten Lizzie geäußert, die nur ihre Ehe vor den Fängen einer herrschsüchtigen Tante bewahrte, die jetzt notgedrungen andere Gesellschafterinnen waidlich traktieren muss. Nein, gerade für Frauen war die gute alte Zeit alles andere als gut.
Alles eine Frage der Moral
Ein anderer Punkt, den Granger anspricht, ist die Frage der Sexualmoral im viktorianischen Zeitalter. Was wäre, wenn ein grundsätzlich ehrenwertes also nach damaliger Einschäzung - makelloses junges Mädchen an der Schwelle zu einer vorteilhaften Verbindung durch ein Familiengeheimnis beschmutzt werden könnte und wie weit würde die Familie gehen, um dieses Geheimnis zu decken? Insbesondere wenn dieses Geheimnis nicht nur eine kriminele Handlung umfassen würde, die ja in den besten Familien vorkommen kann - sondern eine - nach damaliger Auffassung - sexuelle Andersartigkeit?
Bei dieser Konstellation hätte sich eine großartige Möglichkeit geboten, die Stigmatisierung Homosexueller in der damaligen Gesellschaft zu thematisieren. Leider ist es aber der Autorin nicht gelungen, aus diesem Thema ein spannendes Leitmotiv zu bilden. Granger beschränkt sich vielmehr auf die Andeutung dunkler Geheimnisse. Die Motive und Hintergründe bleiben dabei regelmäßig im Hintergrund und so gelingt es ihr zwar, eine mysteriöse Grundstimmung zu schaffen, die aber abschließend ungeklärt im Dunkeln verbleibt.
Der kreißende Berg gebar eine Maus
Nach dem Auftritt von mysteriösen und verruchten Frauen, die offensichtlich auf ein bewegtes Leben zurückblicken können, gruseligen Clowns die - vergleichbar mit dem Helden aus Stephen Kings Roman Es - die Bürger Londons im Nebel erschrecken und Zeugen, die kurz vor einer wichtigen Aussage dann doch noch zum Schweigen gebracht werden, bleibt daher zum Schluss ein vergleichsweise unspektakuläres, wenn auch logisches Ende, das nach den heutigen Maßstäben der Kriminalistik allenfalls Stoff für eine Kurzgeschichte geboten hätte. Bei diesem simplen Ende wäre wesentlich mehr Hintergrund über die Motive des Täters oder der Täterin, seiner privaten Motive oder der gesellschaftlichen Zwänge wünschenswert gewesen. Aber über diesen Punkt - genauso wie über das Leben des Opfers - bereitet sich ähnlich wie im frühlingshaften London der viktorianische Nebel des Schweigens!
Dennoch kann der gute Blick fürs Böse auch mit diesem Mysterienspiel durchaus unterhalten und auch die zunehmende Emanzipation der Heldin Lizzie Martin, die sich vermehrt gegen die Rolle des bevormundeten Frauchens auflehnt, sorgt für amüsante Momente. Unglücklicherweise machen die Bewertungen vermag durchaus zu unterhalten und amüsant keinen hervorragenden oder gar fesselnden Krimi aus, denn dafür hätte es des echten Interesses am Schicksal der handelnden Personen bedurft. Ein Schmöker, der die Zeit am Kaminfeuer vertreiben mag, hält nicht den Vergleich zu einem gut durchdachten Krimi stand, der auch im unbarmherzigen Neonlicht gelesen werden kann.
Ann Granger, Lübbe
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