Volker Streiter

„Für mich ist das Schreiben so etwas wie geistiger Urlaub“

09.2016 Die Histo-Couch im Interview mit Volker Streiter über Nordfriesland, Recherchen und Dialekte in seinen Romanen.

Histo-Couch: Herr Streiter, in „Eidergrab“ ermittelt Dina Martensen bereits zum zweiten Mal. Wie sind Sie auf Idee Ihrer Protagonisten gekommen?

Volker Streiter: Da muss ich ausholen. In meinem ersten historischen Krimi „Das Geheimnis des Strandvogts“ wollte ich unter anderem eine einheimische Bürgerin verpflichten, in diesem Fall eine Amrumerin. Der Krimi spielt Jahr 1845 auf dieser nordfriesischen Insel. Dina Martensen steht für einen Großteil der damaligen Inselbevölkerung, für die alleingebliebenen, die Insel bewirtschafteten Frauen, die Männer sind so gut wie alle auf See. Dina ermittelt sozusagen von innen heraus, ist kein Heimchen am Herd und für die Leser und Leserinnen vielleicht eine gute Identifikationsfigur. Den Blick von außen auf Inselgesellschaft und Besonderheiten erfahren die Leser durch den historisch belegten Reiseschriftsteller Johann Georg Kohl, der über seine Reisen auch Bücher verfasst hat und mir beim „Strandvogt“ eine wichtige Quelle über die Lebensverhältnisse damals war. Diesen Blick von außen auf Gesellschaft und Lebensumstände wollte ich beim „Eidergrab“ natürlich auch nutzen und was lag näher, als eine bereits eingeführte Figur zu reaktivieren. So erfüllte Dina die Bitte besorgter Amrumer Eltern, auf der Halbinsel Eiderstedt nach ihrer Tochter zu suchen. „Eidergrab“ spielt 1846, Johann Georg Kohl hat da in seinem wahren Leben andere Landschaften besucht, er stand mir nicht mehr zur Verfügung. Allerdings muss ich zu Dina Martensen sagen, dass es nie geplant war, eine Serienfigur zu schaffen. Das Personal für meine Geschichten engagiere ich nach Lust und Zweckmäßigkeit.

Histo-Couch: Sie sind ja Kölner. Warum haben Sie niemanden ersonnen, der in Köln ermittelt?

Volker Streiter: Für mich ist das Schreiben so etwas wie geistiger Urlaub. Und was kann es Schöneres geben als vom heimischen Schreibtisch aus durch schöne Landschaften zu streifen. Amrum hat mir immer besonders gut gefallen und so habe ich zwei zeitgenössische Lokalkrimis geschrieben, die die Insel wie ich meine sehr zur Geltung bringen. Da ich mich sehr für Geschichte interessiere, lag es dann nahe, auch einmal die Situation zu beschreiben, als Nordfriesland mit seinen Inseln noch zum Königreich Dänemark gehörte und der Seetourismus erst in seinen Anfängen steckte.

Histo-Couch: St. Peter und Ording, wo Dina ermittelt, sind heute ein Ort. Wie kompliziert ist das Ermitteln der historischen „äusseren“ Fakten?

Volker Streiter: Diese Frage ist sicherlich davon abhängig, wie weit die Zeit im Roman zurückliegt und wie schwierig die Quellenlage ist. Aber noch wichtiger finde ich das Ziel des Autors. Was an Tatsachen, Geschichte, Kleinigkeiten des täglichen Lebens will ich wahrheitsgetreu beschreiben, wie viel Fiktion lasse ich zu. Bei der Recherche liegt die Kunst wohl darin, das meiste dann doch wegzulassen, auch blutenden Herzens. Historische Fakten faszinieren ungemein, können aber den Blick auf die eigentliche Geschichte verstellen. Die Zeit des späten Biedermeier und der Vormärzrevolution, „Eidergrab“ spielt 1846, ist von der Quellenlage her gut ausgestattet. Für dieses Buch habe ich mich hauptsächlich auf zwei exzellent recherchierte Wälzer verlassen, „Die Beschreibung der Landschaft Eiderstedt“ von Probst Feddersen aus dem Jahr 1853 und die „Topographie des Herzogtums Schleswig“ von Schröder aus dem Jahr 1854. Die letzte Volkszählung  damals war tatsächlich 1845! Jedes Dorf wird beschrieben mit Einwohnerzahl, Geburten- und Sterbefällen, Religionszugehörigkeiten, Zahl der Almosenempfänger, Lage des Marktplatzes, Struktur der Verwaltung und der Gerichtsbarkeit, Krankheiten, Landplagen und auch die Eigenheiten der Bewohner. Einziger Wermutstropfen ist die Frakturschrift, ich finde sie nach wie vor ermüdend zu lesen. Aber ohne den eigenen, vor Ort gewonnenen Eindruck über den Zauber der Landschaft, die Architektur und das Land insgesamt vermag ich meine Geschichten nicht zu schreiben. Fakten hin oder her, die Bilder müssen in mir entstehen.

Die Halbinsel Eiderstedt verfügt über viele kleine Orte, die im Ortskern noch sehr historisch sind und den Besuchern auch ohne viel Fantasie zu einer Zeitreise einladen. Tönning nehme ich als Beispiel, es kommt auch des Öfteren im Buch vor. Mit dem historischen Eindruck ist es in St. Peter-Ording leider nicht mehr weit her. In St. Peter-Dorf inspirierte mich das Ensemble aus der Kirche St. Peter samt Friedhof, dem alten Kaufmannsladen und den Dorfkrug. Das war es dann, alles andere drum rum finde ich nicht mehr historisch interessant. Im Ortsteil Ording sprach alleine die Kirche St. Nikolai zu mir, die Struktur der Gemeinden wurde dem Badetourismus untergeordnet. Während des Schreibens hatte ich den Abdruck einer zeitgenössischen Karte vor mir, ich konnte mich also auf den damals vorhandenen Pfaden und Überlandstraßen bewegen. Für diesen Roman habe ich darauf verzichtet, besondere Aspekte herauszuarbeiten. Immerhin sollte das Buch ja kein Werk des Heimatsvereins und auch kein Geschichtsbuch werden. Die Fiktion überwiegt, der Rahmen aber samt einiger Protagonisten ist historisch belegt. Gleichwohl bin ich auf historische Einzelheiten gestoßen, die ich eingebaut habe. So gibt es eine Gemeinderechnung aus der Zeit über einen zwischen zwei Orten angelegten Fußsteig. Eine Baustelle also, und damit auch ein guter Ort, eine Leiche verschwinden zu lassen. So mischt sich dann das Tatsächliche mit dem Erdachten.

Histo-Couch: Sie sind von Beruf Polizist. Können und dürfen Sie Ideen für Ihre Krimis in ihre Romane übernehmen?

Volker Streiter: Aber sicher. Solange die Persönlichkeitsrechte gewahrt bleiben und ich keine Dienstgeheimnisse ausplaudere darf sich auch hier das tatsächliche Leben mit der Fiktion die Zeilen teilen. Ihre Frage dürfte in erster Linie auch meine zeitgenössischen Krimis betreffen. Von Haus aus bin ich kein Kriminalbeamter, habe also selbst keine Ermittlungsfälle bearbeitet, die ich wie auch immer zitieren könnte.  Dafür habe ich über viele Jahre im Streifendienst gearbeitet und wenn Sie so wollen dort meinen Blick auf die Vielfalt menschlichen Lebens geschult. Polizisten sehen alles, ob sie wollen oder nicht. Das ist sicher ein Vorteil für mein Schreiben, den ich aus meinem Beruf ziehen kann. Bei den historischen Romanen ist der Fall etwas anders. Natürlich sind die Charaktere und auch die Leiden der Menschen mit unseren vergleichbar. Die Triebe oder die Trauer um einen geliebten Menschen sind wohl zeitlos. Aber in den letzten 150 Jahren hat sich eben doch einiges getan in unserer Welt. Das Ständewesen ist ein anderes, wenn ich so sagen darf, die technischen Untersuchungsmethoden wie auch unsere Umgebung haben sich verändert.  Die Faszination vieler Autoren für die Polizeiarbeit teile ich weniger. Mit welcher Akribie da über Rechtsmedizin und Fahndungsmaßnahmen berichtet wird, sagenhaft. Doch ich lege meinen Blick lieber auf die Menschen, bei den historischen Roman auch auf ihre alltäglichen Probleme.

Histo-Couch: Wieviel Zeit verbringen Sie mit Recherche? Vor dem Rechner oder vor Ort?

Volker Streiter: Wenn ich weiß, wo ich meine Geschichte spielen lasse, studiere ich eingehend zeitgenössische Quellen. Im „Strandvogt“ war das u.a. die Reisebeschreibung des Johann Georg Kohl, der 1845 die Insel tatsächlich bereist hat, im Fall „Eidergrab“ waren es die „Topographie ...“  und die „Beschreibung der Landschaft Eiderstedt“. Der eine oder andere Aufsatz zum Thema Landplagen und Ernteerträge kommt hinzu. So wird die Landkarte meines Krimis etwas konkreter, Orte schälen sich heraus. Und die besuche ich natürlich, fange Atmosphäre und Eigentümlichkeiten ein und fotografiere viel zur Gedächtnisstütze. Zeitlich habe ich den Aufwand nicht erhoben, aber für die Auswertung der Quellen, das Herausschreiben und markieren interessanter Aspekte oder Fakten gehen sicher 2 Monate ins Land, ich mache das ja nicht hauptberuflich.

Natürlich taucht dann immer wieder mitten im Schreiben eine Frage auf, z.B. über Kutschen oder die Bekleidung, obwohl ich zahlreiche Darstellungen der zeitgenössischen Mode auf dem Schreibtisch habe. Das google ich dann soweit es mir dient, ohne groß Zeit zu verlieren.

Histo-Couch: Würden Sie Ihre Figuren gerne mehr Dialekt sprechen lassen?

Volker Streiter: Nein. Dialekt finde ich tückisch. Für den Norddeutschen z.B. ist das Rheinische eine Sprachmusik, die sich aber bei genauerer Betrachtung in ihren Feinheiten unterscheidet und dem Lokalpatrioten ins Ohr beißt, wird sie falsch geschrieben. Düsseldorfer Platt, Kölsch, Bönnsch, die Umlande nicht zu vergessen, da sollte man genau sein. Oder das Friesische. Das Amrumer Friesisch unterscheidet sich vom Sylter, und beide vom Föhrer Friesisch. Aber muss man das im Buch wissen? Ich finde, da sind die Fallstricke für den Autor größer als der Gewinn beim Leser. Deshalb beschränke ich mich auf den einen oder anderen Begriff oder Kraftausdruck.

Histo-Couch: Gibt es jemanden, der Vorbild für Dina war oder ist?

Volker Streiter: Auch wenn ich den einen oder anderen Charakter aus dem Leben entliehen habe, bei Dina muss ich passen. Sie ist ein Kunstcharakter.

Histo-Couch: Finden wir Charaktereigenschaften von Volker Streiter in einer der Figuren des Romans?

Volker Streiter: Bestimmt, aber nicht geplant. Ich mag Ironie. Wenn Sie die irgendwo in den Gesprächen finden, dann hat das wohl auch mit mir zu tun. Eine andere Eigenschaft wäre der ausgeprägte Gerechtigkeitssinn. Gerechtigkeit ist etwas, das sich thematisch auch durch die Bücher zieht und sicher ein von innen kommendes Anliegen ist. Passt ja auch zum Brotberuf des Autors. Aber allzu viel von meinem Innenleben  möchte ich dann doch nicht preisgeben. Und! Vergessen wir nicht, die Romane sind Fiktion, alles wurde herbeigedichtet. Mir selbst für ein Buch als Vorlage zu dienen, das wäre ja öde.

Histo-Couch: In Ihrem Roman kommt Theodor Storm vor. Wie ist es, einer berühmten Persönlichkeit Leben einzuhauchen?

Volker Streiter: Das macht großen Spaß. Natürlich sollte der beschriebene Charakter etwas mit der Realität zu tun haben und nicht zu einer Persiflage verkommen. Aber ich genieße die Freiheit eines Autors für Belletristik, der sich nicht in das Korsett eines Sachbuchautors zwängen muss. Selbstverständlich streue auch ich gerne einige kleine Informationen über die historische Person ein, vergnüge mich aber auch an den beschriebenen Launen und Stimmungen. Es motiviert sehr, sich in so eine Figur hineinzudenken. Mit Storm beschreibe ich ja lediglich einen jungen, frisch verheirateten Anwalt, der seine juristische wie seine literarische Karriere noch vor sich hat. Mir kam natürlich auch sehr das Storm-Haus in Husum zugute, in dem man ihn ja in seinem Salon und am Schreibtisch besuchen kann. Sowas beflügelt die Phantasie ungemein.

Histo-Couch: Es kommen noch weitere historische Persönlichkeiten vor. Ist es schwer, ihnen gerecht zu werden und nicht unrecht zu tun?

Volker Streiter: Das ist ein heikles Thema, mit dem ich noch nicht ganz durch bin. Tatsächlich empfinde ich so etwas wie Scheu oder Verantwortung den historischen Personen in meinen Büchern gegenüber und möchte sie nicht schlimmer darstellen, als sie waren. Aber wieviel weiß ich schon von den Leuten, abgesehen von ihren Lebensdaten? So gut wie nichts. Immerhin schreibe ich Krimis und von daher haben auch diese Figuren ihren dunklen, rätselhaften Teil in den Geschichten zu spielen. Aber im Großen und Ganzen vermeide ich einen Rufmord, kann aber für die Zukunft nicht ausschließen, doch einmal den vielleicht im wahren Leben unbescholtenen Charakter einer historischen Figur meiner Geschichte unterzuordnen und sie böse und durchtrieben darzustellen. Im Buch „Eidergrab“ jedenfalls kommen die historischen Figuren noch ganz gut weg, will ich meinen. Die Honoratioren habe ich mir in ihrer Arroganz und Schrulligkeit vorgestellt und sie hier und da undurchsichtig erschein lassen. Im historischen Amrum Krimi „Das Geheimnis des Strandvogts“ beschreibe ich mit dem herrischen und despotischen Strandvogt Gulderling eine Figur, die es so damals auf der Insel auch gegeben hat. Im wahren Leben hieß sie Hinrich Quedens und die Annalen beschreiben die liebe Not der Amrumer mit diesem Wüterich. Aber aus Rücksicht auf die immer noch auf der Insel lebenden Familienzweige habe ich den Namen geändert.

Histo-Couch: Hätten Sie die Möglichkeit, einen Tag damals mitzuerleben, wäre das etwas für Sie?

Volker Streiter: Aber gewiss. Ein Tag im September 1846 mag angehen, denn sicher würde ich von den Eindrücken erschlagen. Wäre denn meine Rückkehr gesichert? Nicht dass ich in Eisen gelegt würde. Die Gerüche, das gesprochene Deutsch, der Umgang miteinander, die Speisen. Wie würde der Lebensrhythmus sein, der Kutschenverkehr? Wäre die Landschaft wirklich so romantisch wie in der Vorstellung oder auch schon durch Frühindustrie und Bergbau verschandelt und vernarbt? Nur möchte ich bitte schön eben nicht zum Zahnarzt oder den Blinddarm operiert bekommen. Jedenfalls bin ich mir sicher, dass die Eindrücke einer Zeitreise jeden Autor historischer Romane nachhaltig beeinflussen und sein Schreiben verändern würden.

Histo-Couch: Wird es ein Wiedersehen mit Dina geben? Das Ende des Romans lässt ja einiges hoffen.

Volker Streiter: Wie schon gesagt, der Charakter war nicht für eine Serie geplant. Aber natürlich kann ich mir vorstellen, dass Dina als Frau des Gendarmen Cornelius Asmus in einen weiteren Fall stolpert. Nur, der ist noch nicht geplant oder gar in Arbeit.

Das Interview führte Carsten Jaehner.

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