Lothar Englert

„Lesegenuss hat für mich noch immer etwas mit Buchdeckeln und Papierseiten zu tun“

08.2017 Die Histo-Couch im Interview mit Lothar Englert über Ostfriesland, seine Romane und Wandmalereien in friesischen Kirchen.

Histo-Couch: Herr Englert, was verschlägt einen Rheinländer nach Ostfriesland?

Lothar Englert: Der Beruf (bei der Bundeswehr, Anm. d. Red.). Ich stand zur Beförderung zum Stabsoffizier an und hatte in meinem Verband keine Planstelle. Also wurde ich nach Ostfriesland versetzt. Das ist ein in den Streitkräften durchaus übliches Verfahren.

Histo-Couch: Wie sind Sie zur Schriftstellerei gekommen?

Lothar Englert: Eher zufällig. Tatsache ist, dass ich immer gerne geschrieben habe. Auch in meiner beruflichen Tätigkeit hat mir die Erarbeitung von Plänen und Konzepten besonders gelegen. Das verbindet sich mit der Freude am Lesen, bei mir mit einer Vorliebe für historische Romane. Von dort bis zu dem Wunsch, selbst einmal einen zu verfassen, ist der Schritt nicht sehr groß. Schwierig war dann aber die Suche nach einem Stoff. Meine Frau hat mich auf die Idee gebracht, über Ostfriesland zu schreiben. Erste Recherchen haben deutlich gemacht, wie einzigartig die friesische Geschichte ist. Sie unterscheidet sich in vielen Hinsichten von „gängigen Mustern“ und ist gelegentlich sogar nicht frei von Skurrilitäten. Wer als Autor diesem Faszinosum nicht erliegt, dem ist nicht zu helfen.

Histo-Couch: Nach „Friesische Freiheit“ ist „Friesische Macht“ der zweite Teil einer, wenn man so will, Chronik Ostfrieslands in Romanform. Wie entstand die Idee dazu?

Lothar Englert: Es hat sich fast zwangsläufig so entwickelt. „Friesische Freiheit“ geht vielleicht zurück auf die Politik Karls des Großen, der den Friesen für  besondere Tapferkeit bei der Befreiung Papst Leos III. im Jahre 799 ein Freiheitsprivileg gewährt haben soll. Es erstreckt sich über die Bereiche Unterordnung, Steuerpflicht und Heerfolge und ist in der Geschichte des HRR (Heiliges Römisches Reich) offenbar ohne Beispiel. Ich sage offenbar, weil es wissenschaftlich fundierte Nachweise für diese Zusammenhänge nicht gibt. Es bleibt aber die erwähnte Friesische Freiheit als Realität, für sie gibt es eindeutige Belege. Indizien sprechen dafür, dass die Friesen sie sich einfach genommen und gegen Angriffe von außen behauptet haben. Die „Macht“ beschreibt den 2. Teil einer historischen Entwicklung, in der die beschriebene Freiheit an machthungrige Grundherren, die friesischen Häuptlinge, verloren geht.    

Histo-Couch: Wie behält man die Übersicht bei den vielen Parteien, die gegeneinander kämpfen?

Lothar Englert: Mit einem präzisen Arbeitsplan. Der ist das Ergebnis der Recherche. In meinem Fall ist der Plan ein großes Stück Papier, etwa so breit wie die Bahn einer Tapete, und gut 1, 50 Meter lang. Alle Protagonisten und historisch belegten Ereignisse, soweit sie erwähnt werden sollen, sind dort auf einer Zeitachse festgehalten. Das ist sozusagen das Skelett. Dazu kommt die Story, das „epische Fleisch“. Danach ist nur noch wichtig, sorgfältig zu arbeiten.

Histo-Couch: Die beiden Hauptfamilien, die sich bekämpfen, sind die die tom Brok und die tom Diek. Im ersten Buch haben sie ihre Freiheit erkämpft. Wieso reicht ihnen das nicht?

Lothar Englert: Dazu muss man zunächst wissen, dass sich die Friesen im Rahmen einer Art bäuerlichen Republik auf der Grundlage ihrer Freiheitsprivilegien selbst verwaltet haben. Es gab natürlich einen an der Spitze, das war ein frei gewählter Mann, der als Richter fungierte, und im Kriegsfall das Heeresaufgebot der Landgemeinde führte. Gelegentlich war er auch Patronatsherr. Sein Amt aber musste er nach Ablauf eines Jahres wieder abgeben. Dieses Verfahren nannte sich  „Umgang“ und stellte eine frühe Form der demokratischen Machtkontrolle dar. Familien wie die tom Brok (sie waren nicht die einzigen) fanden irgendwann Gefallen an der Machtfülle des Amtes und wollten nicht mehr darauf verzichten. Das ist der Anfang vom Ende der Friesischen Freiheit. Die tom Diek wollen an den alten Strukturen festhalten. Daraus ergibt sich die Gegnerschaft zu den tom Brok, die in den Romanen thematisiert ist.   

Histo-Couch: Im Holländer Adriaan und dem Mönch William begegnen wir zwei Figuren aus dem ersten Teil, die unzertrennlich zu sein scheinen und fast wie ein altes Ehepaar wirken. Sind sie historisch verbürgt?

Lothar Englert: Nein, beide Figuren sind reine Fiktion. Sie sollen abseits der historischen Ereignisse für epische Farbe sorgen,  an ihnen spiegeln sich auch die Verhältnisse der Zeit.  William in seiner Gottestreue und Redlichkeit ist zudem der Gegenpol zum sogenannten Amtsklerus, der oft genug schlecht bei mir wegkommt. Adriaan soll auch zeigen, dass das Friesland dieser Tage nicht nur einen ostwärtigen, sondern auch einen ebenso bedeutsamen westlichen (holländischen) Teil hatte. Soweit und solange es biologisch zulässig ist, treffen wir beide auch im zweiten Teil wieder. Im dritten Band gibt es Ersatzfiguren.     

Histo-Couch: Wie sieht die Quellenlage für Ihre Chronik aus?

Lothar Englert: Erfreulich gut. Es gibt in Aurich wichtige Institutionen wie das Niedersächsische Staatsarchiv und die Ostfriesische Landschaft, eine Behörde der Kulturpflege mit umfangreichen Dokumentenbeständen. Manche Sachbücher kauft man auch selbst, unter anderem, weil man sie einfach haben möchte. Das Internet als Fundus ist heute ebenfalls unentbehrlich, vor allem, wenn man bestimmte Fragen schnell klären will.

Histo-Couch: Was macht die Geschichte Ostfrieslands interessanter als die Geschichte anderer Regionen?

Lothar Englert: Sie ist voll von Einzigartigkeiten. Da wird etwa von einer verwitweten Gräfin die Primogenitur gebrochen. Das Ergebnis sind drei regierende Reichsgrafen zur gleichen Zeit. Fremde Fürsten werden als Lehnsherrn genommen, aber so geschickt, dass eigene Macht, Scholle und Herrschaft ohne Verlust bleiben. Nicht zuletzt die Friesische Freiheit selbst. Heerfolge nur in den Grenzen Frieslands. Keine anderen Herren („Zwischenvorgesetzten“) außer dem König oder Kaiser. Steuern nur an ihn, wenn überhaupt. Das alles wird hartnäckig und blutig verteidigt, auswärtige Grafen, sogar Herzöge scheitern desaströs bei dem Versuch, das Land zu unterwerfen. Viele verlieren sogar ihr Leben. Es ist ebenso passend wie tragisch, dass die Friesen diese Freiheiten schließlich an ihre eigenen Leute, die sogenannten Häuptlinge, verloren haben.

Histo-Couch: Wieviel Zeit verbringen Sie mit Recherchen vor Ort?

Lothar Englert: Mehrere Wochen, bevor ich anfange zu schreiben. In dieser Zeit entsteht auch der Arbeitsplan. Es gibt aber neben festen Konzeptanteilen stets einen Bereich, in dem sich die Dinge frei entwickeln. Das führt dazu, dass man immer wieder, auch schon im fortgeschrittenen Stadium des Romans, auf Sachverhalte stößt, die man klären muss. Die Recherche ist also eigentlich nie zu Ende.

Histo-Couch: Im September erscheint der dritte Teil „Friesische Herrlichkeit“. Können Sie uns schon etwas darüber verraten?

Lothar Englert: Selbstverständlich gern. Die Trilogie folgt geschichtlichen Epochen in der Entwicklung Frieslands. Die „Freiheit“ beschreibt die freie Bauernrepublik, sie hat seit dem beginnenden Hochmittelalter bestanden und dauerte bis etwa ins 14. Jahrhundert. Die „Macht“ erfasst den Untergang der Freiheit und die Errichtung des sogenannten Häuptlingswesens bis etwa zum Beginn des 15. Jahrhunderts. Die „Herrlichkeit“ schildert die kriegerische Beseitigung der Häuptlinge und endet 1464 mit der Erhebung der Cirksena in den Reichsgrafenstand. Der Begriff der „Herrlichkeit“ richtet sich nicht etwa auf etwas besonders Großartiges und Schönes, sondern er steht für die Entscheidung des damaligen Kaisers Friedrichs III., das Land durch einen Feudalherren regieren zu lassen, indem er die Cirksena mit Ostfriesland belehnt. Diese Familie hat sich gegenüber allen anderen Häuptlingen im Kampf um die Macht durchgesetzt. Für sie ist es der Schritt in die Nobilität. Natürlich hat sich Friedrich die Erhebung der Cirksena erheblich versilbern lassen.    

Histo-Couch: Woher stammen die Motive auf den Buchcovern?

Lothar Englert: Sie stammen aus westfriesischen Kirchen. Dort findet man sie als Wandmalereien, und die heutigen Pastoren, übrigens durch die Bank lutherisch oder reformiert, sind souverän genug, sie nicht etwa als für ein Gotteshaus unpassend entfernen zu lassen. 

Histo-Couch: Mit „Friesisch Blau“ und „Die holländische Brille“ haben Sie zwei weitere Romane geschrieben, die kürzer sind und nicht zur Chronik dazugehören …

Lothar Englert: Das ist richtig. „Friesisch Blau“ ist ein Roman aus dem Emden des späten 12./frühen 13. Jahrhunderts. Er schildert das Schicksal eines Kaufmanns, der sich mit den Strukturen der frühen Hanse konfrontiert sieht und sich dabei zu krummen Geschäften verleiten lässt. Der Roman war übrigens Gegenstand einer Leserunde auf der Histo-Couch, die mir viel Spaß gemacht hat.

„Die holländische Brille“ beschreibt das Leben und Wirken des ostfriesischen Pastors  David Fabricius in der Zeit der Gegenreformation. Fabricius ist eine historische Figur, er hat auch als Astronom und Kartograph einen Namen gehabt. Leider lebte er zu einer Zeit, in der Ostfriesland besonders unruhig und ja, auch blutig gewesen ist. Dieser Roman ist mir besonders ans Herz gewachsen. Zu Fabricius gibt es auch einen aktuellen Bezug; sein Todestag jährt sich 2017 zum 400sten Mal. Er wurde am 7. Mai 1617 von einem Mitglied seiner Gemeinde erschlagen.

Histo-Couch: Halten Sie gerne Lesungen?

Lothar Englert: Sehr gerne. Ich liebe den Kontakt zum Publikum. Dabei ist nicht entscheidend, wie viele Leute da vor einem sitzen. Wichtiger ist, ob der Funke überspringt. Und dann macht es richtig Freude.

Histo-Couch: Würden Sie Ihre Bücher als Hörbücher einlesen? Was halten Sie vom Format des eBooks?

Lothar Englert: Ich glaube, das wäre wohl eher eine Aufgabe für einen Schauspieler. Das eBook ist ja als Medium inzwischen etabliert, man sieht immer häufiger Leute, die daraus lesen. Meine Frau nutzt selbst gelegentlich einen eReader. Ich bin eher altmodisch. Für mich hat Lesegenuss noch immer etwas mit Buchdeckeln und Papierseiten zu tun. 

Histo-Couch: Was erwartet uns als nächstes – wenn Sie das verraten dürfen?

Lothar Englert: Ich habe meinen Kindern einen Krimi versprochen. Er soll meinem Enkelsohn gewidmet sein. Der heißt Jonte Janssen und ist schon jetzt, mit gut vier Lebensmonaten, ein heißer Kandidat für einen gestandenen ostfriesischen Kriminalhauptkommissar. Danach aber wird es wieder friesisch-historisch. Wer von diesem Bazillus einmal infiziert ist, der wird ihn nicht wieder los.  

Das Interview führte Carsten Jaehner. Vielen Dank an Lothar Englert und seine Frau, die uns in Aurich nett bei einem anständigen Kaffee empfangen und einen schönen Nachmittag bereitet haben.

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