Robert Baur

„Science Fiction zwischen den beiden Weltkriegen hat mich fasziniert”

03.2014 Die Histo-Couch im Interview mit Robert Baur über den Film Metropolis, Fritz Lang und die ihn einholende Realität.

Histo-Couch: Herr Baur, wie oft haben Sie den Film „Metropolis” inzwischen gesehen?

Robert Baur: Schwer zu sagen. Einzelne Szenen habe ich mir immer wieder angesehen, im Standbild, bisweilen in Slow-Motion. Oft war mein Monitor geteilt. Auf der einen Seite mein Text, auf der anderen Seite der “Schmale„, gespielt von Fitz Rasp, wie er das Büro des Herrschers von Metropolis betritt. Diese Szene hat mich besonders fasziniert, sie musste unbedingt in den Roman. Belustigt haben mich ausgefallene Versionen des Films, wie die von Giorgio Moroder, der in den 80ern den Film mit Popmusik unterlegt hat.

Histo-Couch: Was fasziniert Sie an diesem Film, und was hat Sie dazu bewogen, einen Roman dazu zu schreiben?

Robert Baur: Zunächst haben mich die archaischen Bilder fasziniert. Dann die Thematik: ein Science-Fiction zwischen den beiden Weltkriegen. Schließlich die Schauspielerin Brigitte Helm, die als 17 jähriges Mädchen ohne jede Filmerfahrung in diese Produktion “geworfen„ wurde. Ich fing mit der Recherche an und fand heraus, dass die gesamte Produktion ein einziges großes Abenteuer war: Ein finanzielles Risiko, ein letztes Aufbäumen einer schwer angeschlagenen Filmindustrie vor Hollywood, ein Spiel “alles oder nichts„. Alle paar Monate wurde eine weitere Million notwendig, aber was sollte man tun? Die bisherigen Investitionen in den Sand setzen? Spannend genug, um in diese Welt einzutauchen und vor den Kulissen der UFA einen Kriminalfall stattfinden zu lassen. Gleichzeitig fand ich das Jahr 1925 interessant. Die alte Ordnung war vorbei, die Inflation überstanden, Hoffnung kam auf, alles war noch in der Schwebe.

Histo-Couch: Wie sind Sie dann vorgegangen, als Sie die Geschichte des Romans “konstruiert” haben?

Robert Baur: Um es gleich vorweg zu sagen. Die Recherche erwies sich als aufwendig, spannend und Trance induzierend. Mehr als einmal musste mich meine Familie aus diesem Zustand herausholen und mir klar machen, dass wir nicht in den Zwanzigern leben.

Aber ist das ein Wunder, wenn man ständig die Tageszeitung von 1925 liest, ein Pharus Stadtplan von Groß-Berlin im Büro hängt und Brigitte Helm als Postkarte von der Wand grüßt? Dabei fühle ich mich dem „magischen Realismus“ verpflichtet. In manchen Aspekten bin ich perfektionistisch. Wenn das Polizeifest im Lunapark an einem bestimmten Tag ausfällt, dann soll es auch in meinem Krimi so sein. Wenn an jenem Nachmittag in Hirschgarten eine Leiche gefunden wird, dann übernehme ich das gern. Die Farbe der Fliesen im Admiralsbad … an solchen Details habe ich Freude. Auf der andern Seite macht es mir dann wieder Spaß die Geschichte zu verfremden und alles über den Haufen zu werfen. Wilhelm Blume, zum Beispiel, Schriftsteller und Serienmörder starb 1922. Aus irgendeinem Grund wollte ich ihn weiterleben lassen, ihm ein „second life“ zugestehen, vielleicht ihm die Gelegenheit geben, noch einen anderen Weg einzuschlagen. Aber das ist natürlich sentimental. Als junger Kerl hatte ich tatsächlich den Leitspruch: „PAST IS DUST“. Anders ausgedrückt: Das beste an der Vergangenheit ist, das sie vorbei ist. Das hat sich in den letzten Jahren gründlich verändert. Heute freue ich mich, wenn ich einen Namen oder eine Begebenheit in die Gegenwart herüberretten kann.

Histo-Couch: Wie schreiben Sie? Chronologisch oder auch wie es Ihnen gerade einfällt?

Robert Baur: Chronologisch. Mir hilft die Nennung des Datums und des Ortes vor jedem Kapitel. Das ist wie ein Leuchtturm in einem Meer von Möglichkeiten. Zeit und Raum sind begrenzt, wenigstens in diesem Abschnitt. Ansonsten gehöre ich zu jenen, die zwar ein grobes Konzept haben, sich aber immer wieder selbst überraschen lassen, wie die Handlung weitergeht. Das hat den Vorteil, dass auch mein Ex-Kommissar Grenfeld auf Seite 20 noch nicht weiß, was auf Seite 50 auf ihn zukommt. Ich hoffe, ich kann so sein Erleben lebendig gestalten. Ich bin erstaunt und er (hoffentlich) auch! Aber wahrscheinlich ahnt er sowieso mehr als ich.

Histo-Couch: Wie gehen Sie mit der Behandlung von realen Personen um? Gerade Ernst Gennat beispielsweise ist ja in Berlin legendär.

Robert Baur: Es gibt Persönlichkeiten, die hat man richtig ins Herz geschlossen, auch wenn man die historische Person nie hat kennen lernen können. Ernst Gennat gehört dazu. Ihn wollte ich schon aus Respekt nicht ersetzen. Der gehörte einfach zur Berliner Kriminalpolizei und wurde nicht nur durch seine Verhör- und Ermittlungstechniken legendär, sondern vor allem durch seine für diese Zeit erstaunlich humanitäre Haltung. Mein Ex-Kommissar Grenfeld hat einiges von ihm gelernt, zum Beispiel die Methode des Plauderns in verfahrenen Situationen. Ich habe versucht, diese Personen nur innerhalb ihrer gesellschaftlich beschriebenen Rolle auftreten zu lassen und Klischees zu vermeiden. Aber natürlich ist das eine Gratwanderung.

Histo-Couch: Gibt es für eine Ihrer fiktiven Figuren Vorbilder?

Robert Baur: Die Figur des Franz von Kreiting ist ein früher Schatten von Goebbels, der ja erst später nach Berlin kam. Die Schmähungen gegenüber dem jüdischen Polizeivize Dr. Bernhard Weiß, der Hass gegenüber der Millionenstadt Berlin, der Kampf um die Medien, all das kam später, wirft im Roman aber seine Schatten voraus. Die Persönlichkeit der wilden Mascha ist einer früheren Schulfreundin entlehnt, die ich wegen ihrer Unabhängigkeit immer bewundert hatte. Wir verbrachten unsere Zeit damals oft in einer Kneipe, die dem Romanischen Café sehr ähnlich war. Als ich nach Beendigung des Romans das Buch eines Zeitzeugen über das Romanische Café las, erschrak ich, denn er beschrieb tatsächlich, wie eine Mascha sich mit ihren zwei Freundinnen über die eingebildeten Künstler lustig machte. Ich konnte es nicht fassen – da hatte mich die Realität tatsächlich eingeholt.

Histo-Couch: Hat irgend eine Figur aus Ihrem Roman Züge von Ihnen selbst?

Robert Baur: Ach du liebe Zeit, jetzt kommt der psychologische Teil (lacht). Nein, im Ernst, eine spannende Frage. Weil das Schreiben ein sehr unbewusster Prozess ist, steckt garantiert ne Menge von einem selbst in den Figuren. Ich gestehe also: Der Ex-Kommissar Grenfeld hat einiges von mir mitbekommen, nicht alles! Als Ermittler nimmt er die Rolle des Beobachters ein. Er steht außerhalb einer Institution. Einerseits habe ich das bewusst so gewählt, weil ich wollte, dass er mehr Freiheiten genießt als ein Beamter des Polizeipräsidiums, auf der anderen Seite entspricht das meiner beruflichen Rolle als selbstständiger Berater. Mit meinem Kommissar teile ich zudem die Abneigung gegen Bürokratie und die Liebe zur Freiheit. Hätte ich den Roman zwanzig Jahre früher geschrieben, wäre die Figur des Grenfeld sicher eindeutiger und klarer ausgefallen. Je älter ich werde, desto leichter fällt es mir, mehrere, auch sich widersprechende Persönlichkeitsanteile gelten zu lassen. Menschen haben viele Gesichter.

Histo-Couch: Fritz Lang gilt als schwieriger Mensch, und mit Metropolis führte er die Filmfirma in den Ruin. Wie nähert man sich so einer Figur?

Robert Baur: Fritz Lang taucht nur am Rande auf. Der Leser kann ihn bei den Dreharbeiten beobachten, ohne dass er eine aktive Rolle im Roman einnimmt. Grenfeld und ich haben anscheinend eine gehörige Portion Respekt vor dem Mann. Wir wollen ihn nicht stören. Wir ahnen, er könnte sehr ärgerlich werden, wenn man ihn von seinem Werk abhält. Wir haben ihn kennen gelernt als Visionär und Perfektionisten, als Magier des Bildes, der in Trance Zeit und Raum vergisst. Man muss die Erinnerungen von Erich Kettelhut lesen, der zusammen mit Otto Hunte die Bauten in Babelsberg errichtet hat. Die Aufsätze von Fritz Lang geben einiges her, um seine Denk- und Arbeitsweise zu verstehen, Interviews, Berichte von Schauspielern. Die Gleichung: Fritz Lang habe mit Metropolis die UFA ruiniert, wird im Kriminalroman in Frage gestellt. Grenfeld stößt auf einige Ungereimtheiten, was die interne Organisation der Ufa betrifft. Heute würde man die Finger auf das Projektmanagement legen, auf die Kostenkontrolle usw., aber vielleicht wäre dann dieser Film nie entstanden.

Histo-Couch: Am Ende des Romans ist der Film noch nicht abgedreht und die Beziehung Grenfelds zu seiner Frau ist auch nicht geklärt. Wird es eine Art Fortsetzung geben?

Robert Baur: Ich schreibe gerade an einer Fortsetzung. Mein lieber Grenfeld lässt mich nicht los. Der zweite Roman setzt am Premierenabend von Metropolis ein. Grenfeld ermittelt, aber nicht mehr in der Filmwelt. Es gibt neue Herausforderungen.

Histo-Couch: Wie lange haben Sie an dem Roman gearbeitet?

Robert Baur: Circa zweieinhalb Jahre. Da ich selbstständig bin, hatte ich die Möglichkeit, immer wieder Vollzeit daran zu arbeiten. Ich bin in der glücklichen Lage, mir das Volumen meiner Aufträge selbst einteilen zu können.

Histo-Couch: Hatten Sie Mitspracherecht bei der Auswahl des Covers?

Robert Baur: Ja, ich hatte Vorschläge gemacht, Bilder eingereicht und bin immer wieder mit eingebunden worden. Überhaupt empfand ich die Zusammenarbeit mit meinem Lektor Herrn Lang als sehr konstruktiv, ermutigend und lehrreich. So soll es doch sein.

Histo-Couch: Arbeiten Sie – abgesehen von der Fortsetzung – derzeit noch an anderen Projekten?

Robert Baur: Ideen sind schon vorhanden, die sind aber noch nicht spruchreif.

Histo-Couch: Was lesen Sie selber gerne, außer Literatur zu Ihren Büchern?

Robert Baur: Ich verehre Michael Chabon. Sein Roman „Die Vereinigung jiddischer Polizisten“, gelesen von Armin Rhode, gehört zu meinen Lieblingshörbüchern. Ansonsten lese ich Krimis querbeet. Mein letzter war „Mord im Herbst“ von Henning Mankell. Nach wie vor bin ich fasziniert, wie man mit einfachen Sätzen so viel Atmosphäre herstellen kann. Am liebsten aber grabe ich irgendeinen Autor aus den Zwanzigern aus, dessen Buch nur noch mittels detektivischer Suche aufzustöbern ist. Meistens sind die Bücher dann in einem grauenvollen Zustand und riechen modrig. Ich hasse diesen Geruch, aber was soll man machen? Meistens aber höre ich Vorträge und Workshops über den Kopfhörer, vor allem beim Fahrradfahren.

Histo-Couch: Wenn Sie die Möglichkeit hätten, Fritz Lang bei den Dreharbeiten zuschauen zu können – würde Sie das tun?

Robert Baur: Ja, so eine Zeitmaschine, das wär schon was. Liebend gern würde ich bei den Dreharbeiten zusehen, Brigitte Helm beobachten und zwischen den Kulissen auf dem UFA-Gelände schlendern. Aber ob ich dann mein Wissen für mich behalten könnte? Sonst müsste ich Fritz Lang erzählen, dass die Kritiker den Film verreißen, ihn aber Jahrzehnte später zum Weltdokumentenerbe der UNESCO aufnehmen werden. Ich müsste ihm auch berichten, wie schnell die Menschen vernichtende Molochmaschine nach 1933 grausame Wirklichkeit werden wird.

Das Interview führte Carsten Jaehner.

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