Leon Morell

„Michaelangelo war keiner, mit dem man gerne in Urlaub gefahren wäre“

06.2012 Die Histo-Couch im Interview mit Leon Morell über Michaelangelo, seine Recherchen und seine eigenen künstlerischen Fähigkeiten.

Histo-Couch: Herr Morell, Ihr erster historischer Roman hat Michelangelo und seine Ausgestaltung des Deckenfreskos der Sixtinischen Kapelle zum Thema. Wie sind Sie darauf gekommen?

Leon Morell: Es war wie so oft: Die Geschichte kam zu mir, nicht umgekehrt. Durch Zufall fiel mir vor einigen Jahren die Michelangelo-Biografie von Antonio Forcellino in die Hände. Danach war ich derart vom Menschen Michelangelo fasziniert, dass ich in den folgenden zwei Jahren alles von und über ihn las, das mir unterkam. Dabei wiederum erwachte das Interesse für seine Kunst und die Zeit, und irgendwann nahm dann eine Geschichte Gestalt an, in der es um die ganz großen Themen ging: Wer sind wir? Was bleibt von uns? Welche Bedeutung hat Kunst? Und so weiter und so fort.

Histo-Couch: Sie selber haben Musik- und Literaturwissenschaften studiert. Warum ein Kunstthema und nicht aus dem Bereich Musik oder Literatur?

Leon Morell: Weil Michelangelo kein Musiker war. Und weil ich oft Dinge spannender finde, wenn ich sie noch nicht kenne. Im Moment bereite ich allerdings gerade einen Roman vor, in dem die Musik eine tragende Rolle spielen wird.

Histo-Couch: Michelangelo war aber auch Dichter, immerhin stellen Sie eines seiner Sonette an den Beginn des Romans. Warum wird auf sein Dichterschaffen nicht weiter eingegangen?

Leon Morell: Ich finde gar nicht, dass nicht weiter darauf eingegangen wird. Immerhin schreibt er Aurelio sogar ein Liebesgedicht (das er tatsächlich geschrieben hat, wenn auch nicht für Aurelio). Noch mehr Platz wollte ich seinem Dichterschaffen im Roman allerdings nicht einräumen, einfach weil der Konflikt, den er als Künstler in der Story auszutragen hat, der zwischen Maler/Freskant und Bildhauer ist und mit seinem Dichterschaffen wenig zu tun hat.

Histo-Couch: War es schwer, sich der Person Michelangelo Buonarroti zu nähern? Immerhin kommt er nicht immer sympathisch herüber.

Leon Morell: Michelangelo war auch sicher keiner, mit dem man gerne in Urlaub gefahren wäre. Und von seiner Seite sah es noch düsterer aus: Erstens wäre er nie auf die Idee gekommen, Urlaub zu machen, zweitens war er ein ziemlicher Misanthrop. Ein Mensch voller Widersprüche und Zwiespälte, extrem, pathologisch, besessen …Die Liste ließe sich erweitern. Ob es schwierig war, sich dieser Figur zu nähern? Hm. Kann ich nicht wirklich beantworten. Es erschien mir nicht als Arbeit. Vor allem war es sehr spannend.

Histo-Couch: Verglichen mit seinem Vater und seinen Brüdern kommt er ja eher gut weg. War seine Familie wirklich so katastrophal?

Leon Morell: Einen Vater, der seinen Sohn schlägt, weil der Bildhauer werden will, später aber keinerlei Skrupel hat, von diesem ganz selbstverständlich zu erwarten, dass er mit seiner unwürdigen Tätigkeit die komplette Familie durchfüttert und auch noch dessen Konto plündert, ohne ihm etwas davon zu sagen, ist für mich auf jeden Fall mal kein Sympathieträger. Sehr aufschlussreich ist hier der Briefwechsel zwischen Michelangelo und seinem Vater bzw. seinen Brüdern aus seiner Zeit in Rom, der gut erhalten ist.

Histo-Couch: Ist die Existenz der Kurtisane Aphrodite und ihres Jaguars gesichert? Woher nehmen Sie Ihre Informationen?

Leon Morell: Ich habe mich sehr bemüht, die historische Tapete, vor der sich der Roman abspielt, so „wirklichkeitsgetreu“ wie möglich abzubilden. Hinweise auf die Kurtisane des Papstes konnte ich allerdings nicht finden. Sie muss wohl meiner Phantasie entsprungen sein …

Histo-Couch: Haben Sie viel Zeit im Vatikan verbracht? Existieren die Geheimgänge wirklich, und sind Sie sie vielleicht sogar abgelaufen?

Leon Morell: Nach Abschluss meiner Vorrecherchen bin ich zwei Mal nach Rom gereist, um die Story des Romans wasserdicht zu machen. Was mögliche Geheimgänge angeht: Da ist vieles spekulativ. Sicher ist, dass auf dem Hügel Katakomben existiert haben, die später zu großen Teilen ver- und aufgeschüttet wurden. Das Petrusgrab war ursprünglich nur eines von vielen.

Histo-Couch: Wie oft waren Sie in dieser Zeit in der Sixtinischen Kapelle, und wie nah durften Sie den Fresken kommen?

Leon Morell: Ich kannte die Fresken natürlich schon, bevor ich für den Roman zu recherchieren begann. Seither habe ich sie mir noch dreimal angesehen und jedes Mal neu entdeckt. Ihnen mit bloßem Auge näher zu kommen als der Otto-normal-Besucher ist nicht möglich. Allerdings ist auch hier die Quellenlage sehr gut, und es existieren Detailaufnahmen von nahezu jedem Motiv.

Histo-Couch: Wie steht es um Ihre eigenen kunsthandwerklichen Fähigkeiten? Können Sie malen oder Marmorblöcke bemeißeln?

Leon Morell: Geht so. Ich kann einen Zeichenstift halten und auch auf einen Marmorblock einschlagen, aber da kommt nichts bei heraus, das Sie sich gerne ins Wohnzimmer hängen oder stellen würden.

Histo-Couch: Hatten Sie Gelegenheit, mal selbst die Fresko-Technik auszuprobieren? Sie beschreiben sie ja sehr detailliert.

Leon Morell: Ich hatte mal eine Firma für Innenausbau. Da gab es für das Spachteln von Decken glücklicherweise immer jemand anderen, denn das lag mir gar nicht. Was die Freskentechnik betrifft: Zum Glück gibt es Menschen, die erhellendes darüber geschrieben haben und solche, die einem erklären können, wie es funktioniert. Den Rest muss die Phantasie beisteuern.

Histo-Couch: Gibt es etwas, das Sie mit Michelangelo gemeinsam haben oder etwas, das Sie an ihm bewundern?

Leon Morell: Gemeinsamkeiten …Da müsste ich, glaube ich, länger drüber nachdenken. Vom Typ her sind wir uns jedenfalls überhaupt nicht ähnlich. An ihm bewundern kann man sicher vieles, wobei das Wort „bewundern“ nicht so auf meiner Linie liegt. Ganz sicher war er ein absolutes Ausnahmetalent, ohne sich darauf auszuruhen. Er hat an sich und seinen Fähigkeiten gearbeitet bis zum letzten Tag. Da fällt mir eine Anekdote von Pablo Casals ein. Der wurde als über 80jähriger einmal gefragt, weshalb er sich in seinem Alter noch immer Tag für Tag den körperlichen Strapazen mehrstündiger Celloübungen aussetze. Seine Antwort: „Wissen Sie, ich habe das Gefühl, ich werde besser.“ Großartig.

Histo-Couch: Wenn Sie die Möglichkeit hätten, in seinem Team mitzuarbeiten – würden Sie es tun, und welche Aufgabe würden Sie gerne übernehmen?

Leon Morell: Natürlich würde ich es tun, und wenn es nur wäre, um die Erfahrung gemacht zu haben. Ich fürchte nur, für mich hätte er kaum Verwendung. Am liebsten wäre mir eine Aufgabe, die mir erlaubte, ihm über die Schulter zu schauen – Griffelanspitzer oder so.

Histo-Couch: Sie haben gesagt, dass Sie für das Schreiben des Romans genauso lange brauchten wie Michelangelo, um die Sixtina auszumalen – Zufall? Wie gehen Sie sonst vor, wenn Sie einen Roman schreiben?

Leon Morell: Zufall? Auf jeden Fall keine Absicht. Ist mir auch erst im Nachhinein aufgefallen, als ich einmal nachgerechnet habe – und meint nicht das Schreiben an sich, sondern den Zeitraum von der ersten Beschäftigung mit dem Thema bis zum fertigen Manuskript.

Wie ich sonst vorgehe? Unterschiedlich. Ich kann oft schwer lokalisieren, wo Ideen ihren Anfang nehmen. Nach meiner Erfahrung klappt es am besten, wenn man auf sein Bauchgefühl hört und dennoch mit dem Kopf denkt.

Histo-Couch: Können Sie sich eine Fortsetzung vorstellen? Immerhin wird Michelangelo noch „Das Jüngste Gericht“ an der Nordwand malen.

Leon Morell: Noch einmal vier Jahre Michelangelo? Nein, Danke. Den „sixtinischen Himmel“ zu schreiben war eine großartige Erfahrung, ihn fertigzustellen ein erhebendes Glücksgefühl, ihn abzugeben eine Erleichterung. Auf zu neuen Ufern.

Histo-Couch: Das Buch hat einen schönen Schutzumschlag mit Wendecover, wo man eine Fotografie des gesamten Deckengewölbes sieht, und im Einband des Buches sind dann die Erläuterungen. Eine tolle Idee! Stammt die von Ihnen? Wie kam es zur Ausführung?

Leon Morell: Da wäre ich nie drauf gekommen. Ich wusste vorher gar nicht, dass so etwas überhaupt machbar ist. Nein, das haben sich Menschen aus dem Verlag ausgedacht.

Histo-Couch: Welche Lösung wird man für eine Taschenbuchausgabe finden?

Leon Morell: Da bin ich völlig überfragt. Vielleicht eine Abbildung im Anschnitt? Wenn Sie eine Idee haben – ich reiche sie gerne weiter.

Histo-Couch: Zu Beginn erwähnten Sie die großen Themen: „Wer sind wir? Was bleibt von uns? Welche Bedeutung hat Kunst?“ Was ist Ihre Antwort? Was wäre Michelangelos Antwort?

Leon Morell: Oh weh: Damit die Antwort so klänge, dass ich damit zufrieden wäre, müsste ich sehr lange nachdenken und dann noch die richtigen Worte finden. Das bekomme ich auf die Schnelle nicht hin. Zur Frage, welche Bedeutung Kunst hat, fällt mir etwas ein, das Martin Walser einmal in einem Interview gesagt hat: „Die Kunst ist eine Folge des Lebens. Ohne sie wäre das Leben nicht erträglich.“ Hat mir trotz des Pathos ganz gut gefallen.

Histo-Couch: Zum Abschluß: Sie erwähnen, dass Musik in Ihrem nächsten Roman eine tragende Rolle spielen wird. Können Sie uns schon mehr verraten?

Leon Morell: Könnte ich, möchte ich aber nicht, denn die Story des Romans ist noch dabei, zu sich zu finden. Es wäre zu früh.

Das Interview führte Carsten Jaehner

Leon Morell auf Histo-Couch.de

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