Heike Wolf

„Mich fasziniert das Erschaffen von Figuren, Geschichten, Liebe, Hass und Pathos“

03.2013 Die Histo-Couch im Interview mit Heike Wolf über die Brüder Grimm, Rollenspiele und Kritik an den eigenen Romanen.

Histo-Couch: Frau Wolf, in Ihrem neuen Roman „Die Tote im Nebel“ spielen unter anderem auch die Gebrüder Grimm eine Rolle. Was hat Sie gereizt, diese wohl jedem bekannten Figuren in Ihre Geschichte einzubauen?

Heike Wolf: Ich bin über das Thema „Marburg“ auf die Grimms gekommen. Jakob und Wilhelm Grimm haben in Marburg Jura studiert und aktuell – im Grimm-Jahr 2013 – kann man hier keinen Schritt tun, ohne auf die Grimms oder ihre Märchen zu stoßen. Dabei sind die Brüder Grimm an sich gar nicht einmal besonders spannend als Romanfiguren. Eine gute Freundin meinte nach der Lektüre einer Grimm-Biographie kürzlich zu mir, dass sie enttäuscht sei, welch „langweiliges“ Leben die beiden geführt hätten. Die beiden waren Wissenschaftler und haben ihr Leben ihren wissenschaftlichen Arbeiten gewidmet, auch wenn sie als Teil der „Göttinger Sieben“ kurzfristig in den Strudel der Politik gerieten. Man verbindet mit den Grimms jedoch eher die Geschichten, die sie gesammelt haben. Das Märchenhafte. Das ist es letztendlich auch, was ich für meinen Roman interessant fand.

Histo-Couch: Begegnet man solchen Figuren mit Ehrfurcht, da ja, im wahrsten Sinne, jedes Kind sie kennt? Hat man Hemmungen, sie in die Geschichte einzubauen und als Menschen agieren zu lassen?

Heike Wolf: Ehrfurcht sicher nicht, aber Hemmungen sind durchaus da. Das liegt vor allem daran, dass die Grimms so bekannt sind. Ich habe mich beim Schreiben oft gefragt, wie weit ich mit der Fiktion bei den Grimms gehen darf – und wie weit sie „Menschen“ sein dürfen. Ein schönes Beispiel, wie man mit dem Problem umgehen kann, zeigt m.E. Robert Löhrs „Erlkönigmanöver“, der auf wunderbar leichte Art Dichterfürsten und Geistesgrößen in einer rasanten Räuberpistole Abenteuer erleben lässt. Ich hatte es bei den Grimms noch etwas leichter, weil die beiden in meinem Roman keine gestandenen Gelehrten und gesetzte Herren sind, sondern blutjunge Studenten. Vor allem bei Wilhelm war es mir wichtig, ihn denken und handeln zu lassen wie einen Siebzehnjährigen – und junge Männer in dem Alter tun nun einmal auch unüberlegte Dinge. Grundsätzlich war mir aber wichtig, die grundlegenden Charakterzüge der Grimms zu wahren und mich an dem Bild zu orientieren, das ich bei meiner Recherche von ihnen gewonnen habe.

Histo-Couch: Wie sind Sie bei Ihren Recherchen zu den beiden Grimms und generell zu der Geschichte vorgegangen?

Heike Wolf: Da ich als Historikerin mit der historischen Epoche (frühes 19. Jahrhundert) gut vertraut bin, ging es bei der Recherche vor allem um Detailfragen. Ich habe das Glück, eine Universitätsbibliothek direkt vor der Nase zu haben und die vor-Ort-Recherche mit einem netten Spaziergang durch die Marburger Oberstadt verbinden zu können. Zur Marburger Geschichte hat mir das Stadtarchiv sehr weitergeholfen. Hier hat man mir auch eine Karte zugängig gemacht, die die Stadt zeigt, wie sie während der Studienzeit der Grimms ungefähr ausgesehen hat.
Ich recherchiere gewöhnlich erst einmal grob und fange dann an zu schreiben. Viele Detailfragen ergeben sich erst, wenn ich in einer Szene darauf stoße. Dazu habe ich dann Experten befragt oder noch einmal gezielt recherchiert.

Histo-Couch: Lesen Sie Ihrer Tochter auch die Grimm’schen Märchen oder andere Kinderbücher vor?

Heike Wolf: Sehr viel. Meine Tochter hat allein drei Ausgaben der Grimm’schen Märchen im Schrank stehen und bestimmt dreihundert weitere Bücher. Sie liebt Bücher, und es gehört zu den festen Ritualen vor dem Zubettgehen, dass mindestens ein Buch/ ein Märchen gelesen wird. An Tagen, an denen sie nicht im Kindergarten ist, lesen wir durchschnittlich ein bis zwei Stunden. Die Märchen der Brüder Grimm kennt sie inzwischen sehr gut. Auf Autofahrten beschäftige ich sie oft mit einem Spiel, bei dem ich Sprüche aus Märchen nenne und sie das dazugehörige Märchen nennen soll. Ich finde es schön, dass sie diese Begeisterung für Bücher und Geschichten aufbringt, und fördere sie darin nach Möglichkeit.

Histo-Couch: Otfried Preußler, einer größten Kinderbuchautoren, ist ja vor kurzem gestorben. Könnten Sie sich vorstellen, auch einmal ein Kinderbuch zu schreiben? Was würde Sie daran reizen bzw. abschrecken?

Heike Wolf: Ich habe schon einmal mit dem Gedanken gespielt, aber ich bin mir sehr unschlüssig. Es ist nicht leicht, gute Kinderbücher zu schreiben – da ich ja täglich welche vorlese, weiß ich inzwischen, wovon ich rede. Ich mag es nicht, wenn Kinderbücher allzu offensichtlich die Moralkeule schwingen oder Kinder nicht ernstnehmen. Ein gutes Kinderbuch nimmt die Kinder mit, regt ihre Phantasie an und begeistert sie. Ein Grund, es selbst zu versuchen, wäre, dass Kinder ein dankbares Publikum sind. Sie zeigen ehrlich, wenn sie etwas mögen, und machen aus ihrer Begeisterung keinen Hehl. Aber sie zeigen ebenso deutlich, wenn sie ein Buch nicht mögen – und sie sind ein erbarmungsloses Publikum. Wenn ich mich auf dem Gebiet versuchen würde, dann wohl am ehesten im Jugendbuchbereich oder für die Altersgruppe der Sechs- bis Zehnjährigen. Kleinkinderbücher kann ich mir nicht vorstellen.

Histo-Couch: Ihr erster historischer Roman „Der Bernsteinbund“ wird als Familiensaga bezeichnet. Ist es schwieriger einen Kriminalroman zu schreiben, in dem man ja dem Leser nicht zu früh zu viel verraten darf, ihn aber trotzdem immer wieder mit Hinweisen versorgen muss, damit er bei der Stange bleibt?

Heike Wolf: Im Gegensatz zum „Bernsteinbund“ habe ich „Die Tote im Nebel“ von Beginn an komplett durchgeplottet und eine Übersicht der „roten Fäden“ erstellt, um keinen Hinweis zu vergessen und nicht den Überblick zu verlieren. Ich kann nicht sagen, dass es schwieriger war – es war zielgerichteter, und ich musste mich stärker am Riemen reißen, mich nicht von der Romanhandlung davontragen zu lassen. Dafür wusste ich zu jedem Zeitpunkt sehr genau, wohin die Fahrt gerade geht. Der „Bernsteinbund“ war zwar auch durchgeplottet – die „roten Fäden“ gibt es ja auch in einer Familiensaga -, hat im Laufe des Schreibprozesses aber noch mehrere Änderungen erfahren, und manche Entwicklungen haben sich erst später ergeben. Das war bei dem Krimi nur sehr begrenzt möglich. Ich schätze nach wie vor beide Genres und würde keines dem anderen vorziehen.

Histo-Couch: „Die Tote im Nebel“ erscheint als erstes Buch in der „Quo-Vadis-Edition“ im Gmeiner Verlag. Hat Sie diese Edition dazu veranlasst, einen historischen Krimi zu schreiben oder gab es die Geschichte schon vorher und die Edition war eine Chance, diese auch zu veröffentlichen?

Heike Wolf: Ich bin über die Ausschreibung zu der Edition auf den Krimi gekommen. Zuvor hatte ich bereits mit der Idee gespielt, eine Geschichte im frühen 19. Jahrhundert in Marburg spielen zu lassen, sodass mich der Krimi geradezu „ansprang“, als ich die Ausschreibung las. Die Grundidee brauchte keine 24 Stunden, bis sie stand, zwei Tage später war das Exposé fertig, und zehn Tage später die Leseprobe. Die Edition hat mich sozusagen beflügelt, diesen Krimi zu schreiben.

Histo-Couch: Vor Ihrem ersten historischen Roman haben Sie bereits einige Texte im Fantasy-Bereich, genauer gesagt für das Rollenspiel DSA (Das Schwarze Auge), veröffentlicht. Was hat Sie an diesem Spiel fasziniert?

Heike Wolf: Ich spiele Fantasy-Rollenspiele seit meinem achten Lebensjahr, und das Erfinden von Geschichten, Welten und Figuren ist so sehr Teil meines Lebens geworden, dass ich es kaum mehr ohne vorstellen könnte. Mich fasziniert die Kreativität dabei, die Möglichkeit, sich Dinge auszudenken und zu beschreiben und fiktive Personen zu erschaffen, die einen über die Jahre begleiten und sich ebenso entwickeln wie der Spieler dahinter. Für mich als Historikerin kommt als besonderer Reiz noch dazu, Gesellschaften zu erschaffen, die in sich funktionieren, ohne historische Vorbilder eins zu eins zu übernehmen. Ich gehöre bei den Rollenspielautoren eindeutig zu den „Storytellern“, zu denjenigen, bei denen die Geschichte im Vordergrund steht. Zu komplizierte Regelwerke schrecken mich eher ab.

Histo-Couch: Leiten Sie bei Rollenspielen lieber als Meisterin ein Abenteuer oder bestreiten Sie es lieber als Spielerin?

Heike Wolf: Ich bin eigentlich lieber als Spielerin unterwegs. Wenn ich Rollenspiele spiele, mache ich das zur Entspannung und weil ich Spaß am Spiel haben will. Als Spielleiterin bin ich jedoch gezwungen, ständig alles im Blick zu haben, flexibel zu reagieren und auch einmal mit vier Spieleraktionen gleichzeitig zu jonglieren – das sind alles Dinge, die ich in verstärkter Form tagtäglich im Unterricht bei meinen Schülern machen muss. Wenn ich ohnehin viel Stress bei der Arbeit habe, kann ich nicht die Ruhe aufbringen, auch noch meinen Rollenspielabend gründlich vorzubereiten. Daher habe ich in den letzten Jahren kaum noch geleitet, sondern war fast nur noch als Spielerin unterwegs. Abgesehen davon macht die Entwicklung meiner Figur für mich einen ganz besonderen Reiz aus – etwas, was ich als Spielleiterin auch nicht habe.

Histo-Couch: Sie sind alleinerziehende Mutter einer Tochter, unterrichten an einem Gymnasium Latein und Geschichte und sind Dozentin an der Uni. Wann finden Sie die Zeit fürs Schreiben?

Heike Wolf: Ich muss mich sehr disziplinieren, vor allem, wenn ich einen Abgabetermin habe. Dann setze ich mir für jeden Tag ein Mindestmaß an Wörtern, das ich geschrieben haben muss, ehe ich abends etwas anderes machen darf. Das ist notwendig, denn gerade unter der Woche muss ich mich abends, wenn die Kleine im Bett ist, dazu zwingen, mich dann noch an den Schreibtisch zu setzen. Ich schreibe abends, das heißt ab 20.00 Uhr, aber auch in Freistunden oder zwischen Unterrichtsschluss und der Abholzeit vom Kindergarten. Besonders gut kann ich in Cafés schreiben, wenn mich kein Internet und keine schmutzige Küche ablenken.
Es ist anstrengend, aber es geht irgendwie. Auch wenn ich mir wünsche, irgendwann mehr Zeit zu haben, um „in Ruhe“ schreiben zu können.

Histo-Couch: Zu Ihrem „Bernsteinbund“ gab es eine Leserunde. Was war das für eine Erfahrung, so direkt mit den Reaktionen der Leser konfrontiert zu werden?

Heike Wolf: Es war interessant, wenngleich die Leserunde wenig Reibefläche bot, da alle das Buch mochten. Für mich ist es aber sehr interessant zu erfahren, wie mein Buch aufgenommen und empfunden wird. Ich freue mich bereits auf die nächsten Leserunden.

Histo-Couch: Wie gehen Sie generell mit Kritik um?

Heike Wolf: Ich unterscheide zwischen Kritik, die in meinen Augen berechtigt ist und aus der ich lernen kann, und Kritik, die geäußert wird, um den eigenen Standpunkt zu verteidigen, den ich nicht teile. Letztere habe ich bislang nur bei der DSA-Schreiberei erlebt, wenn es darum ging, dass einzelne Spieler eine andere Spielauffassung hatten als ich. In solchen Fällen nehme ich die Kritik zur Kenntnis, ziehe aber keine Konsequenzen daraus. Anders ist es bei Kritik, die sich mit dem Text selbst auseinandersetzt. Ich höre mich kritische Stimmen aufmerksam an und überlege, was ich für mich daraus ziehen kann. Manchmal wird auch Kritik vorgebracht, die ich zwar verstehe, es trotzdem nicht anders machen würde, weil ich mich bewusst für einen anderen Weg entschieden habe. Oder weil ich in diesem Fall nicht genau die Lesererwartung getroffen habe. Letztendlich zeigt mir Kritik, dass sich jemand mit meinen Texten auseinandersetzt, und das ist für mich wichtiger, als wenn man meine Bücher liest, für gut oder okay erachtet – und schweigt.

Histo-Couch: Was fasziniert Sie am Schreiben? Gibt es auch etwas, das Sie manchmal daran stört oder nervt?

Heike Wolf: Mich fasziniert das Erschaffen von Figuren, Geschichten, Liebe, Hass und Pathos. Ich bin fasziniert, wenn eine Geschichte Gestalt annimmt und Dynamik entwickelt, wenn sie in meinem Kopf wächst und ich den Moment herbeisehne, da ich mich wieder an den Schreibtisch setzen und weiterschreiben kann. Ich bin ergriffen, wenn ich eigene Texte lese und spüre, wie sie mich selbst berühren. Das sind Glücksmomente, die ich nicht missen mag. Ich brauche diese phantastischen Welten um mich herum. Natürlich ist es nicht immer phantastisch. Es gibt Zeiten, da muss ich mich zwingen, wenn ich zu erschöpft bin oder der Kopf zu leer. Das nervt mich vor allem. Und mich nervt der Hang zur Ablenkung, wenn ich endlich etwas Zeit zum Schreiben habe. Dann schaue ich alle fünf Minuten bei Facebook, was es Neues gibt, lese auf Zeit.de oder spiegel-online oder plaudere mit Freunden im Chat. Deshalb gehe ich gerne ins Café zum Schreiben, um diesen Versuchungen zu entkommen.

Histo-Couch: Jeder Autor hat ja, so wird zumindest behauptet, immer wieder Phasen, in denen er am Gelingen seines Projekts zweifelt. Haben Sie die auch und wenn ja, was machen Sie dann, um sie zu überwinden und wieder voller Energie weiter arbeiten zu können?

Heike Wolf: Ich glaube, die hat fast jeder Autor. Bei mir hilft schreiben, schreiben, schreiben, und irgendwann „flutscht“ es wieder. Ich darf dann nur nicht nach hinten schauen, sonst verliere ich mich im Überarbeiten und verzweifel, weil ich alles so furchtbar schlecht finde. Die großen Phasen des Zweifelns kommen dann noch einmal im Lektorat. Ich schwanke dabei jedes Mal zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt – manchmal mehrmals am Tag. Es ist dann gut, wenn das Manuskript endlich ganz weg ist und ich nichts mehr machen kann.

Histo-Couch: Können Sie uns zum Schluss schon etwas über Ihr neues Projekt verraten?

Heike Wolf: Zurzeit ist leider noch nichts spruchreif.

Histo-Couch: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg für „Die Tote im Nebel“ und alle weiteren Bücher, die hoffentlich noch folgen werden!

Das Interview führte Birgit Borloni.

Zeitpunkt.
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