Lea Stein

02.2023 Monika Wenger im Gespräch mit Lea Stein - Autorin von Altes Leid.

Ihren ersten Kriminalfall mit der Polizistin Ida Rabe hat die Journalistin Kerstin Sgonina unter dem Namen Lea Stein veröffentlicht. Ihre Protagonistin ist eine sympathische junge Frau, die sich nicht nur für Gerechtigkeit einsetzt, sondern auch für die Rechte der Frauen kämpft. Sie ist nämlich eine der ersten weiblichen Polizistinnen in der Elbmetropole. Dass sich ihr Revier, die Davidwache, in der Nähe der Reeperbahn befindet, hat vermutlich mit der Vergangenheit der Autorin zu tun. Sie kennt und liebt die Stadt, seit sie nach ihrem Abitur auf der Reeperbahn als Türsteherin und Barfrau gearbeitet hat. Vor diesem Hintergrund ist es besonders spannend von ihr zu erfahren, ob eigene Erfahrungen und Erlebnisse in die Geschichte einfließen.

"Ich kann mich stark auf eine Sache fokussieren und ziehe sie dann durch, egal, mit welchen Widerständen ich zu kämpfen habe."

Histo-Couch: Der erste Fall für Ida Rabe ist vielschichtig angelegt. Wie sind Sie auf das Thema und damit auf die Figur der ersten weiblichen Schutzpolizistin aufmerksam geworden?

Lea Stein: Wie so häufig, wenn ich mich für ein bestimmtes Thema zu interessieren beginne, kam die Hauptfigur zu mir. Ida war allerdings nicht schlagartig da, sondern nahm immer deutlichere Züge an. Im Vorfeld war ich über einen Zeitungsartikel gestolpert, in dem eine Kripobeamtin aus den Siebzigern erzählte, sie hätte zu Beginn ihrer Karriere ihre eigenen Gummistiefel mit an den Tatort bringen müssen, weil es nur Männerschuhe bei der Polizei gab. Das war also der Anfang, von dem aus ich zeitlich weiter zurückging: Ida Rabe ist nicht bei der Kriminalpolizei, sondern der Weiblichen Schutzpolizei und hatte als solche an Tatorten tatsächlich überhaupt nichts zu suchen. Das fand ich spannend, denn ich bin mir sicher, dass die damaligen Polizistinnen durchaus kriminalistischen Ehrgeiz empfanden und sich den männlichen Kollegen gleichwertig fühlten. Sie durften allerdings nicht dieselbe Arbeit verrichten. Eine Figur zu erfinden, die dies heimlich und gegen alle Widerstände doch tut, fand ich sehr reizvoll und interessant.

Außerdem mag ich es, mich im geschichtlichen Kontext an Orten „umzusehen“, die ich tatsächlich kenne. Hamburg, wie es jetzt ist, unterscheidet sich ja dramatisch von dem Hamburg der Nachkriegszeit. Ich habe in meinem Kopf sozusagen zwei Bilder übereinandergelegt: das der gegenwärtigen Stadt und der damaligen. Und mir vorgestellt, wie es sich damals wohl lebte: in einem von den Siegermächten besetzten Land, in einem „britischen“ Hamburg. Mittlerweile wohne ich zwar nicht mehr in der Stadt, aber bei meinen Besuchen dort gehe ich manchmal in meiner Vorstellung über den „alten“ Kiez, den ich nur aus Schwarz-Weiß-Bildern kenne, streife durch die in Trümmern liegenden Straßen etc.

Histo-Couch: Der Roman spielt, wie erwähnt, ja im Hamburg der Nachkriegszeit. Die Stadt lag in Trümmern. Viele Dokumente wurden vernichtet. Wie sind Sie in ihren Recherchen vorgegangen?

Lea Stein: Ich bin ein Rechiermonster. Ich liebe es, mich immer tiefer in ein Thema hineinzuschrauben und so vom Hundertsten ins Tausendste zu gelangen. Und wenn ich dann Kleinigkeiten finde wie etwa, dass die Leute in der Nachkriegszeit Tag und Nacht ein winziges Stückchen Erde in einem Park bewachten, weil sie dort Kartoffeln und Tabak anpflanzten (was ihnen ratzfatz gestohlen wurde, wenn sie mal nicht aufpassten), bin ich restlos begeistert. Ich interessiere mich für die sozialen und alltäglichen Aspekte der Geschichte, mehr als für die politischen Umwälzungen, obwohl man den Kontext für ein besseres Verständnis natürlich braucht. Aber zurück zu Ihrer Frage: Ich habe sehr viele Bildbände gekauft, um mir das zerbombte Hamburg besser vorstellen zu können. Zeitungsdatenbanken durchforstet, denn der damalige journalistische Ton unterscheidet sich sehr vom heutigen. So habe ich etwa erfahren, dass damals vom „Schwarzen Markt“ geredet wurde, nicht vom „Schwarzmarkt“, wie er heute heißt. Außerdem das Hamburger Polizeimuseum besucht und mich dort beraten lassen. Und ich besitze einen dicken Wälzer über die damalige Gerichtsmedizin und einen schmaleren über die Strafgesetzgebung sowie Hintergrundmaterial bezüglich weiblicher Polizei in Deutschland sowie die Hamburger Polizei generell.

Histo-Couch: Konnten Sie für ihre Vorarbeiten auch mit Menschen sprechen, die Rosamunde Pietsch, die erste weibliche Polizistin Hamburgs, noch gekannt haben?

Lea Stein: Nein. Das habe ich allerdings auch gar nicht versucht. Ich habe über das Polizeimuseum in Hamburg zwar viel über sie erfahren, doch das war kein Wissen aus erster Hand. Aber Ida Rabe ist ja nicht Rosamunde Pietsch, sie hat eine gänzlich andere Biografie. Ich recherchiere immer bis zu einem gewissen Punkt (und wie gesagt, tue ich das sehr ausgiebig), aber dann möchte ich, dass die Figuren selbst zum Leben erwachen. Ein Bild nach einem Menschen zu zeichnen wäre dafür kontraproduktiv, denn ich würde mich immer fragen: Würde Frau Pietsch jetzt so handeln, so denken, so reden? Und genau das möchte ich nicht. Ida redet, wie ihr der Schnabel gewachsen ist, und häufig ist es so, dass ich die Dialoge in meinem Kopf höre und nur aufschreibe, so als würden sich da tatsächlich zwei Personen unterhalten.

Histo-Couch: Welche Erinnerungen haben Sie persönlich an die Zeit, als Sie selbst als sehr junge Frau auf der Reeperbahn als Türsteherin und Barfrau gearbeitet haben?

Lea Stein: Ich mochte die Gegend sehr. Ja, es ist dreckig, laut, ungehobelt und natürlich auch gefährlich, aber die Leute, mit denen ich dort zu tun hatte, waren eher Menschen, die sich wie ich dem bürgerlichen Milieu eher nicht zugeordnet haben. Alle hatten eine gebrochene Biografie, kamen mit den Anforderungen des Lebens weniger gut klar als die meisten anderen. Sankt Pauli war, so habe ich es jedenfalls in den 90ern empfunden, ein Auffangbecken für Künstler, verlorene Seelen, Suchende. Ich habe mich dort sehr zu Hause gefühlt.

Histo-Couch: Wie viel Kerstin Sgonina steckt in Ida Rabe?

Lea Stein: Viel und zugleich nicht so viel. Ich bewundere Ida für ihre Forschheit und Durchsetzungsfreude, ich selbst bin zurückhaltend und oft scheu. Dass sie sich nichts sagen lässt und den Leuten, die ihr dumm kommen, über den Mund fährt, so etwas würde ich auch gern öfter tun. Was mich mit ihr klar verbindet ist: wie ein Terrier zu sein, den man einfach nicht mehr abschütteln kann, wenn er sich erst festgebissen hat. Das hat mir mal jemand an den Kopf geworfen und ich finde es sehr bezeichnend. Ich kann mich stark auf eine Sache fokussieren und ziehe sie dann durch, egal, mit welchen Widerständen ich zu kämpfen habe. Das brauche ich auch für das Schreiben von Romanen – ich glaube, manche Menschen romantisieren das und haben dieses Bild von Schriftstellern, wie diese mit versonnenem Lächeln vor ihren Schreibmaschinen sitzen. Tatsächlich ist es eine hochkonzentrierte Angelegenheit, und man muss dem so ziemlich alles unterwerfen. Diese Neigung spiegelt sich in Ida Rabe, die ein Verbrechen aufklären will, ganz egal, wem sie damit auf die Füße tritt und ob es nun ihre Aufgabe ist oder nicht. Und die zudem den Menschen, die sich ihr anvertrauen, unter allen Umständen helfen will.

Histo-Couch: Ida trägt ein Geheimnis mit sich. Sie war sehr gut mit der Chefin des sogenannten Bunkers befreundet. Wird Ida Rabe in einer der nächsten Folgen von ihrer Vergangenheit in Hamburgs Unterwelt eingeholt, oder kann sie sich befreien?

Lea Stein: Oh ja, sie wird davon eingeholt. Auch die Bunkerkönigin Marlise lässt sich nicht einfach abschütteln. Und auch wenn Ida sich sehnlichst wünscht, diesen Teil ihrer Vergangenheit ausradieren zu können, verhält es sich ja gerade mit den unliebsamen Dingen so: Sie kehren immer wieder zurück.

Das Interview führte Monika Wenger im Februar 2023.
Bilder: © Penguin Random House / Sebastian Fuchs

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