Die Schriftenhändlerin

  • Limes
  • Erschienen: Januar 2007
  • 4
  • Limes, 2007, Titel: 'The Mercy Seller', Originalausgabe
Die Schriftenhändlerin
Die Schriftenhändlerin
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Birgit Stöckel
841001

Histo-Couch Rezension vonSep 2007

Die Bibel, Gebete und andere Ketzereien

Es ist das Jahr 1412. In Prag predigt und lehrt Jan Hus auf Böhmisch und der Illuminator Finn und seine Enkelin Anna kopieren und illustrieren unter anderem verbotene Schriften. Nachdem ihr Verlobter als Ketzer hingerichtet wird und ihr Großvater stirbt, bleibt Anna allein zurück. Dem letzten Willen ihres Großvaters folgend, versucht sie, sich nach England durchzuschlagen. In Reims lernt sie den Tuchhändler VanCleve kennen und lieben, doch der hütet ein Geheimnis. Eigentlich heißt er Pater Gabriel und ist als Spion für den Erzbischof von Canterbury tätig. Nachdem VanCleve Anna verlässt, kehren beide getrennt nach England zurück, nur um dort erneut aufeinander zu treffen...

Wer darf die Bibel lesen?

Wie bereits in Brenda Vantreases ersten Roman Der Illuminator sind auch in Die Schriftenhändlerin die Anfänge der kirchlichen Reformation zentrales Thema. Wycliffe, der im ersten Teil eine wichtige Rolle spielte, ist tot, aber seine Lehren verbreiten sich von England aus über den ganzen europäischen Kontinent. In Prag vertritt Jan Hus ebenfalls die Auffassung, dass für Gebete und Vergebung keine Priester nötig sind, dass man sich in jeder Sprache an Gott wenden kann und dass das heilige Abendmahl nur ein Sinnbild ist, bei dem sich Oblate und Wein nicht wirklich in den Leib und das Blut Christi verwandeln. Zudem wendet er sich gegen den Sittenverfall in der Kirche und den Machthunger und das Verlangen nach Luxus ihrer Würdenträger. Dies ist der Kirche natürlich ein Dorn im Auge, sieht sie sich doch in ihrer Machtposition bedroht. So nehmen die Verfolgung und die Bestrafung von Ketzern in England, Böhmen und im übrigen Europa drastisch zu.

Informativ und anschaulich beschreibt die Autorin die damaligen Verhältnisse, erzählt, welche Mühen und Gefahren Lollarden und Hussiten auf sich nehmen, um ihren Glauben zu verbreiten und welche Anstrengungen im Gegenzug die Kirche unternimmt, um ihrer habhaft zu werden. Für uns heute ist es unvorstellbar, dass so etwas Einfaches, wie die Bibel in der Muttersprache zu lesen, einst lebensgefährlich war.
Allerdings greift Brenda Vantrease hier auf etwas zu deutliche Schwarz-Weiß-Malerei zurück. Die Lollarden bzw. die Anhänger Jan Hus' sind eigentlich alle gute, aufrechte Menschen, während sämtliche kirchliche Personen (mit Ausnahme von Bruder Gabriel) als raffgierig, machthungrig und verschlagen dargestellt werden. Hier wäre ein wenig mehr Differenzierung wünschenswert gewesen, denn genauso wenig, wie man heute alle Priester unter Generalverdacht stellen darf, gab es auch sicherlich zur damaligen Zeit aufrechte, ehrliche Männer Gottes, die ihrer Gemeinde viel Gutes getan haben.

Eine Ketzerin und ein Priester auf Abwegen

Doch nicht nur der historische Hintergrund macht das Buch so interessant und farbenprächtig. Dazu tragen die unterschiedlichen Figuren mindestens ebenso viel bei. Besonders Bruder Gabriel ist gelungen. Als Kind wurde er von seinem späteren Beichtvater aus dem Bordell, in dem seine Mutter arbeitete, "gerettet" und zum Priester ausgebildet. Doch je mehr er in den Kontakt mit den "ketzerischen" Lehren kommt, desto mehr Zweifel steigen in ihm auf. Vor allem, als er nach dem Tod seines Beichtvaters ein Geheimnis über seine Herkunft erfährt, nehmen diese Zweifel immer mehr zu. Die innere Zerrissenheit, die Verzweiflung und die Hilflosigkeit, die der junge Priester durchlebt, sind glaubhaft und feinfühlig dargestellt.

Auch die Liebesgeschichte kann überzeugen. Ohne ins Kitschige abzugleiten, erzählt die Autorin von den schier unüberbrückbaren Unterschieden zwischen Anna und Gabriel, besonders in Glaubensdingen. Von den Ängsten, Enttäuschungen und Verletzungen, die beide erleben und der schwierigen, mühevollen erneuten Annäherung. Es ist eine leise, ruhige Geschichte, die nicht von Anfang an mit aller Macht auf ein zuckerwatterosa glückliches Ende zustürmt.
Doch auch die Nebenfiguren, wie der polternde, gutmütige Sir John, die alte, seltsame Zigeunerin Jetta oder der liebenswerte, behinderte Bek, bereichern das Buch ungemein und lassen den Leser an ihrem Schicksal Anteil nehmen.

Insgesamt legt Brenda Vantrease mit ihrem zweiten Roman ein fesselndes, informatives und spannendes Werk vor, das sogar den ersten Teil übertrifft, da es keine übertriebenen, unglaubwürdigen Wendungen enthält und die Grundstimmung insgesamt positiver gehalten ist. Es ist von Vorteil, den ersten Teil auch gelesen zu haben, da man sonst einige Anspielungen nicht versteht, doch es ist nicht zwingend Vorraussetzung.

 

Die Schriftenhändlerin

Brenda Vantrease, Limes

Die Schriftenhändlerin

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