Die Stadt der Auserwählten
- Rowohlt
- Erschienen: August 2025
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Was passiert, wenn man Scharlatanen folgt.
1534. In Brüssel bittet die Schwester des Kaisers, Maria, ihren Leibwächter Jakob, für sie einen Auftrag zu erledigen. Er soll das Mädchen Ernestine aufspüren, Tochter eines Adeligen, die sich den Täufern unter Jan Matthys angeschlossen haben soll. Jakob soll sie befreien und zurückbringen. Er bekommt mit dem Soldaten Benoît jemanden an die Seite gestellt, der das Mädchen kennt, und die Spur führt die beiden zunächst nach Amsterdam. Allerdings ist Matthys mit seinem Gefolge bereits abgereist in eine Stadt, die sie das „neue Jerusalem“ nennen und die das Zentrum der Wiedertäufer werden soll: nach Münster. Hier will man gemeinsam auf den Weltuntergang warten, der für Ostern vorhergesagt ist.
In Münster errichtet Matthys eine Schreckensherrschaft, und Jakob kommt bei einem Schmied unter, der gemeinsam mit seiner Zwillingsschwester Katharina für die Gilde der Schmiede arbeitet. Während der Schmied Andreas den Täufern und ihren Ideen zugeneigt ist, versucht Jakob, Ernestine zu finden. Dabei verliebt er sich in Katharina, die wie Jakob den Täufern gegenüber eher skeptisch ist.
Das Täuferregime schickt alle Nichtgläubigen, die sich nicht taufen lassen wollen, aus der Stadt, zeitgleich strömen Hunderte Gläubige in die Stadt. Sie riegeln sich ab, und der Bischof belagert die Stadt von außen. Als das von Jan Matthys angekündigte Armageddon nicht passiert, wird er getötet und sein Nachfolger Jan Bockelson übernimmt das Ruder. Mit Vielweiberei und biblischen Prophezeiungen ernennt er sich zum König von Münster und wird noch schlimmer als sein Vorgänger. Doch wo ist Ernestine, und wird sie sich Jakob anschließen, wenn er sie mitnehmen will? Und was soll aus Jakob und Katharina werden? Das kann nur in einem Blutbad enden.
Historisch belegte Geschichte
Michael Römling beschreibt in seinem Roman „Die Stadt der Auserwählten“ die Zeit von 1534/35, als das Wiedertäufertum in der Belagerung der Stadt Münster gipfelte. Die drei Käfige, in denen die Überreste der Haupträdelsführer als abschreckendes Beispiel zur Schau gestellt wurden, hängen noch heute an der Lambertikirche und erinnern an die damalige Schreckensherrschaft. Wie es dazu kommen konnte, wird in dem Roman anhand der Geschichte des ehemaligen Soldaten Jakob beschrieben, der sich in die Stadt einschleust.
Jakobs Auftrag lautet, das Mädchen Ernestine zu finden und sie zu ihrem Vater zurückzubringen. Nicht weil ihr Vater seine Tochter so liebt, sondern weil es nicht gut ankommt, wenn er nicht weiß, wo sie ist. Jakobs Recherchen führen ihn zunächst nach Amsterdam, doch hier heißt es, sie sei mit dem Täufer Jan Matthys nach Münster unterwegs, also macht auch Jakob sich auf den Weg nach Westfalen. Nach dieser freien Einleitung schwenkt Michael Römling über in eine gut überlieferte und bezeugte Zeit der Münsteraner Wiedertäufer. Die „Überhandlung“ des Wiedertäuferreiches ist gut belegt und bildet daher den Rahmen der nun folgenden Handlung in Münster.
Einem Scharlatan folgt der nächste
Man merkt der Geschichte an, dass sie in Münster in einem realen Zeitrahmen spielt. Nur knapp eineinhalb Jahre hat das Wiedertäuferreich überdauert, und wie Jakob Ernestine sucht und zudem Katharine kennenlernt, das hat einen beeindruckenden historischen Hintergrund. Das private und das „berufliche“, wenn man so will, ermöglicht es dem Autor, diese Zeit in Münster aus mehreren Blickwinkeln zu beleuchten. So erfährt man, wie die Lebensverhältnisse waren, die sich von Tag zu Tag verschlimmert haben, bis man sogar Katzen und Hunde gegessen hat, weil sonst nichts mehr in der belagerten Stadt zu finden war; wie sich Freunde und Familie gegenseitig belauert und verraten haben, und wie die Gläubigen im engsten Kreis erst um Matthys, dann um Bockelson trotzdem in Protz gelebt haben. Das sind beeindruckende Schilderungen, über die man heute nur noch den Kopf schütteln kann, auch wenn sie gut 500 Jahre her sind.
Römling schafft es, seine Leser in die Zeit und in die Stadt Münster zu versetzen (ein Stadtplan von damals ist im Buch vorne abgedruckt) und ist durch seine Protagonisten ganz nah am Geschehen. Jakob ist zwar ein Draufgänger, durch seine spontane Liebe zu Katharina und seine Sorge um deren Bruder Andreas bekommt er aber eine weitere charakterliche Nuance, die ihn realer werden lässt. Katharina ist eine Frau aus dem richtigen Leben, die gegenüber den Wiedertäufern skeptisch ist und ihren Bruder, der den Täufern folgt, vor deren Regime fernhalten möchte. Jan Mathys und Jan Bockelson sind die historisch belegten Anführer der Täufer und entlarven sich letztlich als nicht fähig, ihre Geschichte als Anführer durchzuziehen, sie erleiden ein ihnen zustehendes Schicksal, beide durch Verrat. Und dann ist da noch Goswin, der eigentlich zu den Anhängern der Täufer gehört, ein Soldat, der aber irgendwann merkt, dass das Täuferreich dahingeht, und der dann versucht, das Beste für sich aus der Situation herauszuschlagen. Er ist die unsympathische Figur, der von Römling sehr unangenehm charakterisiert wird, somit aber zeigt, dass es auch damals nicht nur schwarz und weiß gab.
Spannende Geschichte
Michael Römling zeigt mit seinen Figuren alle Facetten, die Charaktere zu einer umfassenden Geschichte benötigen. Die Geschichte ist größtenteils wie beschrieben überliefert, beginnend mit unrealistischen Versprechungen von religiösen Spinnern an gläubige Schafe, endend mit Verrat, als das Versprochene nicht eintritt. Die Leichtgläubigkeit der Menschen ist wohl der Höhepunkt, da sie nach dem Tod des ersten Scharlatans direkt dem nächsten verfallen, unter dem alles noch schlimmer wird. Eine gewisse Aktualität gegenüber heutigen Ereignissen lässt sich erkennen, und so wird der geneigte Leser zum Nachdenken gebracht, ob man selber damals zu den gläubigen Schafen oder zu den selbst denkenden Menschen gehört hätte. Abgesehen davon, dass man damals nicht die Möglichkeiten hatte, die es heutzutage gibt, stellt sich doch die Frage, ob man den Herrschenden alles ungeprüft glauben sollte.
Fazit
Michael Römlings Roman „Die Stadt der Auserwählten“ erzählt auf spannende und intensive Weise die Geschichte der Wiedertäufer in Münster in den Jahren 1533/34 und lässt den Leser mitten in das Täuferreich eintauchen. Die Leser geraten unwillkürlich in den Sog der Handlung, die, historisch belegt, nur in der Katastrophe enden kann. Für wen, das zeigt sich nach der 620 Seiten starken Lektüre aus dem Rowohlt Verlag, die als Taschenbuch daherkommt und deren Nachwort man sich nicht entgehen lassen sollte. Ausgesprochen empfehlenswert.

Michael Römling, Rowohlt
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