Die Melodie der Gnade
- Scm Hänssler
- Erschienen: Mai 2025
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Leben und Leiden eines Sünders.
John Newton wurde 1725 in London geboren und fuhr schon früh zur See. Die Mutter war schwer krank und lebte bei einer anderen Familie, da der Vater selber als Kapitän oft auf See war, sodass sich Newtons Seefahrkarriere fast von selbst ergab. Nach dem frühen Tod der Mutter besuchte Newton die Pflegefamilie und verliebte sich in deren Tochter Polly, der er versprach, sie eines Tages zu heiraten. Doch er wurde mit 19 Jahren durch ein Presskommando für die Marine zwangsrekrutiert und machte als Seemann die schlimmsten Erfahrungen seines Lebens.
Neben brutalen Kapitänen und schweren Stürmen überlebte er den Dienst auf Sklavenschiffen und wurde in Westafrika in Sierra Leone, auf Plantain Island, Assistent eines Sklavenhändlers auf einer Sklavenstation. Dort jedoch wurde er nach der Abfahrt des Kapitäns von dessen Frau so schwer misshandelt und missachtet, dass er nur niedere Dienste tun durfte, als „Diener der Sklaven“ behandelt wurde, und im Prinzip sich selbst überlassen wurde. Nach einem Jahr der Hölle wurde er von einem englischen Schiff, das sein Vater zur Suche ausgeschickt hatte, entdeckt und nach Hause gebracht. Zu Hause soll er als Kapitän auf einem Sklavenschiff wieder in See stechen, doch zwei Tage vor der Abfahrt erleidet er einen Schlaganfall, und er wird nie wieder zur See fahren. Man schreibt das Jahr 1754.
Nachdem er die Hölle auf See und den Schlaganfall überlebt hat, beschließt er, sein Leben Gott zu widmen, zu dem er während eines Sturms gebetet hat, den er fast nicht überlebt hätte. Er lässt sich zum Prediger ausbilden und kurz nach seiner Ordination , 1764, erscheinen seine Memoiren, die für noch mehr Zulauf in seinen Gottesdiensten sorgen. Die Menschen kommen zu ihm und seiner Frau Polly. Zusammen mit dem Dichter William Cowper schreibt er Texte für zahlreiche geistliche Lieder, sein bekanntestes ist „Amazing Grace“, das zum ersten Mal in der Neujahrspredigt 1773 vorgetragen wurde. Ab 1778 engagierte sich Newton gegen den Sklavenhandel, er starb im Jahr 1807 in London.
Romanbiografie
Die Romanbiografie „Die Melodie der Gnade“ von Bruce Hindmarsh und Craig Borlase ist wohl recherchiert und erzählt den außergewöhnlichen Leidens- und Lebensweg von John Newton, dem Textdichter des noch heute bekannten Liedes „Amazing Grace“. „Amazing Grace“ ist auch der Originaltitel des 2023 auf Englisch erschienenen Buches, der sich sowohl auf das Leben als auch auf das Lied bezieht. Das Leben auf See, seine eigenen Sünden und Schwierigkeiten, sein tiefer persönlicher Fall mit Sklaven und als Sklavenhändler, bilden die Voraussetzung für sein Leben als geläuterter Mann, der sich Gottes Gnade ergibt und somit die Voraussetzung für das Lied „Amazing Grace“.
Die Recherchen der beiden Autoren gehen, wie im Nachwort beschrieben, weit über Newtons Autobiografie hinaus. Zwar nutzten sie dies als Basis für ihren Roman, doch konnten sie auch noch auf weitere Quellen und eigene Forschungen zurückgreifen, Berichte vergleichen, Unstimmigkeiten korrigieren und Fehler richtigstellen, die allesamt in der vorliegenden Geschichte zusammenkommen. Dabei ist vor allem der Teil spannend geschrieben, der Newtons Geschichte auf See erzählt, das sind immerhin die ersten beiden Drittel des Romans, endend mit Newtons Schlaganfall.
Den Autoren gelingt es gerade in diesem Teil, den Leser mitzunehmen in das Elend, das Newton widerfahren ist, sein Schicksal, wo immer dann, wenn man denkt, es kann nicht schlimmer werden, es doch noch schlimmer wird. Bis er so weit als Mensch erniedrigt ist und noch unter einem Sklaven rangiert, als „Diener der Sklaven“, dass er selbst nicht mehr weiß, wer er ist und was ein Leben überhaupt ist.
Ist ein Diener der Sklaven noch Mensch?
Als er sich im tiefsten Abgrund befindet, wird er gerettet, und als sein Schiff in einen so schweren Sturm gerät, dass nicht klar ist, ob er und die Mannschaft je wieder Land und Rettung sehen würden, weiß er sich nicht anders zu helfen, als zu beten, was er zuvor nie getan hat, da es in seinem Leben keine Perspektive gegeben hat. Von diesem Zeitpunkt an liest er in der Bibel und er findet Trost und Gnade in dem Buch der Bücher, welches nach seinem Schlaganfall sein Leben verändert.
Das letzte Drittel ist zwar auch intensiv geschrieben, wie er mit seiner Frau als Priester lebt, den Menschen Trost spendet und ihnen die Gnade Gottes verheißt, was schließlich unter anderem im Lied „Amazing Grace“ eine spirituelle Zusammenfassung findet. Dennoch fehlt hier der Erzählfluss, denn die Autoren erzählen hintereinander mehrere Aspekte des Lebens von Newton, und schieben diese dann nachträglich ineinander, sodass eine Chronologie in der Erzählung nicht mehr vorhanden ist und nicht mehr klar ist, in welcher Reihenfolge die Dinge geschehen sind und sich aufeinander beziehen oder sich beeinflussen. So wird das Schicksal von William Cowper eingeflochten, dem Mitdichter seiner Lieder, der in seinen schweren religiösen Depressionen von Newton unterstützt wurde, dann gibt es weitere Menschen, denen er hilft, schließlich lernt er William Wilberforce kennen, der gegen den Sklavenhandel ist. Newton wird selber ein Verfechter gegen den Sklavenhandel und wird dies auch mehrfach vor Gericht vertreten. Doch diese Handlungen geschehen nebeneinander, nicht nacheinander, hier ist also die Chronologie ausgehebelt, und daher liest es sich auch nicht mehr so flüssig wie der erste Teil.
Der zweite Teil fällt erzählerisch ab
In diesem zweiten Teil werden immer wieder Ausschnitte aus Newtons Predigten, seinen Tagebüchern, Briefen, der Autobiografie und seinen Liedern eingefügt, die der Geschichte einen eindrücklichen Realismus geben, sodass man den Wandel im Menschen John Newton gut nachvollziehen kann.
Wer allerdings, wie der Buchtitel suggeriert, mehr über die Entstehungsgeschichte des Liedes „Amazing Grace“ erfahren möchte, sieht sich am Ende getäuscht. Man erfährt Newtons Lebensgeschichte, also den Hintergrund des Liedes, und dass es am 1. Januar 1773 zum ersten Mal vorgetragen wurde (mit komplett abgedrucktem Text in Englisch mit Übersetzung ins Deutsche), warum er es letztlich geschrieben hat, wann und wie der Prozess war, das erfährt der Leser nicht, das Lied ist einfach irgendwann da. Von einer Melodie ganz zu schweigen. Das ist etwas enttäuschend, da hier eine Erwartung um das Lied nicht erfüllt wird.
Neben der Romanbiografie enthält das Buch ein Nachwort, das mehr eine christliche Ausdeutung des Lebens John Newtons ist. In vier Aspekten werden dem Leser hier Weisheiten nahegelegt, wie man anhand seiner Geschichte sein eigenes Leben in der Gnade Gottes betrachten kann. Dieser Aspekt des Buches (über acht Seiten) könnte für nicht-religiöse Menschen übertrieben sein, aber wer diese Ausdeutung nicht lesen möchte, kann sie ja einfach überspringen.
Eine Danksagung, ausführliche Anmerkungen zu jedem der 12 Kapitel plus Vor- und Nachwort und eine Bibliografie ergänzen die rund 300seitige Romanbiografie aus dem Hänssler Verlag. Cover und Aufmachung sind ansprechend gestaltet, und die Mühen, die der Verlag sich mit diesem historischen Buch gemacht hat, sind anerkennenswert und zeigen eine bisweilen spannende bis beeindruckende Lebensgeschichte, die in die Zeit des 18. Jahrhunderts entführt und wahrlich keine Seefahrerromantik bietet.
Fazit
Das Leben des Seefahrers und Verfassers geistlicher Lieder John Newton wird in dieser Romanbiografie spannend und eindrücklich erzählt und bringt Einblicke in eine Zeit, in der sich die westliche Menschheit wahrlich nicht christlich verhalten hat. Newton macht bis zu seiner Bekehrung mehr Tiefen als Höhen durch, und dies wird teilweise sehr ausführlich und unter die Haut gehend beschrieben. Im letzten Drittel, während seiner Priesterzeit, flacht die Erzählung ab und verliert an Intensität. Das Lied „Amazing Grace“ ist irgendwann einfach da, ohne die Geschichte der Entstehung. Dennoch bietet das Buch einen spannenden Einblick in die Zeit und Welt des Sklavenhandels, mit gerade im letzten Drittel deutlich religiösem Einschlag.

Craig Borlase, Bruce Hindmarsh, Scm Hänssler

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