Der Zorn der Flut

  • Rowohlt
  • Erschienen: November 2022
  • 2
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Carsten Jaehner
891001

Histo-Couch Rezension vonApr 2023

Packende Geschichte des Untergangs von Rungholt

Nordfriesland im Winter 1361. Griet, die Tochter des Stallers, ist verliebt in Auke, und beide würden gerne heiraten. Auke will zu Weihnachten um die Hand von Griet anhalten, doch hat er mit ein paar Männern einen Troß des dänischen Königs überfallen und dort einiges Silber gestohlen, und obwohl niemand sich sicher ist, dass es Auke gewesen ist mit dem Überfall, ist er im Ort nicht wohlgelitten und auch vom Stand her unter dem des Stallers. Dieser hat bereits einen anderen Bräutigam für Griet im Auge: den Fernkaufmann Ulrich Wellenwever aus Hamburg, der vor allem wirtschaftlich für den Vater eine gute Partie ist.

Aukes Bruder Folkert ist Deichbauer und beäugt schon seit einiger Zeit misstrauisch das Wetter und die Zustände der Deiche und Warften. Einige davon sind in letzter Zeit abgesackt und liegen unter dem Meeresspiegel, und bei einer Flut würde es bestimmt nicht gut ausgehen. Er fragt deswegen beim zuständigen Staller, Griets Vater, an, und der vertröstet ihn grimmig auf das Folgejahr. Derweil will Wellenwever die Hochzeit mit Griet, die ihm Handelsbeziehungen ins reiche Rungholt sichert, so schnell wie möglich abhalten.

So feiert Rungholt am 16. Januar 1632 eine große Hochzeit, mit einem unfreundlichen Wellenwever und einer unwilligen Braut. Währenddessen ist draußen ein gewaltiger Sturm aufgezogen, der alle bisherigen Hochwasser in den Schatten stellt und der Rungholts Untergang bedeutet. Doch wer wird die Katastrophe überleben? Und was passiert mit Rungholt und den Überlebenden nach der großen Flut?

Mehrere Geschichten fügen sich zu einer

Es gab schon einige Romane, die sich mit dem Untergang Rungholts und der sogenannten zweiten Marcellusflut beschäftigt haben. Nun hat sich Hendrik Lambertus der Thematik angenommen und erzählt die Geschichte der Flut aus der Perspektive mehrerer Menschen, die sich aus verschiedenen Gründen in Rungholt zusammenfinden, und nicht alle werden die Sturmflut überleben. Aber wer wäre schon gekommen, wenn er oder sie gewusst hätte, dass es eine Sturmflut geben würde?

Da ist Janne mit ihrer Tochter Lentje, die als geschundene Magd von ihrem Herrn flieht und zufällig auf Griet trifft, die in Rungholt den Kaufmann Wellenwever heiraten soll. Janne hat etwas zu verbergen, daher kann sie sich nicht so frei und offen zeigen wie sie gerne würde. Griet liebt eigentlich Auke, doch hat ihr Vater sie dem Kaufmann Wellenwever versprochen, eine Zweckheirat, die sowohl dem Vater als auch Wellenwever nützt, aber nicht Griet. Ihr Geliebter Auke wettert gegen den dänischen König, der die Nordfriesen unterdrückt und vergisst. Auke bestiehlt mit ein paar Freunden den Trupp des Königs und macht sich damit gleichzeitig bei den eigenen Leuten beliebt und unbeliebt. Sein Bruder Folkert Ist Deichbauer und beobachtet seit langem, dass die Deiche nicht mehr in bestem Zustand sind.

So gibt es mehrere Geschichten, die alle in Rungholt ineinanderfließen, und jede dieser Geschichten ist nachvollziehbar und zeigt die Sorgen und Nöte, aber auch das einfache Leben an der Nordsee in der Mitte des 14. Jahrhunderts auf. Auch der politische Aspekt ist durch die Dänen und ihren König vertreten, in diesem Fall durch seinen Stellvertreter, den Ritter Oluf von Dyre, der gerade nach der Flut auf dem Thing die Belange der dänischen Krone vertritt und für sie einsteht. Somit bekommt das sonst lokale Ereignis eine weitreichendere Bedeutung, die den Menschen während der Fluttage noch nicht klar war. Der Autor hat gut recherchiert, bis auf den kleinen Fakt, dass es damals noch keine blaue Tinte gab, diese ist wohl eher eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Tinte damals war eher braun oder schwarz.

Düstere Atmosphäre

Interessant ist nicht nur, wer die Flut überlebt, sondern vor allem, wie die Menschen danach mit ihren Verlusten umgehen, seien es die personellen oder die materiellen. Die Menschen brauchen dringend Hilfe, haben alles verloren was sie hatten, werden aber von den dänischen Herrschern nicht beachtet. Da ist es fast logisch, dass man auf kriminelle Handlungen ausweichen muss, um überhaupt zu überleben. Den Armen ihr letztes zu nehmen, um selbst überhaupt zu überleben, ist aber auch nicht fein, aber manchmal geraten die Dinge aus dem Ruder, ohne dass man es merkt. Mehr soll hier nicht verraten werden.

Der Roman beeindruckt vor allem an den Stellen, wo die Menschen mit der Flut konfrontiert werden, mit der Dramatik, die alles zuvor Gewesene mit einem Mal auslöscht. Man kann als Leser gut nachvollziehen, wie die Menschen agieren; einzig Wellenwever bleibt als vermeintlicher Bösewicht des Romans ein wenig plakativ. Sonst gelingt es dem Autor, seine Charaktere nicht schwarz-weiß zu malen, ein buntes Kaleidoskop mit den damaligen Möglichkeiten, und eine gelungene Mischung aus den wenigen Fakten, die heute noch von der Flut bekannt sind, und der Fiktion, die diese miteinander verbindet. Die Erzählzeit mit dem Winter 1361/62 bietet schon von sich aus eine ungemütliche Atmosphäre, die vom Autor gut eingefangen wird.

„Die Flut hatte die Leute auf brutale Weise auf ihr simples Menschsein zurückgeworfen, ganz gleich, aus welchem Stand sie stammten.“

Der knapp 600 Seiten starke Roman aus dem Hause Rowohlt besticht durch ein treffendes Coverbild und ist in drei Teile eingeteilt: Die Vorgeschichten der Menschen 1361 und ihre Reisen nach Rungholt, die Katstrophe und im letzten Teil das Leben danach. Ein Nachwort gibt ein paar Fakten über die Historizität des Romans wieder und ein Glossar (der gerne vorne im Buch hätte stehen können statt hinten) erklärt viele Begriffe aus der Zeit. Gerne hätte man auch eine Karte der Gegend gesehen, wo sich Rungholt befunden hat, denn das wird aus dem Roman leider nicht ganz klar und muss daher von den Lesern selbst erforscht werden.

Fazit

„Der Zorn der Flut“ ist der zweite historische Roman von Hendrik Lambertus und holt den Leser in eine ungemütliche Zeit, den Winter 1361/62 an der nordfriesischen Küste, ehe das Unvermeidliche geschieht und die See sich die Insel Rungholt holt und die Geografie des Nordens verändert. Der Roman ist bisweilen spannend und fesselt den Leser mit seiner stimmigen Geschichte.

Der Zorn der Flut

Hendrik Lambertus, Rowohlt

Der Zorn der Flut

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