Die Beute

  • Lübbe
  • Erschienen: Februar 2022
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Carsten Jaehner
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Histo-Couch Rezension vonJun 2022

Spannende Evakuierung des Louvre

Eigentlich wollte Colonel Pierre Delort nicht dabei helfen, die Bilder aus dem Louvre vor dem zu befürchtendem Einmarsch der Deutschen in Paris im Jahr 1939 zu evakuieren. Zu groß ist der Schmerz, bei der Evakuierung des Madrider Prado seinen Bruder bei derselben Aktion verloren zu haben. Doch sein Sachverstand und seine Erfahrung lassen ihn zum Berater werden und so zwangsläufig auch zum Helfer. Denn mal eben über dreitausend wertvolle Gemälde, Statuen und Artefakte aus dem größten Museum Frankreichs verschwinden zu lassen, und das möglichst unbemerkt, ist nicht so einfach.

Kein Wunder, dass auch die Nazis sich auf den zu erwartenden Schatz freuen, was würde der Führer sagen, wenn es gelänge, deutsche Kunst aus dem Louvre nach Berlin zu bringen. Curt Hardefust, deutscher Botschafter in Berlin, hat ein Auge auf die Kunst geworfen und kann es kaum erwarten, nach einer erlittenen Schmach, die er ausgerechnet Delors zu verdanken hat, seinen Plan umzusetzen. Die Nazis fallen eher in Paris ein als gedacht, und noch sind nicht alle Kunstwerke in Sicherheit. Ein Wettrennen um die Zeit beginnt, die die Franzosen die Kunstwerke vor den Deutschen verstecken lässt. Und Delors hat das wertvollste Gemälde der Welt, Leonardo da Vincis „Mona Lisa“, immer bei sich, damit gerade sie nicht in die Hände der Deutschen fällt.

Wahre Begebenheiten, die Kopfschütteln verursachen

Wie schon in seinen vorherigen Romanen hat Autor Dirk Husemann sich ein eher unbekanntes historisches Ereignis herausgesucht, um dieses seiner Leserschaft in einem temporeichen Roman nahezubringen. Die Evakuierung des Louvre dürfte für die meisten Leser ein neuer Aspekt der Eroberung Frankreichs darstellen. Vielleicht hat man sich mal gefragt, ob das überhaupt passiert ist, aber richtig darüber nachgedacht hat man wohl nicht. „Die Beute“ schließt diese Lücke, und Dirk Husemann hat daraus einen spannenden Roman gemacht, der auf wahren Begebenheiten beruht.

Mit Pierre Delort hat Husemann einen Protagonisten geschaffen, der eben das gar nicht sein will: er will gar nichts mit der Evakuierung des Louvre zu tun haben, da sein Bruder bei der Evakuierung der Kunstwerke des Prado in Madrid ums Leben kam und ihn das ordentlich mitgenommen hat. Aber wie das immer so ist, man sagt als Berater zu und steckt dann mitten drin im Geschehen. Seine Schwester und sein Neffe zeigen kein Verständnis für ihn, auch kann er vorsichtshalber keinen Kontakt zu ihnen halten, was natürlich auch nicht zur Verbesserung des Geschwisterverhältnisses beiträgt. Also stürzt sich Pierre in das Unternehmen, die Kunstwerke des Louvre irgendwo zu verstecken, wo sie nicht in die Hände der Nazis fallen können.

Schwierigkeiten ohne Ende

Dass sich das Ganze zu einem Parforce-Ritt entwickeln würde, ist dabei nicht der Fantasie des Autors entsprungen. Wäre dem so, würde man die Geschichte als schlechte Fantasterei abtun. Doch wie der Autor im lesenswerten Nachwort erklärt, ist das meiste tatsächlich so gewesen: Es gab nur fünf statt bestellter dreißig Lastwagen zum Abtransport, mit einem großen Bild blieb man in einem Dorf in den Oberleitungen hängen, man verfuhr sich in den Loire Tälern wegen des Nebels. Die besten Geschichten schreibt doch die Realität.

Dazu gehören auch die Probleme mit den Besitzern der Schlösser: Ärger wegen der versprochenen Bezahlung, feuchte Keller, marode Räume, die Bildern und Statuen unermessliche Schäden zufügen können, immer wieder die Flucht vor den Deutschen, die zwar auf der richtigen Spur sind, aber doch immer das Nachsehen haben. Tatsächlich haben sie die wirklich bedeutenden Werke nie bekommen. Vor allem die Mona Lisa nicht, die Pierre immer in einem extra angefertigten Koffer bei sich trägt. Allein sie darf den Nazis nicht in die Hände fallen, und der Weg, den sie hinter sich bringt, ist ein Abenteuer für sich.

Hohes Erzähltempo

Husemann hat sich in seiner Handlung an die Tatsachen gehalten, die dem Leser zwar wie ein Film vorkommen werden, aber durch Fotografien und Berichte belegt sind. Bei den Personen hat er mehrere reale Figuren zusammengefügt und im Falle von Pierre eine daraus gemacht. Auch Curt Hardefust, der Nazi auf den Spuren der Kunstwerke, hat ein reales Vorbild und wird von Husemann zu einem Bösewicht gemacht, für den man tatsächlich aus seiner Sicht Verständnis aufbringen kann, aber am Ende wird er doch keinen Erfolg haben.

Kleine Nebengeschichten wie die des Jungen Raoul, der die Tochter eines Bürgermeisters heiraten und dafür ihren Vater beeindrucken will, oder die der Automechanikerin Floride, die zunächst gegen Pierre ist, dann aber an seiner Seite mitmacht, würzen die Evakuierungsgeschichte und runden somit einen stimmigen Gesamtroman ab.

Husemanns Sprache ist einfach und für jeden verständlich, daher lassen sich die knapp 500 Seiten aus dem Lübbe Verlag flott weg lesen, was aber auch daran liegt, dass der Autor kurze, übersichtliche und temporeiche Kapitel verfasst hat, die den Leser stets daran hindern, das Buch vor Ende der Lektüre wegzulegen. Hinzu kommt ein gewisser Humor, zum Teil Galgenhumor, der dem Roman das Tüpfelchen auf dem i hinzufügt.

Fazit

„Die Beute“ ist ein unterhaltsamer Roman, der erstaunliche, wahre Begebenheiten erzählt und den Leser*innen in einem flotten Tempo eine interessante Geschichtsstunde erteilt, die man so nicht kennt und auch nicht erwartet hätte. Das Nachwort lässt das eine ums andere Mal den Kopf schütteln. Vielleicht sieht man die Kunstwerke beim nächsten Besuch des Louvre nun mit anderen Augen. Empfehlenswert.

Die Beute

Dirk Husemann, Lübbe

Die Beute

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