Die militante Madonna

  • Hoffmann & Campe
  • Erschienen: Oktober 2021
  • 1
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Carsten Jaehner
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Histo-Couch Rezension vonDez 2021

Wie es ist, ein Mann und eine Frau zu sein

Die Zeit der Aufklärung hat einige exotische Persönlichkeiten zu bieten, die bunte Farbtupfer in die die Gesellschaft bringen. Eine dieser Persönlichkeiten war sicherlich der Chevalier d’Éon, zu seiner Zeit bekannt für sein allgemein unbekanntes Geschlecht – die einen kannten ihn als Mann, die anderen als Frau, und erst nach seinem Tod brachte eine Leichenschau das endgültige Ergebnis. Die amerikanisch-österreichische Schriftstellerin Irene Dische widmet dem Chevalier ihren Roman „Die militante Madonna“ und beschreibt so – auch noch direkt aus seiner Ich-Perspektive – ein facettenreiches Leben, das nicht nur im Leben in zwei Geschlechtern begründet ist.

Eine wahre Geschichte

Dabei hat der Chevalier selbst keine eigene Neigung, welches Geschlecht ihm näher liegt und ob er nun Mann oder Frau ist. Das ist für ihn auch nicht wichtig und entscheidend. Meist wird ihm die Entscheidung darüber von anderen abgenommen die ihn nur als Mann oder nur in Frauenkleidern sehen wollen – und das auch oft von höchster königlicher Stelle. Bedingt ist das durch seine Tätigkeit als Diplomat, er verkehrt zwischen den europäischen Höfen, vor allem in England und Frankreich und trifft dort selbstredend wichtige Persönlichkeiten.

Aber auch das Volk belauert ihn und interessiert daher mehr für sein Geschlecht als für seine Arbeit. In London, in Diensten Frankreichs, begegnet er dem Journalisten Morande, der allein aus beruflichen Gründen wissen will, ob der Chevalier Mann oder Frau ist und das entsprechend journalistisch ausschlachten will. In Diensten Ludwigs XV. und als gebürtiger d‘Éon-Beaumont gehört er zum niederen Adel und spioniert für seine Majestät.

Spion und Spionin

Nach seiner Pariser Zeit geht er nach London, wo er bei dem pseudonymisierten Lord X unterkommt, dieser findet ihn derart sympathisch, dass er ihn als seinen Sohn annimmt und jegliche Diskussion um das Geschlecht aus dem Haus verbannt. Nach der Versöhnung mit dem König von Frankreich will Morande den König mit einer Schmähschrift erpressen, will sie aber zurückziehen, wenn der König die ganze Auflage kauft. Dies will der König durch den ehemaligen Verbrecher Pierre Caron de Beaumarchais machen lassen, der nichts mehr zu verlieren hat. Doch unglücklicherweise verbünden sich Pierre und Morande miteinander und stoßen so als Betrüger in die Welt des Chevaliers.

In Pierre findet der Leser den Dichter Beaumarchais, der später durch das Theaterstück „Die Hochzeit des Figaro“ bekannt und verboten werden wird. Fortan begleiten beide immer wieder den Lebenslauf des Chevaliers, verraten aber nie dessen Geschlecht, zumal sie beide es auch nicht hundertprozentig wissen. Da niemand das genaue Geschlecht weiß, kann man sogar in den Londoner Wettbüros darauf wetten; der Chevalier kommentiert immer wieder die aktuellen Quoten, was sich zu einer Art Running Gag durch das Buch zieht.

Ein Bild der Zeit

Neben vielen kleinen Geschichten erfährt der Leser viel über die Zeit aus der Sicht einer Person, der es egal ist, ob er oder sie als Mann oder Frau betrachtet wird. Es ist einfach nicht wichtig. Gerade in heutiger Zeit erfährt der Roman daher eine Aktualität, heutzutage würde man es Gendern nennen, damals gab es noch keinen Begriff dafür. Der Chevalier erzählt sehr charmant und pointensicher aus seiner Zeit, es gibt viele Geschichtchen und Anekdoten, über seine Reisen, Bälle, Tätigkeiten als Finanzberater, Jurist, Gauner und einfach nur Sohn einer grummeligen Mutter. Und das Geschlecht spielt keine Rolle.

„Sie tun mir leid. Sie werden nie die wahre Freiheit kennenlernen, die uns zuteilwird, wenn das Äußere nicht zählt und wir ignorieren, ob wir Brüste oder glatte Haut haben. Männlich oder weiblich, jung oder alt, dunkel- oder hellhäutig können wir uns erst dann fühlen, in jeder neuen Stunde so, wie es uns gerade passt, wenn wir nicht mehr von Äußerlichkeiten beherrscht werden.“

Sprachlich in jener Zeit behaftet, präsentiert die Autorin Irene Dische einen Roman aus des Chevaliers Ich-Perspektive, der ein treffendes Zeugnis der Zeit aus heutiger Sicht (was einiges ad absurdum führt), wie sich der Chevalier amüsiert, wie heutzutage mit der „Geschlechtersache“ umgegangen wird. In dieser Rückschau wirkt das eigene Leben dann doch vielfältiger und bunter, gerade im Rahmen der Zeit. Die 220 Seiten aus dem Verlag Hoffmann und Campe vergehen wie im Fluge, auch dank kurzer Kapitel, und natürlich berichten sie nicht vollständig über das Leben d’Éons, aber immerhin so viel, dass man sagen kann, dass es sich hier um einer sehr amüsante Version der „ältesten Geschichte der Welt“ handelt.

Fazit

„Die militante Madonna“ ist ein schöner Roman aus der Zeit der Aufklärung, der einen Teil des Weges des Chevaliers d’Éon aus seiner Ich-Perspektive nachzeichnet. Er war als Person beiderlei Geschlechts unterwegs und sah darin weniger ein Problem als die Menschen aus seinem Umfeld, was ihn in seinem Umfeld zu einer Berühmtheit und einer Kuriosität machte. Seine Geschichte sagt viel über das Denken der Zeit aus und ist somit zugleich spannend und abstoßend, was in diesem Fall so ziemlich das gleiche ist. Ein Roman für alle, die neue Blickwinkel auf die Aufklärung brauchen und die sich dabei gut unterhalten wollen. Leider bleiben einige Fragen unbeantwortet.

Die militante Madonna

Irene Dische, Hoffmann & Campe

Die militante Madonna

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