Eine Geschichte des Windes

  • Hanser
  • Erschienen: Juli 2021
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Carsten Jaehner
851001

Histo-Couch Rezension vonSep 2021

Von einem, der auszog, das Leben zu lernen

Viel ist nicht überliefert vom Hannes aus Aachen. Sein Vater hat noch in den Minen gearbeitet, wo Galmei abgebaut wird, ein Zinkerz, das dann zusammen mit Kupfer zu Messing verarbeitet wird. Doch die Kupferminen geben nichts mehr her, und so lernt der Hannes in einer Gießerei, wie man Glocken und Kanonen herstellt. Zur Ausbildung gehört natürlich auch, wie man die Kanonen benutzt, die richtige Dosierung des Schwarzpulvers und die Ausrichtung der Kanonenrohre. Der Hannes stellt sich nicht dumm an und beherrscht seine Arbeit.

Ein Freund von ihm hat Kontakte nach Spanien, wo eine Schiffsflotte aufgerüstet wird. Spanien steht in großer Konkurrenz zu Portugal, beide Länder streiten sich um das neu entdeckte Südamerika, aber natürlich werden an Bord Kanoniere gebraucht. So geschieht es, dass der Hannes am 10. August 1519 mit an Bord ist, als Die Expedition von Ferdinand Magellan von Sevilla aus den Atlantik überquert, um einen Weg zu den Gewürzinseln zu finden, die reiche Beute versprechen, deren genaue Lage aber wegen den Reichtümern geheim gehalten wird. Sie sollen im Pazifik sein, und Magellan vermutet eine Durchfahrtmöglichkeit weit im Süden.

So gehört Hannes also mit zu den 18 Seeleuten, die, wohl unabsichtlich, als erste die Welt umrundeten und nach fast drei Jahren zurück nach Spanien kamen, freilich ohne Magellan, der unterwegs von Einheimischen auf den Philippinen getötet wurde. Doch die Reise war ein finanzieller Misserfolg, nur wenige Gewürze konnten den Verlust von vier Schiffen nicht decken, und so hat der Hannes zwar die Welt umsegelt, doch eine Belohnung oder auch nur die ausstehende Heuer hat er nicht bekommen. Ob ihm eine weitere Segelexpedition wohl den ersehnten Reichtum beschert?

Eine beeindruckende Lebensleistung, leider nicht gewürdigt

Raoul Schrott beschreibt in seinem Roman „Eine Geschichte des Windes oder Von dem deutschen Kanonier der erstmals die Welt umrundete und dann ein zweites und ein drittes Mal“ die Geschichte eines Niemands, jedenfalls keiner Person, die die Nachwelt mit ihren Erlebnissen nachhaltig beeindruckt hätte. Dennoch hat der Autor ihn aufgespürt und erzählt entlang einiger überlieferter Eckdaten und aus anderen Quellen, in einer Mischung aus Roman und Sachbuch, die Geschichte von Hannes aus Aachen, später auch „Juan Aleman“ genannt.

Es ist einiges überliefert von den Seefahrten, die hier tagebuchmäßig beschrieben werden, vor allem von der ersten Fahrt, die Ferdinand Magellan zu den Gewürzinseln im Pazifik führen sollte, leider jedoch hat er das Ende nicht miterlebt, wohl aber der Hannes. Der Leser fiebert im wahrsten Sinne des Wortes an Bord mit und bekommt hautnah die unfassbaren Abenteuer und Geschehnisse mit, von Meutereien und Seestürmen und Flauten und Regen. Der Wind spielt das Schicksalsrad und immer wieder fragt sich Hannes, woher die Winde denn kommen und vermutet gar die Ursache im Meer selber wie „ein Furz aus dem Kadaver einer Kuh“:

„Doch wer weiß, vielleicht entstehen sie ja tatsächlich aus dem Verdauen und Verwesen von Meer und Land, wie sie sich hier, in Flut und Ebbe wogend, gegenseitig wiederkäuten.“

Warum kommt der Wind nie zugleich von mehreren Seiten? Warum wechseln sie sich ab? Und was passiert auf der anderen Seite des Äquators? Wenn man Wochen und Monate auf See verbringt, immer mit denselben Menschen, kommt man vielleicht auf komische Fragen, deren Antworten erstaunen mögen. Neben der Geschichte des Windes, die einen mal hierhin, mal dorthin führen, erfährt der Leser auch einiges über die Geschichte zu Beginn des 16. Jahrhunderts, wie sich Spanien und Portugal um Südamerika stritten und es unter sich aufteilten, wie man mit Eingeborenen umgeht und wie das mit den Gewürzen wirklich ist. Eine spannende Geschichtsstunde.

Dass Hannes an Land nicht glücklich wird, nach drei Jahren auf See, liegt nicht nur an der mangelnden Anerkennung, vor allem finanziell, vom Ruhm ganz zu schweigen. Eindrücklich wird beschrieben, wie er versucht, sich ein Leben aufzubauen, mit nichts als sich selbst und seinen Geschichten, die man ihm mal abnimmt, mal nicht, und so ist es kein Wunder, dass der unglückliche Mann erneut auf große Fahrt geht, hier kennt er sich wenigstens aus und er weiß, welche Enttäuschungen auf ihn warten.

Gewöhnungsbedürftiger Schreibstil

Was dem geneigten Leser schon früh auffallen mag, ist der Schreibstil des Autors, der, je länger je mehr, nicht nur im alten Stil des 16. Jahrhunderts, so denn vergleichbare überlieferte Schriften als Beispiel dienen können, sondern gleichwohl mit alten Formulierungen und Begriffen sowie kunstvoll ineinander verschachtelte Sätze und Nebensätze, mal mehr, mal weniger gehaltvoll, bestückt und zudem, wenn denn vom HErrgott die Rede ist, was naturgemäß ob der Situationen des Öfteren vorkommt, stets die ersten beiden Lettern in Großschrift die Bedeutung GOttes hervorgerufen wird, das alles in ellenlangen Sätzen verschwurbelt und verpackt, wie einstmals die Menschen, wenn sie denn lesen konnten, diese Schriften später in der Heimat verschlangen, während der Protagonist wegen zu wenig mitgebrachter Gewürze finanziell leer ausgeht, nicht einmal Ruhm bleibt übrig und somit die Erkenntnis: Warum das alles?

Neben diesen teilweise wirklich komplizierten und Konzentration fordernden Sätzen schreibt Hannes in seinem tagebuchähnlichen Bericht alle Fremdworte so, wie er sie ausspricht, nicht wie man sie eigentlich schreibt, was weiterhin ein Indiz ist, den Bericht authentisch wirken zu lassen. Raoul Schrott erweist sich hier als Meister seines Fachs und suggeriert durchgehend einen alten historisch überlieferten Bericht. Dazu gehört auch, dass es keine Seitenzahlen gibt, sondern nur Zahlen über den einzelnen, meist nur wenige Seiten starken Kapiteln, von diesen aber 120 in sieben größeren Abschnitten. Ein paar Kupferstiche um Magellan ergänzen den Roman, der gerne mehr Beiwerk hätte haben können.

Fazit:

Raoul Schrott ist mit „Eine Geschichte des Windes“ ein sprachliches Schmankerl gelungen, wobei gerade dieser Stil des 16. Jahrhunderts dem einen oder anderen Leser Schwierigkeiten bereiten könnte und doch gewöhnungsbedürftig ist. Wer sich darauf einlässt, taucht in eine Zeit und in eine Welt ein, die wie von einem Augenzeugen beschrieben wird und Verständnis für die Entdeckungsfahrten aufzeigt. Und bei der Wahl des ungewöhnlichsten Buchtitels des Jahres dürfte der Roman vorne mit dabei sein. Auch das ist eine Reminiszenz an die „alten“ Bücher. Lesenswert.

Eine Geschichte des Windes

Raoul Schrott, Hanser

Eine Geschichte des Windes

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