Der letzte Satz

  • Hanser
  • Erschienen: August 2020
  • 1
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Carsten Jaehner
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Histo-Couch Rezension vonSep 2020

Eine große Lebensreflexion

Der Komponist Gustav Mahler ist an Bord der „Amerika“, eines Luxusdampfers, der ihn von New York zurück nach Europa bringt. Er ist bereits sehr krank, seine Frau Alma und seine Tochter Anna sind unter Deck, und so sitzt er allein an Deck und sinniert über sein Leben, einige Ereignisse laufen wieder vor ihm ab und er reflektiert sein Dasein auf dieser Welt.

Es sind nur 126 Seiten aus dem Hause Hanser Berlin, die der Kurzroman „Der letzte Satz“ des Österreichers Robert Seethaler lang ist, dennoch reichen sie aus, um dem Komponisten Gustav Mahler näher zu kommen und das Bedürfnis im Leser zu wecken, sich näher mit ihm und seiner Musik zu beschäftigen. Obwohl das Datum nicht genannt wird, befindet man sich im Jahr 1911, auf Mahlers letzter Überfahrt, und am 18. Mai des Jahres wird er, nur fünfzigjährig, seinen letzten Atemzug tun.

Der Mensch Gustav Mahler

Gustav Mahler wurde im Juli 1860 in Kalischt in Böhmen geboren und war eigentlich zeitlebens kränklich. Er war nur 1,60 Meter groß, Sproß einer jüdischen Weinbrennerfamilie und doch im damaligen Musikleben ein ganz großer, der während seiner zehnjährigen Zeit als Operndirektor in Wien viele revolutionäre Dinge anstiess, wie die Vorschrift, während der Konzerten und Vorstellungen die Saaltüren zu schliessen, damit das bis dahin übliche Umherlaufen während den Darbietungen und das damit einhergehende Gemurmel ein Ende habe und die Künstler damit aufwertete. Er schrieb neun Sinfonien und eine unvollendete und war neben seiner Dirigententätigkeit und Komponiertätigkeit auch gleichzeitig der Regisseur der Opern, was erklärt, warum er nicht so viel komponiert hat wie andere Maestros, dennoch hat er selber nie eine Oper geschrieben – wohl wissend warum.

Nun sitzt Mahler an Deck eines Schiffes auf seiner letzten Reise, die Beine in eine Decke gewickelt, auf die versprochenen fliegenden Fische wartend und dabei immer wieder Situationen aus seinem Leben reflektierend. Er sinnt darüber nach, wie er in seinem Komponierhäusel gesessen hat und Noten aufgeschrieben hat, wie er seine Frau Alma kennen gelernt hat, die, 18 Jahre jünger als er, damals eine begehrte Frau war und sich doch in den kleinen schüchternen und damals bereits 41jährigen Gustav verliebte, der direkt meinte, es würde nicht einfach mit ihm werden. Und so war es auch, immerhin wurden sie Eltern zweiter Töchter, von denen die ältere Maria bereits mit viereinhalb Jahren an Diphtherie starb, ein Schlag für beide, der sie mehr entzweit denn zusammengebracht hatte. Mahler sinniert über Marias Geburt, über seine Schwimmausflüge mit ihr und natürlich über ihr Sterben, diese Episoden nehmen viel Raum ein und zeigen einen verwundbaren Mann, der nicht genug Zeit hatte, Zeit mit seiner Tochter zu verbringen.

Erfolge und Rückschläge

Ein weiterer Schicksalsschlag ist das Verhältnis Almas mit einem „Baumeister“, wie er ihn nennt. (Anm d. Red.: Der Name wird nicht genannt, es handelt sich aber um den späteren Bauhaus-Architekten Walter Gropius, den Alma 1915 heiratete.) Die sich daraus ergebende Krise führt Mahler dazu, sich mit Sigmund Freud zu treffen und sich mit ihm auszutauschen, eine Episode, die von Seethaler ebenfalls beschrieben wird.

Dass Mahler am Ende reflektiert, dass er vielleicht zu selbstbezogen war und nicht so sehr ein Ehemann, wie ihn Alma verdient hätte, hatte er eigentlich bereits vor der Hochzeit angekündigt, aber wenn es dann tatsächlich so kommt, tut es einem doch immer Leid. Ganz pragmatisch reflektiert er:

„Es war ja ganz einfach: Ein Mann stirbt. Eine Frau lebt. Mehr gab es dazu nicht zu sagen. Was sie mit ihrem Leben anstellte, ging ihn nichts mehr an. Sie würde bei ihm bleiben bis zum Schluss, das war mehr, als er erwarten durfte. Letztendlich war er derjenige, der ging. (…) Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis. Es war zum Heulen.“

Natürlich sagt diese Aussage mehr über ihn aus als über Alma, dennoch passt sie in die Zeit kurz vor dem ersten Weltkrieg, als die Welt sich immer schneller drehte und kurz vor der Explosion stand. Mahlers Rückblicke in sein Leben sind auch Rückblicke in die Zeit und in das Leben der Menschen, Künstler, Musiker, aber auch in das Zeitgeschehen und in die Psyche nicht nur von ihm, sondern auch von anderen. Die Arbeitsweise Freuds, die medizinischen Möglichkeiten bei der Rettung der Tochter, das Leben in Wien und in New York. Immerhin bleibt ihm am Ende sein grösster Triumph, die Aufführung seiner achten Sinfonie, genannt „Sinfonie der tausend“, weil bei der Uraufführung über 1000 Beteiligte mitgewirkt haben sollen, 500 Sänger, 350 Kinder, ein grosses Orchester, und entweder, es würde ein Triumph werden, was ja so geworden ist, oder er wäre in Schimpf und Schande untergegangen, was ja nicht so geworden ist. Also hat man im Leben doch auch einiges richtig gemacht.

Fazit:

Indem Gustav Mahler über sein Leben reflektiert, reflektiert er gleichzeitig über den Tod und erkennt die schönen und die nicht so schönen Seiten seines Lebens, die sich nun verdichten und sein Leben abschliessen werden. Er wird nicht mehr lange auf Erden bleiben, und diesen Prozeß schildert Robert Seethaler mit einer schnörkellosen und doch teilweise poetischen Sprache, die den Leser mitreisst und zeigt, dass vermeintlich große Köpfe am Ende auch nicht anders sind als der normale kleine Mann. Lesenswert.

Der letzte Satz

Robert Seethaler, Hanser

Der letzte Satz

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