Wiener Blaupausen

  • Gmeiner
  • Erschienen: Februar 2018
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Tobias Bollmeyer
901001

Histo-Couch Rezension vonMär 2019

Ein spannender Polit-Krimi mit hochaktueller Botschaft

Im Jahr 1967 wird Österreich von der sogenannten Nationalpartei regiert, die sich anschickt, die Demokratie durch die Ausschaltung politischer Gegner und die Kontrolle über den gesamten Sicherheits- und Machtapparat Stück für Stück auszuhöhlen. Anschließend will sie auch im benachbarten Deutschland die Macht übernehmen und solchermaßen ein (Groß-)Deutsches Reich (wieder-)errichten. Mit diesem Horrorszenario stellt Preyer einen Bezug zu den realen politischen Verhältnissen im Österreich der 1960er-Jahre her, die durchaus zu einer solchen kritischen Situation hätten führen können.

Was wäre also passiert, wenn die Nationalisten in ihrem Machthunger und ihrem Größenwahn nicht aufzuhalten gewesen wären? Diese Frage spielt Preyer in "Wiener Blaupausen" durch und verknüpft sie obendrein noch mit einem interessanten Kriminalfall. Im Mittelpunkt der Handlung steht ein Protagonist mit Ecken und Kanten, dem das Leben in mehrfacher Hinsicht übel mitspielt: Der Wiener Journalist Hans Gottschlich hat nach der Machtübernahme der Nationalpartei seine Arbeit verloren, weil seine Zeitung, die konservativ ausgerichtete "Gazette", eingestellt wurde. Also schlägt er sich mehr schlecht als recht als Privatdetektiv durch und haust in einem zur Wohnung umfunktionierten Büro. Auch privates Glück bleibt ihm verwehrt: Seine große Jugendliebe Helga hat nach dem Krieg einen anderen geheiratet, weil sie dachte, Gottschlich sei gefallen. Zwar kehrt er lebend aus der Gefangenschaft zurück, allerdings hat er im Krieg sein linkes Auge verloren, weshalb er unter chronischen Schmerzen leidet, die er mit Morphium zu lindern versucht. Hans Gottschlich ist also alles andere als ein strahlender Held, und dennoch - oder gerade deshalb - kann man sich als Leser von der ersten Seite an mit ihm identifizieren, jedenfalls dann, wenn einem der Typus des "Underdogs" grundsätzlich sympathisch ist.

Gottschlichs aktueller Fall als Privatdetektiv hat unmittelbar mit der angespannten politischen Lage im Land zu tun: Friedhelm Fernbacher, der ehemalige Chef der mittlerweile liquidierten Landwirtschaftsbank, will Gottschlich brisantes Material zukommen lassen, das belegen soll, dass die Funktionäre der Nationalpartei in kriminelle Machenschaften verwickelt sind und auch vor Morden nicht zurückschrecken. Diese Belege soll Gottschlich dem "Münchner Merkur" zur Veröffentlichung übergeben, wodurch - so die Hoffnung - die nationalistische Regierung in Österreich gestürzt werden könnte. Als Gottschlich am vereinbarten Treffpunkt eintrifft, findet er seinen Informanten Fernbacher tot vor. Es deutet alles auf einen Selbstmord hin, was Gottschlich jedoch anzweifelt. Er vermutet vielmehr, dass die Regierung und ihr treu ergebene Kräfte in der Polizei und beim Geheimdienst Fernbachers Tod zu verantworten haben. Sein Verdacht erhärtet sich, als ein kritisch eingestellter junger Polizist, der mit Gottschlich zusammenarbeiten will, ebenfalls ermordet wird. Nun liegt es allein an Gottschlich, den Mord an Fernbacher aufzuklären und an das brisante Material zu gelangen. Dafür muss er sich in immer waghalsigere Gefahrensituationen begeben, und leider haben seine wenigen Verbündeten mehr zu verlieren als er, sodass der notorische Einzelkämpfer Gottschlich sich bald tatsächlich weitgehend allein gegen den übermächtig erscheinenden Sicherheitsapparat des Regimes behaupten muss. Wäre da nicht Helga, die adrette Tochter eines seiner Detektivkollegen, die mit Gottschlichs Jugendliebe mehr als nur den Vornamen gemeinsam hat ... Wird es Gottschlich gelingen, die üblen Machenschaften der Regierung mit ihrer Hilfe aufzudecken, ohne dafür mit seinem Leben zu bezahlen?

Der Roman bezieht einen Großteil seines Reizes und seiner Spannung daraus, dass sowohl für die Leserinnen und Leser als auch für die Hauptfigur bis zum Schluss unklar bleibt, wem man in dieser politischen Ausnahmesituation tatsächlich trauen kann und wem nicht. Zwar ist Gottschlich in der bürgerlich-konservativen Szene Wiens gut vernetzt, aber wer sagt ihm, dass langjährige Freunde nicht längst aufseiten der Regierung stehen? Sein alter Kriegskamerad Nico Achleitner zum Beispiel, heute ein hoher Beamter in der Wiener Polizeibehörde: Er führt Gottschlich in den Konservativen Klub ein, in dem über die politische Zukunft Österreichs debattiert wird. Kann er ihm noch bedingungslos vertrauen? Gottschlichs einstige Jugendliebe Helga sympathisiert längst mit den Nationalen und ist inzwischen mit dem Journalisten Hans Alber verheiratet, der für eine regierungstreue Boulevardzeitung schreibt. Alle alten Gewissheiten sind aufgehoben, an ihre Stelle ist das Misstrauen als Grundhaltung getreten, mit dem Gottschlich jeder neuen Situation begegnet. Eine wertvolle Erfahrung, die er dabei macht, ist, dass nicht jeder, der mit den Nationalen sympathisiert, ausschließlich böse Absichten hat. Wer ist also tatsächlich für den Mord an Friedhelm Fernbacher verantwortlich? Ist es Bundeskanzler Guido Holl persönlich, wie Gottschlich vermutet? Oder gibt es andere, geradezu kriminelle Kräfte innerhalb der Regierungspartei, die ihr eigenes Spiel treiben?

Es macht trotz des ernsten Themas großen Spaß, Hans Gottschlich bei seinen Recherchen und den damit verbundenen Windungen und Umwegen zu folgen. Die Atmosphäre des Romans oszilliert zwischen einer gewissen Melancholie, die teils der politischen Situation, teils aber auch dem allgemeinen Gemütszustand des Protagonisten geschuldet ist, und einer heiteren Gelassenheit, die deutlich macht, dass das Leben immer irgendwie weitergeht. Schließlich ist auch der manchmal der Welt etwas entrückt erscheinende Gottschlich nicht vor den üblichen Irrungen und Wirrungen in Liebesdingen gefeit, ebenso wenig wie andere Figuren des Romans. Zwar wirken die Dialoge mitunter etwas hölzern und altbacken, jedoch mag dies auch dem Bemühen des Autors geschuldet sein, die Gesprächskultur der damaligen Zeit möglichst authentisch wiederzugeben. Gottschlich selbst vergleicht sich gerne mit dem "Wurschtl", der Wiener Version des Kasperls, der zwar leichtsinnig ist und viele Dummheiten begeht, den aber "kaner derschlag'n" kann, wie es in einem alten Wiener Volkslied heißt, der also nicht totzukriegen ist. Die Figur des "Wurschtl" stellt quasi das Leitmotiv des Romans dar. Aus ihr schöpft Gottschlich auch den Mut, seine Recherchen trotz zahlreicher Drohungen und Anfeindungen fortzusetzen.

Der Gegenwartsbezug des Romans ist angesichts der rechtspopulistischen Tendenzen in vielen europäischen Ländern nicht zu übersehen. So kann "Wiener Blaupausen" auch als Mahnung gelesen werden, sich nicht einfach mit den politischen Verhältnissen abzufinden, sondern sich aktiv für die Demokratie einzusetzen. Dies kann mindestens ein positiver Nebeneffekt dieses spannend konstruierten und kurzweilig erzählten Kriminalromans sein.

Wiener Blaupausen

J. J. Preyer, Gmeiner

Wiener Blaupausen

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