Möglichkeit des Friedens

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  • Erschienen: Januar 2018
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  • , 2018, Titel: 'Möglichkeit des Friedens', Originalausgabe
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Jörg Kijanski
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Histo-Couch Rezension vonJun 2018

Einblicke in eine sich radikalisierende Gesellschaft

Wien, 1924 bis 1938. Der "namenlose Historiker" (Professor) erzählt erneut die politischen Geschehnisse seiner österreichischen Heimat. Die Fortsetzung von Wahrscheinlichkeit des Krieges beginnt einige Jahre nach dem Untergang der Monarchie und endet mit dem Einmarsch der deutschen Nationalsozialisten. Der Ich-Erzähler war einst Berater seiner Majestät, Kaiser Franz Josef, für den er als Kriegsberichterstatter an zahlreichen Orten den Ersten Weltkrieg erlebte. Nun ist er arbeitslos, wohnt in einem Dachzimmer bei Frau Liebl im Arbeiterbezirk und entdeckt im Nachlass deren verstorbenen Mannes ein Vermögen. Franz Josef Liebl war einst Soldat an der Italienfront, verlor dort beide Beine und einen Arm, kam aber irgendwie an zahlreiche Goldmünzen. Diese versetzt der Protagonist nach und nach beim Goldjuden, so dass er seine Miete sowie den einen oderen anderen Gang ins Kaffeehaus bezahlen kann.

Eines Tages erhält der Professor Besuch von zwei Mitgliedern der SDAPÖ, der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs, die ihn bitten, als Bibliothekar der Partei zu arbeiten. Darüber hinaus soll er die Partei beraten und gerät hierdurch alsbald in politische Unruhen im kleinen, unbedeutenden Burgenland, wo (rechte) Frontkämpfer am 30. Januar 1927 auf (sozialistische) Schutzbündler treffen. Es gibt zwei Tote, drei Tage später folgt ein Generalstreik. Ein kleines Vorspiel auf das was folgen soll, denn die politische Stimmung im Land ist aufgeladen und hoch agressiv. Jeder sucht die Schuld beim politischen Gegner, die Schere zwischen Armen und Reichen öffnet sich immer weiter und aus einer zunächst subversiven Judenfeindlichkeit wird offene Ablehnung.

 

Damit er nicht missverstanden werde, persönlich sei er mit mir keinesfalls einer Meinung. Überhaupt sei es ihm schleierhaft, wie jemand mit derart latenten sozialdemokratischen Ansichten es ins Bundeskanzleramt geschafft habe.

Durch Beziehungen, meinte ich entschuldigend, woraufhin der Kanzler kurz verschmitzt grinste. In diesem Sinn sei ich dann doch durch und durch Österreicher, was ihn an meiner Person soweit schon wieder beruhigen würde. Es ginge doch nichts über ein flexibles Rückgrat.

 

Im weiteren Verlauf wechselt der Professor durch teils dubiose Zufälle die politischen Lager und ist somit stets Zeitzeuge der Ereignisse aus erster Reihe. Letztlich wird er sogar Engelbert Dollfuß beraten. Dieser wird 1934 die Nationalsozialisten verbieten, eine eigene Diktatur aufbauen und somit die politischen Verwerfungen weiter verschärfen - bis es letztlich zum bekannten Anschluss kommt.

Unterhaltsam, zum Nachdenken anregend, politisch hoch aktuell

Wie schon beim Vorgänger erlebt der namenlose Protagonist wichtige Ereignisse vor Ort und ist mittendrin im jeweiligen Machtzentrum. Die Armut der arbeitenden Bevölkerung steigt stetig, die Löhne sinken, die Arbeitslosigkeit wächst. Staatsschulden sollen beglichen werden, weitere Lohnsenkungen sind die Folge, während gleichzeitig bei Bankenkrisen Geld vom Staat zugeschoben wird. Zu den sozialen Ungerechtigkeiten, den vorherrschenden Ideologien und den sich daraus ergebenden Folgeerscheinungen gibt es zahlreiche Diskussionen. So debattiert der Professor unter anderem mit Karl Kraus, Fritz Lang bis hin zu eben Engelbert Dollfuß. Im Film "Metropolis" zeigt sich derweil, dass die fiktive Stadt genau wie Wien von Ungleicheit und Ungerechtigkeit geprägt ist. Freiheit des Einzelnen besteht nur noch aus Konsum, sofern man diesen bezahlen kann. Ansonsten steckt man fest in seiner gesellschaftlichen Klasse. Hitler wird diesen Begriff später durch "Rasse" ersetzen, ohne dass sich für die betroffenen Arbeiter groß etwas ändert.

 

"Die offene Dystopie zeigte mir eine mechanisierte Massengesellschaft, in der der einzelne Mensch seiner Individualität entwurzelt wurde und einem einzigen rationalen Zweck unterworfen war, Arbeiten und Konsumieren. Ich erkannte sofort, dass der Film nicht irgendeine ferne Zukunft zeigte, sondern die Gegenwart persiflierte. Industrialisierng und Massenkonsum hatten die Menschen längst in ein ökonomisches Hamsterrad gepresst. Die einzige Freiheit bestand darin, zu komsumieren."

 

Wer sich für die Epoche der Weltkriege interessiert, findet erneut zum Nachdenken anregenden, politisch (erschreckenderweise noch immer) hoch aktuellen Lesestoff, der mit viel Ironie, Zynismus und Sarkasmus (anders ist es kaum auszuhalten) vorgetragen wird. Die Diskurse sind mitunter anstrengend zu lesen, da beispielhaft wirtschaftstheoretische Grundlagen ausführlich besprochen werden. Ein eindrucksvoller Blick auf die damaligen Geschehnisse aus Sicht unserer Nachbarn und eine andere Heransgehensweise im Vergleich zu den zahlreichen Romanen, die in der Weimarer Republik und später im Dritten Reich angesiedelt sind. Inhaltlich tiefgründiger und informativer als die meiste Konkurrenz, zudem mit anhaltender Langzeitwirkung.

Möglichkeit des Friedens

Stefan Rothbart, -

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