Abschied in Prag

  • Diana
  • Erschienen: Januar 2017
  • 4
  • Diana, 2011, Titel: 'The Lost Wife', Originalausgabe
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Birgit Stöckel
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Histo-Couch Rezension vonDez 2017

Wie der Holocaust über das Kriegsende hinaus wirkt

Lenka und Joseph lernen sich 1936 in Prag kennen und lieben. Doch das Glück währt nicht lange. Kurz nach ihrer Hochzeit 1939 gelingt es Jospehs Vater, für seine Familie Ausreisevisa zu bekommen. Doch Lenka weigert sich, ihren Mann zu begleiten, da sie ihre eigene Familie nicht zurücklassen möchte. Die beiden verabreden, dass Joseph aus den USA versuchen wird, seine Frau, ihre Eltern und ihre Schwester nachzuholen. Doch sein Schiff wird auf der Überfahrt von einem deutschen U-Boot versenkt. Joseph ist der einzige seiner Familie, der überlebt, aber sein Name landet trotzdem auf der Liste der Todesopfer, die in der Zeitung veröffentlich wird. Für Lenka bricht eine Welt zusammen, hält sie ihren Mann doch nun für tot. Als Joseph schließlich in den USA landet und es schafft, einen Brief an Lenka zu schreiben, ist es zu spät. Sie und ihre Familie sind bereits deportiert: Zunächst nach Theresienstadt, dann nach Auschwitz. Lenka überlebt, aber Joseph kann sie auch nach dem Krieg nicht ausfindig machen und hält sie schließlich ebenfalls für tot. Beide heiraten, bauen sich ein neues Leben auf und versuchen, mit der Vergangenheit zu leben. Dann stehen sie sich eines Tages im Jahr 2000 auf der Hochzeit ihrer Enkel gegenüber&

Von der Schuld der Überlebenden

Abschied in Prag von Alyson Richman beginnt mit dem Treffen von Lenka und Joseph im Jahre 2000 in New York, als sie beide erkennen, dass er jeweils andere noch lebt. Das ist jedoch nur ein kurzes Kapitel, danach wird die Geschichte von Lenka und Jospeh erzählt, und zwar aus beiden Perspektiven. Von der Jugend in Prag an, durch die dunkle Zeit des Holocaust hindurch bis hin zum Leben nach dem Krieg. Während Lenkas Erzählungen sich hauptsächlich um die Zeit in Prag und nach der Deportation dreht, berichtet Joseph überwiegend von seinem Leben in Amerika nach seiner Flucht aus der Heimat.

Josephs Perspektive ist dabei extrem interessant, denn sie behandelt ein Thema, das so nicht oft vorkommt: Die Schuld der Überlebenden. Auch wenn er nichts dafür kann, hadert er sehr mit sich und der Welt, dass seine ganze Familie auf der Überfahrt ausgelöscht wurde und dass er Lenka zurück gelassen, ihrem Schicksal überlassen hat. Zwei Jahre nach Kriegsende heiratet er erneut. Seiner Frau, Amalia, ist es ebenfalls als einzige ihrer Familie gelungen, in die USA zu fliehen. Auch sie lebt mit der Gewissheit und der Schuld, die von ihr geliebten Menschen dadurch auf immer verloren zu haben. Doch dieses gemeinsame Schicksal verbindet nicht, sondern trennt sie. Jeder ist in seiner Sprachlosigkeit gefangen, unfähig, die Mauer zwischen ihnen nieder zu reißen, unfähig, wirklich glücklich zu sein. Es gelingt Richman, das an Kleinigkeiten darzustellen. An Überlegungen, Gedanken und Taten, die mehr sagen als alle Worte es könnten. Es wäre jedoch schön gewesen, noch etwas mehr darüber zu erfahren, denn Joseph hat im Vergleich zu Lenka den geringeren Erzählanteil, so dass manches doch etwas zu kurz kommt.

Schrecken und Überleben

Lenkas Gesichte hat man so oder so ähnlich schon häufiger gelesen, so dass im ersten Teil ab und zu Längen auftreten, denn man erfährt nicht wirklich etwas Neues. Das ändert sich nach der Deportation und insbesondere nach der Ankunft in Auschwitz. Zwar gibt es auch über das Leben in Lagern genug Romane, doch der Schrecken nutzt sich auch beim wiederholten Lesen nicht ab. Dazu trägt auch Richmans Sprache bei: Nüchtern und unaufgeregt lässt sie Lenka erzählen und dadurch gehen die Schilderungen unter die Haut. Es ist unfassbar, was Menschen anderen Menschen in dieser Zeit angetan haben. Die Qualen und Leiden sind unbegreiflich und es ist kaum vorstellbar, dass überhaupt jemand Auschwitz überleben konnte. Doch inmitten des Schreckens gibt es auch Augenblicke der Menschlichkeit. Insbesondere der Widerstand, den die Künstler leisten, und das Bemühen aller, das Leben für Kinder so erträglich wie möglich zu gestalten. Auch Lenka berichtet schließlich über ihr Leben nach dem Krieg und man kann alle Überlebende des Holocaust nur bewundern, wie sie fähig sind, ihr Leben mit diesen Wunden weiterzuführen.

Abschied in Prag ist ein feinfühlig erzähltes Buch über eine große Tragödie, das auf billige Effekthascherei verzichtet, sondern ruhig und präzise die Schrecken und Hoffnungen darstellt. Da es bereits so viele Romane über das Leben im Holocaust gibt, hätte es das Buch noch besser gemacht, wenn der Anteil der Jahre nach dem Krieg in der Erzählung größeren Raum eingenommen hätte. Die Schuld und der überwältigende Schatten, der über allem liegt, berührt einen und macht erst wirklich klar, dass der Holocaust nicht nur die Überlebenden traumatisiert hat, sondern auch in das Leben ihrer Familien hinein wirkt.

Zum Schluss sei noch gesagt, dass derjenige, der von einer Liebesgeschichte zwischen Joseph und Lenka nach ihrem Wiedersehen ausgeht, enttäuscht werden wird. Lediglich die ersten und die letzten Szenen handeln von dem Treffen und über das gegenseitige Erkennen geht es nicht hinaus. Das Ende ist somit offen gehalten, auch wenn es eine eindeutige Richtung gibt, was aber dem Buch insgesamt keinen Abbruch tut.

Abschied in Prag

Alyson Richman, Diana

Abschied in Prag

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