Der Jasmingarten

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 2017
  • 1
  • Goldmann, 2016, Titel: 'Caffè amaro', Originalausgabe
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Rita Dell'Agnese
901001

Histo-Couch Rezension vonSep 2017

Portrait einer sizilianischen Familie

Maria ist noch kaum dem Mädchenalter entwachsen, als der Blick des reichen Minenbesitzers Pietro Sala auf sie fällt. Pietro gehört zu einer der angesehensten Familien Siziliens und ist trotz seines nicht gerade tadellosen Lebenswandels ein begehrter Junggeselle. Anfang des 20. Jahrhunderts stellt es für ein Mädchen ohne Mitgift eine Ehre dar, von einem wohlhabenden Mann umworben zu werden. Zwar ist Marias Vater Ignazio Marra Anwalt, doch als glühender Anhänger der Sozialisten vertritt er vor allem arme Leute, die kaum Geld für den Anwalt haben. Weder der schon etwas ältere Vater noch die junge Mutter wollen Maria zur Ehe mit Pietro drängen, obwohl sie sich bewusst sind, dass ihre Tochter kaum eine bessere Partie machen könnte. Maria, die Pietros liebenswerte Seite kennen lernt, willigt in die Hochzeit ein, obwohl sie ihren Mann vor allem respektiert, nicht aber liebt. Denn ihr Herz gehört dem Ziehbruder Giosuè, dessen Vater ein guter Freund ihres Vaters gewesen war, aber bei einem Bauernaufstand getötet wurde.

Anfänglich scheint es, als ob Maria mit Pietro tatsächlich das große Los gezogen hätte: Er ist ein aufmerksamer Ehemann und stolz auf seine schöne Frau. Pietros Familie hingegen begegnet Maria mit Gleichgültigkeit bis Abneigung. Sie muss immer wieder kleine Gemeinheiten hinnehmen. Einzig der Schwiegervater sieht in der jungen Frau großes Potenzial. Denn ihm ist bewusst, dass Pietro, Erbe des Familienvermögens, nicht mit Geld umgehen kann. Erst recht, als offenkundig ist, dass Pietro durch seine Spielsucht Unsummen verliert, versucht der Schwiegervater, mit Maria ein Abkommen zu schließen, das den Ruin der Familie verhindern soll. Die junge Frau, die damit auch ihre Kinder Anna und Vito schützen will, befasst sich immer stärker mit den Familiengeschäften. Die zunehmende Feindschaft Pietros, der sich durch die Konstellation gedemütigt fühlt, macht ihr zu schaffen. Als sich Giosuè als Fels in der Brandung erweist, der Maria immer schützend zur Seite steht, gesteht sie sich endlich ihre Liebe zum Ziehbruder ein. Sie sucht bei ihm Trost und Liebe und bringt schließlich ihre Tochter Rita zur Welt. Pietro ist sich bewusst, wessen Kind seine Frau geboren hat.

Ganz anders als vermutet

Cover und Klappentext lassen zunächst darauf schließen, mit Der Jasmingarten vor allem eine etwas umfangreiche Liebesgeschichte in Händen zu halten. Doch weit gefehlt. Der Inhalt des Romans ist ganz anders, als zunächst vermutet. Er bietet unglaublichen Tiefgang und einen intensiven Blick auf eine Gesellschaft, die sich in den Wirren des Krieges nur teilweise neu definiert, teilweise jedoch einem sehr starren und gewalttätigen patronalem Gesellschaftsbild nachlebt. Die Autorin Simonetta Agnello Hornby macht keinen Halt vor klaren Worten. Sie zeichnet mafiöse Strukturen auf, die das Machtgefüge in Sizilien stark beeinflussen. Korruption und Vetternwirtschaft schlagen die sozialistischen Gedanken nieder, die Arbeiter bleiben auf der Strecke. Das wird durch die Kriege nicht besser. Besonders während des Zweiten Weltkriegs fühlen sich die Sizilianer von der Welt vergessen. Weder die von Mussolini eingeführten Neuerungen noch die generelle Entwicklung scheinen bis Sizilien durchzudringen. Da Simonetta Agnello Hornby ihren Protagonisten Giosuè zu einem wichtigen Mann im Staatsdienst macht, kann sie die Geschichte wunderbar aus seiner Sicht präsentieren. So kommen die Leserinnen und Leser also vielmehr zu einem eingehenden Blick auf die politische Entwicklung Siziliens als zu einer schmelzenden Liebesgeschichte.

Spannende Charaktere

Ganz so einfach ist es nicht, den Überblick über die vielen Figuren zu behalten. Das Personenregister zum Schluss des Buches gibt hier nur eine halbherzige Hilfestellung. Dennoch lohnt es sich, nötigenfalls auch mal ein paar Seiten zurück zu blättern, um sich den neuen Charakter und seine Verbindung nochmals genau anzusehen. Denn Simonetta Agnello Hornby hat äußerst interessante und stimmige Charaktere geschaffen, die in einem optimalen Zusammenspiel ein wichtiges Stück der italienischen Geschichte repräsentieren und dennoch den Leser ganz nahe an die menschliche Seite herankommen lassen. Maria ist nicht unfehlbar, Giosuè ist es auch nicht aber beide Figuren wachsen dem Leser unvermittelt ans Herz. Selbst der spielsüchtige Pietro wird nicht so unsympathisch dargestellt, dass es einem Schwarz-weiß-Bild gleich kommt. Er hat seine liebenswerten Seiten ebenso abbekommen, wie die anderen ihre schwierigen.

Eine ruhige Familiengeschichte

Der Jasmingarten bietet zwar eine Fülle von Informationen, doch sind diese so geschickt aufgebarbeitet, dass sie die Leser nicht erschlagen. Allerdings darf nicht von einer temporeichen Story ausgegangen werden, die ständig mit neuen Aspekten aufwartet. Es ist vielmehr eine ruhige Familiengeschichte, die sehr stark in die Tiefe geht und unglaublich viele Facetten aufweist. Der Jasmingarten ist ein Buch, das sich lohnt, im Bücherregal zu bleiben und später nochmals in die Hand genommen zu werden. Denn auch beim zweiten Lesen wird der Leser spannende Details entdecken, die ihm beim ersten Mal ob der opulenten Präsentation möglicherweise untergegangen sind.

Der Jasmingarten

Simonetta Agnello Hornby, Goldmann

Der Jasmingarten

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