Der Postläufer

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  • Erschienen: Januar 2014
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  • , 2014, Titel: 'Der Postläufer', Originalausgabe
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Jörg Kijanski
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Histo-Couch Rezension vonJun 2017

Lesenswerter Roman über den Ersten Weltkrieg

1915. Albert Essigmann ist sechzehn Jahre alt, der Vater verstorben, die Mutter lebt mit Eugen Pankratz, Chefredakteur der Freiburger Zeitung, zusammen. Seine Mitschüler melden sich als Kriegsfreiwillige, doch Albert weigert sich, obwohl Sechzehnjährige (noch) nicht gezogen werden. Von seinen Mitschülern wird Albert zunehmend unter Druck gesetzt und nach einer denkwürdigen Begegnung zwischen seiner Mutter und deren ehemaligen Jugendfreund meldet sich Albert zur Musterung. Seine gesundheitliche Situation ist nicht die Beste, er hofft auf Ausmusterung und liegt damit falsch. Dank des Einflusses von Eugen Pankratz wird er auf einer Feldpoststation in Lens nahe der deutsch-französischen Kampflinie eingesetzt. Es dauert nicht lange und er gerät unfreiwillig an die Front, obwohl er eigentlich nur für die Verteilung der Feldpost zuständig ist.

 

"Dem Oberst ging es nicht darum, dass seine Soldaten das bekamen, was sie sich sehnlichst wünschten, sondern nur darum, dass sie wieder Hoffnung für die bevorstehende Schlacht schöpften. Die Post aus der Heimat war für diesen Offizier nicht der notwendige Balsam für die Seel seiner Männer, sondern Mittel zum Zweck, um deren Bereitschaft, sich ins Gefecht zu werfen, wiederaufleben zu lassen."

 

Dann geschehen zwei ihn prägende Dinge: Die Feldpost wird teils geschwärzt, teils vernichtet, so dass Angehörige nie die letzten, wahren Worte ihrer im Feld verstorbenen Söhne und Männer erfahren. Dann wird vor seinen Augen eine französische Familie ermordet; nur mit List gelingt es ihm, drei Kinder zu retten. Albert erkennt seine wahre Mission. Er muss desertieren, die ihm überantwortete Feldpost den Angehörigen zustellen und die französischen Kinder vor deren sicheren Tod retten. Es folgt eine gemeinsame Flucht entlang des Frontverlaufes, denn dort wo das Chaos am größten ist, wird man vermutlich am wenigsten aufmerksam sein. Das Ziel ist die über siebenhundert Kilometer entfernte Schweiz ...

Drama in zwei Akten

Der Aufbau des vorliegenden Romans ist ein wenig gewöhnungsbedürftig. Die Studentin Nora erhält von ihrer Großmutter Lisa etliche Dokumente von Noras Urgroßvater Albert Essigmann, verbunden mit der Aufgabe, dessen Geschichte zu erzählen. Während dies erfolgt, gibt es immer wieder Schwenke in die Gegenwart in der beispielswiese Nora und Lisa zu Orten reisen, in denen sich Albert aufgehalten haben muss. Die aber eigentlich zu erzählende (damalige) Geschichte ist in zwei Teile unterteilt. Zunächst gerät Albert als Mitarbeiter der Feldpoststation urplötzlich an die Front, erlebt dort das Grauen des Krieges in all seinen Facetten. Schnell erkennt er, dass die im Sterben liegenden Soldaten nur zwei Wünsche haben: Eine letzte Ölung und ein letztes Schreiben an ihre Frauen und Familien.

 

Die ersten Franzosengesichter nahmen allmählich Form an. Je näher sie kamen, desto menschlichere Züge bekamen sie. Und endlich, als die Verteidiger erkennen konnten, dass sich da keine Teufel, sondern Soldaten wie sie selbst den Hang hinaufarbeiteten, schrie der Zugführer: "Feuer frei!"

 

Das Schrecken des Krieges, die anfängliche Begeisterung der Bevölkerung wird lebhaft spürbar und im Verhalten von Alberts Schulkameraden anschaulich dargestellt. Auch innerhalb der eigenen Familie brodelt es, denn Eugen Pankratz Sohn Wilhelm ist von Kaiser und Vaterland fanatisch begeistert. Eine schicksalhafte Beziehung zwischen Albert und Wilhelm entsteht, was allerdings schon die ersten Seiten vorwegnehmen. Nachdem Albert erkennt, dass die Feldpost zunehmend zu einem strategischen Ziel der Militärführung wird - ein heroischer Abgesang auf Volk und Vaterland - und dann auch noch die Ermordung der französischen Familie das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen bringt, ist sein Entschluss gefasst. So beginnt der zweite Teil mit einer langen Flucht mit drei Kindern im Schlepptau.  

 

"Einen Soldaten seines Gewissens" hatte Egon ihn genannt, und dies waren nicht nur Worte, es war eine Verpflichtung. Sein Sold war die Gewissheit, das Richtige zu tun, eine gute, wenn nicht die beste Bezahlung für einen Soldaten.

 

Sind die Fronterlebnisse noch so eindringlich, verstörend und faszinierend realistisch dargestellt, so verliert der Roman im zweiten Teil deutlich an Spannung. Es entwickelt sich ein Verfolgungsroman mit vorhersehbarem Ende. Immerhin zeigt sich eindrucksvoll, dass auch auf Seiten der Franzosen (der drei Kinder) die Wahrnehmung der Ereignisse recht unterschiedlich ist. Juliette erkennt an, dass Albert helfen will, während ein Bruder in vorübergehende Apathie verfällt und der andere Bruder "die Deutschen" (als "die Mörder" seiner Eltern) schlichtweg hasst.

Gleichwohl ist Der Postläufer ein lesenswerter Roman über die Schrecken des Krieges, die Verblendung eines Volkes (festgemacht am Beispiel Wilhelms) und ein Plädoyer dafür, auf sein Gewissen zu hören und "einfach, das Richtig zu tun". Wenn es doch nur immer so einfach wäre.

Der Postläufer

Andreas Thomas, -

Der Postläufer

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