Ein böser Kamerad

  • Gmeiner
  • Erschienen: Januar 2017
  • 2
  • Gmeiner, 2017, Titel: 'Ein böser Kamerad', Originalausgabe
Ein böser Kamerad
Ein böser Kamerad
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Jörg Kijanski
851001

Histo-Couch Rezension vonApr 2017

Verstörend, aber lesenswert

 Emil Bachmann ist gerade einmal zweiundzwanzig Jahre jung als er 1919 nach Berlin zurückkehrt. Was musste er nicht schon alles erleben? In Verdun, an der Somme und zuletzt in der Champagne war er an der Front. Zurückkehren wollte er nicht mehr; nicht nach jenem Brief, den er im Mai 1918 lesen musste. Ein Abschiedsbrief von seiner geliebten Clara, die sich zwischenzeitlich mit dem Arzt Samuel Löwenthal verlobt hatte. Sein Vater ist schon lange tot, seine Mutter verstarb im letzten Jahr. So zieht es ihn zu seiner Schwester Iris, aber vorher muss er noch nach Königs Wusterhausen. Dort leben Clara und ihr Verlobter, doch wenn er seine Clara nicht haben kann, dann erst recht kein reicher Jude. Ein kurzer, schneller Mord, ausgeführt mit seinem Grabendolch. So hat Emil das im Krieg gelernt.

In Berlin bekommt Emil über seinen Schwager Kurt eine Stelle als Tischler im Görlitzer Bahnhof. Dort lernt er eines Tages auf dem Heimweg die Prostituierte Ruth Stern kennen, die ihm kostenfreie Dienste verspricht, sofern er sie künftig beschützt. Undenkbar, doch es entsteht eine Zuneigung für die es letztlich keine Zukunft geben kann. Als Kurt ihn auf das fragwürdige Verhältnis anspricht und ihm aufzeigt, dass, sollte diese Liaison und sein "Nebenjob" die Runde machen, er ziemlich sicher seinen Job verliert, sieht Emil nur eine Chance. Ruth muss ihre Arbeit aufgeben, gemeinsam könnten sie von Emils Einkommen leben. Allein, Ruth hat andere Vorstellungen und so greift Emil einmal mehr zu seinem Dolch. Die Polizei ermittelt und Emil flieht nach Ostpreußen, wo er einige Jahre arbeitet, bevor er nach einem handgreiflichen Zwischenfall seine Arbeit verliert.

Inzwischen schreiben wir das Jahr 1927, Kurt ist seit geraumer Zeit Mitglied der Sturmabteilung der SA. Emil hat von Uniformen genug, dennoch sucht er Anschluss und tritt der Organisation bei. Für die Uniform muss er fünfzehn Reichsmark bezahlen, wofür er seinen alten Armeerevolver bei dem Pfandleiher Abraham Eppstein beleiht. Als er diesen später zurückkaufen möchte, wurde der jedoch schon weiterverkauft. Einmal mehr sieht Emil nur einen Ausweg.

 

"Emil! Du hast die alle abgestochen, gib's zu!"

"Ja."

"Was?"

"Ja, ich war es."

"Emil! Bist du irre? Du kannst doch nicht lauter Menschen einfach abstechen."

"Doch."

 

Kriminalkommissar Franz Reinicke übernimmt die Ermittlungen im Mordfall Eppstein, die alsbald ins Leere laufen. Durch einen Blick in die neue Todesermittlungskartei erfährt Reinicke von dem ungelösten Mordfall Ruth Stern. Gleichartige Mordwaffe, vergleichbare Mordausführung, die Tatorte sind nur wenige hundert Meter voneinander entfernt; allerdings trennen die beiden Fälle mehrere Jahre&

Ermittlungsarbeit der Polizei und vor allem das Erstärken der SA sind die Hauptthemen dieses Romans

Jörg Reibert hat mit Ein böser Kamerad einen sehr lesenswerten Roman geschrieben, in dem ein traumatisierter Kriegsheimkehrer zunächst versucht, in ein bürgerliches Leben zurückzufinden. Die Voraussetzungen scheinen zu stimmen, er findet Arbeit und hat eine soziale Bindung zu seiner Schwester und deren Mann. Allein mit den Frauen klappt es nicht so recht und das Lösen von Problemen jenseits von Gewaltanwendung hat ihm auch nie einer beigebracht. Ein gefundenes Fressen für die SA, vor deren Aufstieg in den Jahren 1928/29 dieser Roman größtenteils spielt. Noch ist die NSDAP nicht bedeutsam, wenngleich sie im Mai 1928 erstmals in den Reichstag einziehen kann. Saal- und Straßenschlachten mit sozialistischen und kommunistischen Gruppen sind bereits an der Tagesordnung. Jemand der zuschlagen kann wie Emil darf dabei nicht fehlen.

 

"Da braucht er nicht noch in der Charité Leichen anzuschauen. Mit welcher Liebe und Hingabe die dort untersucht werden. Vor zehn Jahren haben er und die anderen die Toten einfach in ein Loch geworfen, gefallen für Kaiser, Volk und Vaterland Amen und Chlorkalk drauf."

 

Der geschichtliche Hintergrund wird gut eingefangen und in einem umfassenden Nachwort fundiert erläutert. Auch die Ermittlungsarbeit von Kriminalkommissar Reinicke ist ausführlich beschrieben. Zunächst wird die Figur Emils eingehend vorgestellt, erst ab Seite 111 (im April 1928) starten die polizeilichen Ermittlungen. Auch der legendäre Kommissar Ernst Gennat als Nebenfigur spielt mit, was man bei einem Kriminalroman, der im Berlin der 1920er Jahre spielt, eigentlich erwarten darf. Dass der Protagonist selbstredend eine alles andere als sympathische Figur ist, muss man als Leser ertragen. Emil steht stellvertretend für viele Personen, die nach dem Krieg die Orientierung verloren und anderen die Schuld gaben. Dem Versailler Schandfrieden, den Juden und überhaupt allen, die damals nicht an der Front waren, sondern sich - wie der Arzt Löwenthal - daheim ein vermeintlich schönes Leben machten. An den Sturmabenden wird reichlich gesoffen, allein die Kameradschaft zählt, zumal wenn man - wie Emil - sonst keine Freunde, geschweige denn eine Freundin hat. So wird man empfänglich für Organisationen, die einfachste Lösungen anbieten. Kommt einem das nicht heute noch sattsam bekannt vor?

Ein böser Kamerad

Jörg Reibert, Gmeiner

Ein böser Kamerad

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