Heldenflucht

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2017
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  • Heyne, 2017, Titel: 'Heldenflucht', Originalausgabe
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Jörg Kijanski
801001

Histo-Couch Rezension vonMär 2017

Über die Unmenschlichkeit des Krieges

Dezember 1918. Der große Krieg ist beendet, doch die Hungersnot ist enorm. Lebensmittel sind kaum noch verfügbar, immer wieder muss man sich mit Steckrüben behelfen. So auch in dem kleinen Eifeldorf Kirchbach, in dass es die junge Kriegsreporterin Agnes Papen zurückzieht. Dort ist sie aufgewachsen, nun kümmert sie sich um die Pflege des erkrankten Onkels. Währenddessen warten andere Dorfbewohner auf die Rückkehr ihrer Angehörigen. Die Stimmung im Dorf ist nicht nur wegen der Nahrungsmittelknappheit gereizt und als eines Tages ein stummer Fremder in französischer Uniform auftaucht, kann nur mit Mühe ein Lynchmord verhindert werden. Als wenig später Emma, die junge Magd des Dorfvorstehers, bei einem Unfall ums Leben kommt, kippt die Stimmung erneut. Denn offenbar wollte der Franzose (namens Paul) sich an der Magd vergehen. Wie sich schnell herausstellt, war alles ganz anders und als Paul seine Sprache wiederfindet, droht das Dorfleben vollends aus den Fugen zu geraten. Wenngleich aus ganz anderen Gründen&

Eindringlich werden die Kriegsfolgen für den Einzelnen beschrieben.

"Menschen verschwinden spurlos, und in den Wäldern wird eine Leiche gefunden. Agnes beschließt, sich auf die Suche nach der Wahrheit zu machen..." So liest sich der Inhalt auf der Buchrückseite und es drängt sich der Verdacht auf, hier einen (historischen) Krimi in der Hand zu halten. Klassisch aufgebaut mit Verbrechen und der Suche nach den Tätern. Leider trifft die Inhaltsbeschreibung nur sehr bedingt zu, denn die angesprochene Leiche wird zwar zu Beginn des Romans gefunden, doch kurz darauf verschwindet sie gleich wieder, um erst über zweihundert Seiten später wieder aufzutauchen. Auch dass Agnes "sich auf die Suche macht" kann man beim besten Willen in diesem Zusammenhang nicht behaupten. Kurzum, wer einen "Krimi" erwartet, sollte seine Vorfreude deutlich runterfahren, denn selbst die "Auflösung" mancher Vorkommnisse ist schwach; der Schachspieler würde sagen, sie passieren "en passant".

 

"Bereits seit geraumer Zeit bemerkte Wiebke eine Veränderung im Dorf. Es kam ihr vor, als hätte heimlich etwas Unheimliches, etwas Böses im Dorf Einzug gehalten. Die Menschen waren nicht mehr wie früher. Möglicherweise war alles aber auch nur Einbildung. Vielleicht war es die große Welt, die sich verändert hatte, und diese Veränderung machte sich jetzt auch im kleinen Kirchbach bemerkbar. Wie auch immer - es flößte Wiebke Angst ein."

 

Von diesem Kritikpunkt abgesehen, ist Heldenflucht ein packender und eindringlicher Roman, der anhand mehrerer Personen exemplarisch aufzeigt, was der Krieg aus den Menschen macht. Und zwar nicht nur aus jenen, die aktiv dabei waren, sondern auch aus jenen, die ihre Angehörigen verloren haben oder diese vermissen. Ein Antikriegsroman vor dem Hintergrund des Ersten Weltkrieges, der die bis dahin bekannten Kriege geradezu blass erscheinen ließ.

 

"Hm, wenn ich so darüber nachdenke: Vermutlich ist die Verpflegungslage daher so beschissen. Der Kaiser sorgt sich um die kotzenden Frontschweine. Wenig im Magen, wenig in der Maske. Ha, ha, alles nur aus Fürsorge. Mir wird schon schlecht, wenn ich nur daran denke. Kämpft man nicht gerade mit sich selbst, schaut man durch die vom Schweiß beschlagenen Gläser hinaus und wartet auf den Feind. Das Warten ist das Schlimmste. Was da einem alles durch den Kopf geht."

 

Massenvernichtungswaffen wie Maschinengewehre sowie der erstmalige Einsatz von Giftgas treiben die Gräueltaten in ungeahnte Dimensionen. Wie darunter die Soldaten, die versehrten Heimkehrer und die Angehörigen fernab der Front leiden, das berichtet der Roman Heldenflucht. Zu Beginn der einzelnen Abschnitte gibt es einen Überblick über das allgemeine Tagesgeschehen, dazwischen runden Briefe von der Front, deren Absender zumeist kurz nach Verfassen des Schreibens den Tod fanden, den Roman ab.

 

"Es gibt nun mal nur vier Latrinen in der Festung. Da muss man sehen, wo man bleibt. Man kann ja nicht einfach rausspazieren und sich einen Busch suchen."

"Wie - nur vier?"

"Tja, genau, und die sind verstopft, was ja kein Wunder ist. Einen Gasangriff muss hier drinnen niemand fürchten. Schlimmer kann es nicht mehr werden. Deswegen gehe ich freiwillig auf Wache, in der Nähe des Eingangs ist es ganz erträglich."

"Aber das kann doch nicht wahr sein! Wie viele Leute befinden sich im Fort?"

"Grob geschätzt, hm& dreitausend."

 

Gemächlich schleichend und dadurch umso beängstigender greifen das Gift des Krieges und dessen Folgen auf die Dorfbewohner des fiktiven Kirchbach in der Eifel über. Schnell wird dem Leser klar, dass sich in dieser schlimmen Zeit selbst die Guten in höchster Gefahr befinden.

Heldenflucht

Jan Kilman, Heyne

Heldenflucht

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