Der Jahrhunderttraum

  • Ullstein
  • Erschienen: Januar 2017
  • 12
  • Ullstein, 2017, Titel: 'Der Jahrhunderttraum', Originalausgabe
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Annette Gloser
941001

Histo-Couch Rezension vonJan 2017

Auf dem Weg ins 20. Jahrhundert

Im Jahr 1891 ist eine neue Generation der Familie von Briest herangewachsen. Moritz und Antonie sind ins gesetzte Alter gekommen, aber ihre Kinder Otto, Levin und Amalie stehen an der Schwelle zum Erwachsenenleben. Da verunglücken die Großeltern Paul und Louise Baermann tödlich bei einem Eisenbahnunglück in der Schweiz. In die tiefe Trauer der Familie von Briest schleichen sich jedoch Zweifel, als Edgar Trönicke, der alte Freund der Familie, von einem geheimnisvollen Auftrag berichtet, für den Paul Baermann in der Schweiz recherchierte. Als Edgar die Befürchtung äußert, Paul und Louise könnten einem Mordanschlag zum Opfer gefallen sein, bittet ihn Pauls Sohn Moritz, weitere Nachforschungen anzustellen. Moritz ist inzwischen ein angesehener Ingenieur bei Siemens & Halske. Seit Jahren reist er mit seiner Frau Antonie und den Kindern um die Welt. Demnächst soll er mit seiner Familie nach Chicago gehen. Aber die Kinder haben ihre eigenen Pläne. Otto hat sich in Edgars Sekretärin Hermine verliebt, Amalie hat mit der zarten Emma von Schley endlich eine Freundin gefunden. Und Levin? Der träumt vom Fliegen seit er Otto Lilienthal bei seinen Flugversuchen in Werder beobachtet hat. Auch die Ehe zwischen Moritz und Antonie von Briest kriselt, denn Antonie setzt all ihre Energie für den Kampf um Frauenrechte ein. Moritz fühlt sich zurückgesetzt und bekommt deshalb auch Schwierigkeiten in seiner Firma. Vor Familie von Briest liegen harte Zeiten und es ist nicht sicher, ob jeder diese Zeiten gut übersteht denn, bald zeigt sich, dass Edgar mit seinem Verdacht offenbar die Büchse der Pandora geöffnet hat, aus der das Unheil auf die Welt kam.

Lilienthal und Zeppelin

Vom Jahr 1891 bis zum Jahr 1909 berichtet dieser Roman über die Familie von Briest. Natürlich ist es nicht nur eine simple Familiengeschichte. Richard Dübell webt das Leben und Leiden der Familienmitglieder in die Zeitgeschichte ein. Fliegen ist in, Eisenbahn noch lange nicht out und überall auf der Welt verlegt die Firma Siemens & Halske Telegraphenkabel. Erschüttert beobachten brave Bürger, dass Frauen plötzlich nicht mehr brav und still sein wollen. Und gut versteckt hinter der Fassade von Patriotismus und Nationalstolz regen sich die ersten Keime des Faschismus. So entsteht vor den Augen des Lesers ein breites Panorama der Zeit um den Jahrhundertwechsel, bunt und voller Leben. Der Fokus liegt jedoch auf der wohl wichtigsten technischen Neuerung jener Zeit, der Entwicklung von Flugmaschinen. Sowohl Otto von Lilienthal als auch Graf Zeppelin bekommen mit ihren Überlegungen und Projekten Raum in diesem Roman. Ohne mit technischen Details zu langweilen beschreibt Richard Dübell für den Leser gut nachvollziehbar, mit welchen Problemen sich die Pioniere des Fliegens beschäftigten, welche technischen Herausforderungen bewältigt werden mussten und welchen Gefahren jene Menschen ausgesetzt waren, die den Traum vom Fliegen verwirklichen wollten.

Der Autor hat seine Protagonisten geschickt angeordnet. Jeder von ihnen ist eng mit einem bestimmten Zweig der Entwicklung verbunden und alle werden in die Machenschaften einer Gruppierung hineingezogen, die bereits erste Ideen verfolgt, welche man so aus der Zeit des Faschismus kennt und die eng verbunden scheinen mit der sogenannten "Völkischen Revolution" im 19. Jahrhundert.

Lebenslinien

Richard Dübell schließt nicht nahtlos an den vorhergehenden Roman Der Jahrhundertsturm an und bietet eine eigenständige Handlung. Auch bei den Protagonisten übernimmt die neue Generation die Regie. Hier ist es dem Autoren  gelungen, diesen Generationswechsel auch in der Sprache und den unterschiedlichen Lebenshaltungen deutlich werden zu lassen. Die Konflikte zwischen Eltern und Kindern scheinen altbekannt und sind dennoch genau auf die Zeit bezogen, in der die Handlung des Romans spielt. Auch die Auseinandersetzungen der jungen Leute mit ihren Idealen, das Finden von Lebenszielen und die Suche nach dem eigenen Platz in der Gesellschaft wiederholen sich zwar im Leben eines jeden Menschen stets aufs Neue, bieten sich in Der Jahrhundertraum jedoch als Leinwand an, auf der das große Bild einer aufblühenden bürgerlichen Gesellschaft entsteht. Niemand in diesem Roman ist ein Langweiler. Der Leser begegnet interessanten Persönlichkeiten mit Stärken und Schwächen, sympathischen und ausgesprochen unsympathischen Menschen. Keine übergroßen Helden, eher Menschen, die man vielleicht gerne kennenlernen oder von denen man sich mit einem Schaudern abwenden würde. Das macht den Roman lebendig und sorgt dafür, dass man bis zum großen Finale am Schluss gerne weiter liest.

Ein Volltreffer

Mit den Romanen über die Geschichte der Familie von Briest ist Richard Dübell ein großer Wurf gelungen. Und Der Jahrhunderttraum ist ein Volltreffer, in dem sich Spannung, Emotionen und gut recherchierte Fakten die Waage halten. Ein Stadtplan von Berlin hilft allen Nichtberlinern bei der Orientierung. Wirklich interessant sind die Nachbemerkungen des Autors, in denen er zu bestimmten Stichworten noch einmal die historischen Fakten ins Verhältnis zur Romanhandlung setzt. Hier lohnt sich das Lesen auf jeden Fall.

Ein Buch, das man selber lesen und / oder verschenken kann. Es hat viel zu bieten und lässt garantiert keine Langeweile aufkommen.

Der Jahrhunderttraum

Richard Dübell, Ullstein

Der Jahrhunderttraum

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