Kieler Dämmerung

  • Gmeiner
  • Erschienen: Januar 2016
  • 1
  • Gmeiner, 2016, Titel: 'Kieler Dämmerung', Originalausgabe
Kieler Dämmerung
Kieler Dämmerung
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Jörg Kijanski
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Histo-Couch Rezension vonFeb 2016

Vielschichtiger Einblick in die Kaiserzeit

1911: Paul Fuß ist Oberbürgermeister von Kiel. Schon seit 1888 übt er dieses Amt aus, im nächsten Jahr wartet der verdiente Ruhestand. Doch dieses Jahr soll es noch einen Höhepunkt seiner Karriere zu feiern geben, die Einweihung des neuen Rathauses. Kaiser Wilhelm II. hat sein Erscheinen zugesagt. Im Vorfeld dieses Ereignisses mehren sich jedoch Hinweise auf ein mögliches Attentat und so sieht sich der Leiter der Kieler Kriminalpolizei Josef Rosenbaum gezwungen, mit der Preußischen geheimen politischen Polizei, kurz PP, zusammenzuarbeiten. Leiter der Geheimpolizei ist Kriminaldirektor Adolf Scheffler mit dem sich der Kieler Kriminalobersekretär von Beginn an nicht versteht, zumal sich dieser Einblick in Rosenbaums Personalakte verschafft hat.

Während die Polizei noch im Dunkeln tappt, bereiten sich an anderer Stelle verschiedene Menschen auf den Besuch des Kaisers vor. Kieler Sozialdemokraten wollen den Besuch nutzen, um ein Zeichen für ihre Sache zu setzen, denn obwohl die Stimmenanateile der SPD bei den Wahlen recht ordentlich sind, finden sich diese nicht entsprechend in Parlamentssitzen wieder. Auch Hans Mast, ein ehemaliger von der Weltrevolution träumender Anarchist, der sich längst zur Ruhe gesetzt hat, fühlt sich noch einmal herausgefordert. Wäre es nicht eine Chance, die deutschen Arbeiter vom Tyrann und Kriegstreiber Wilhelm II. zu befreien? Heiner Hansen, ein kleiner Mitarbeiter im Kieler Rathaus, hat ebenfalls Grund zu mörderischen Gedanken und so haben Rosenbaum und Scheffler gleich mehrere Rätsel zu knacken&

 

Diese persönliche und gedankliche Unabhängigkeit war aber auch der Grund, weshalb Bethmann Hollweg Seiner Majestät mit der Zeit unsagbar auf die Nerven ging. Er war für ihn nicht recht zu fassen. Hier erwägend und dort abwägend hatte Bethmann mit seiner kontemplativen Gelehrtennatur für alles Verständnis und konnte sich kaum einmal so richtig empören. Das war nicht die Welt des Kaisers. Der empörte sich ständig, und wenn heute nicht über dasselbe wie gestern, dann vielleicht über das Gegenteil.

 

In seinem zweiten Roman der Josef-Rosenbaum-Serie hat sich der Protagonist mit seiner neuen Rolle bereits weitgehend arrangiert. Haderte er noch im ersten Band mit seiner neuen beruflichen Heimatstadt als provinzielles Nest, so tritt er nun selbstbewusst als deren Kripochef auf. Dabei weiß er, dass er es nie zum Kommissar bringen kann, denn speziell für Mitarbeiter wie ihn, sprich einen Juden, wurde der inoffizielle Rang eines Kriminalobersekretärs eingeführt. Doch damit nicht genug. Rosenbaum ist homosexuell, zudem Sozialdemokrat und damit nicht zuletzt in den Augen des Kaisers schon quasi automatisch ein Landesverräter. Die Unruhen und die Unzufriedenheit bei den Arbeitern kann Rosenbaum bestens nachvollziehen, zumindest als Privatperson.

Kay Jacobs zeichnet ein vielschichtiges Bild des Jahres 1911. Hier die unzufriedenen Arbeiter, dort das angespannte Verhältnis zwischen Kaiser Wilhelm II. und seinem Bruder Prinz Heinrich, wobei vor allem dessen Frau, Prinzessin Irene, ihren Mann ständig anstachelt, auf den Kaiser mehr Druck auszuüben, schließlich sei er, Heinrich, beim Volk doch um so vieles beliebter. Wilhelm dagegen würde sein Volk nur in einen großen Krieg hineinstürzen. Das politische Hintergrundszenario bietet die Zweite Marokkokrise und die daraus resultierenden Anspannungen mit Frankreich. Auch das maritime Wettrüsten hat längst begonnen und so ist die Lage zumindest undurchsichtig. Dass es in diesem Szenario konkrete Anschlagspläne auf Seine Majestät geben soll, überrascht somit niemanden.

 

Das war Unsinn.

Das war kein Unsinn. Wir haben aus einschlägigen Merkmalen ein Profil zusammengestellt, das wir wie ein Raster über die Bevölkerung legten. Anschließend überprüften wir die Personen, bei denen die Merkmale zutrafen. Diese Methode haben wir erst ganz frisch in Berlin entwickelt, man könnte es Profilfahndung oder Rasterermittlung nennen.

Aber fast das einzige Merkmal, das wir zugrunde gelegt haben, war Sozialdemokrat. Wir haben nur die uns bekannten Sozialdemokraten und Anarchisten und die üblichen Verdächtigen zur Blume geholt und gefragt, ob sie einen Anschlag auf den Kaiser planen.

Die Methode ist noch nicht ausgereift. Aber eines Tages werden wir damit große Erfolge erzielen.

 

Wie schon bei seinem Debüt gelingt es Kay Jacobs großartig, die unterschiedlichen Handlungsstränge zusammenzuführen. Eine Aneinanderreihung aus Zufällen und Missgeschicken droht zu einem Fiasko für die Beteiligten zu werden. Auch die intensiven Einblicke in die damalige Art der Polizeiarbeit sind hoch interessant. Dabei erzählt der Autor seine Geschichte durchaus mit leichtem Augenzwinkern und dem einen oder anderen Querverweis auf die Gegenwart (beispielsweise mit einer Anmerkung, dass es bei einer anderen Staatsform undenkbar wäre, dass der Bundespräsident unverheiratet sei).

Spannend, informativ und kurzweilig. So macht Geschichte Spaß. Hoffen wir auf ein baldiges Wiedersehen mit dem sympathischen Ermittler.

Kieler Dämmerung

Kay Jacobs, Gmeiner

Kieler Dämmerung

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