Feuer über Brandenburg

  • Lübbe
  • Erschienen: Januar 2016
  • 1
  • Lübbe, 2016, Titel: 'Feuer über Brandenburg', Originalausgabe
Feuer über Brandenburg
Feuer über Brandenburg
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Annette Gloser
871001

Histo-Couch Rezension vonJan 2016

Vorurteil und Liebe

Im Jahr 1432 scheint die Welt für die Harzer-Kinder in Ordnung zu sein. Sie sind zu viert: Jonata und Kilian, Geras und Jecklin, und scheinbar kann nichts auf dieser Welt sie auseinander bringen. Ihre Väter sind angesehene Handwerker in Berlin, der eine Brauer, der andere Bäcker. Die Harzer-Kinder müssen hart mit zupacken, aber sie wachsen wohlbehütet und in Wohlstand auf. Und vor allem Jonata, der wunderschöne stolze Schwan, ist eine begehrte Partie auf dem Heiratsmarkt. Als sie den Bernauer Kaufmannssohn Steffan Trinkaus kennen lernt, scheint das Glück für Jonata perfekt.

Dann aber wird ihr Vater auf einer Handelsfahrt von Hussiten überfallen, jenen Ketzerhorden, die aus dem fernen Böhmen bis nach Brandenburg kommen um hier unaussprechliche Gräueltaten zu verüben. Jonatas Vetter Jecklin wird bei diesem Überfall getötet, der Vater verliert einen Teil seines Vermögens und der schöne Steffan heiratet Geras, deren Vater noch immer genug Geld hat. Kilian aber macht sich offenbar mit den Hussiten gemein, schlimmer noch: Er sympathisiert mit den Juden, die abgeschottet in ihrem eigenen Viertel hinter der Klosterstraße leben. Dann aber geraten Geras und Jonata in einen Hussitenüberfall, überleben mit knapper Not und sehen das Gemetzel auf den Straßen. Voll Entsetzen, kaum ihrer Sinne mächtig, findet Jonata einen verletzten Hussiten auf der Landstraße. Was kümmert sie einer dieser Ketzer? Es wäre so einfach, ihn sterben zu lassen. Aber Jonata will nur noch eins: Niemand soll mehr sterben, auch kein Hussit.

Ein fast unbekanntes Stück Geschichte

Charlotte Lyne hat in Feuer über Brandenburg ein überaus interessantes Sujet aufgegriffen: Die Hussitenüberfälle während des fünften Hussiten-Kreuzzugs auf die Mark Brandenburg. Dies ist selbst für alteingesessene Brandenburger ein weitgehend unbekanntes Kapitel Geschichte und vermutlich wissen auch einige Einwohner von Bernau nicht so ganz genau, warum in der Stadt alle Jahre wieder ein Hussitenfest gefeiert wird. Umso dankbarer kann man als Leser sein, wenn eine renommierte Autorin das Thema aufgreift. Zugleich ist dieser neue Roman eine Art Fortsetzung des Romans Das Mädchen aus Bernau, mit dem die Geschichte der Familie Harzer beginnt. Die Autorin liefert gut verpackt umfangreiches Faktenmaterial über die Hussiten und ihre "Schöne Reise", erklärt dabei auch wie es überhaupt dazu kam, dass Hussiten aus dem weit südlich gelegenen Böhmen bis nach Brandenburg zogen. Die politischen Zusammenhänge werden schlaglichtartig beleuchtet und der Leser kann verstehen, was damals eigentlich passiert ist. Hier wurde intensiv recherchiert und mit viel Fingerspitzengefühl in die Romanform umgesetzt, das ist deutlich zu spüren.

Ein wenig weit hergeholt erscheint allerdings die Einbeziehung der englischen Bibelübersetzung des John Wyclif. Es ist nicht unvorstellbar, dass ein Exemplar der englischen Bibel seinen Weg zu den hussitischen Kämpfern fand, allerdings ist es nicht leicht nachzuvollziehen, dass jemand dann auf englisch betet obwohl er gar nicht weiß, was die Worte bedeuten und wie man sie aussprechen muss.

Der Weg in eine neue Zeit

Charlotte Lyne gehört zu den Autoren, die ihre Protagonisten sehr intensiv zeichnen, in die Tiefe gehen und dabei authentische, vielschichtige Romanhelden entstehen lassen. Hier gibt es keine jungen Mädchen, die direkt aus dem 21. Jahrhundert in das (noch) mittelalterliche Berlin katapultiert wurden. Jeder und jede ist fest ihrer Zeit verhaftet. Kilian allerdings mit seinem Humanismus und seiner Toleranz fällt hier deutlich heraus, wurde aber offensichtlich ganz bewusst als Vorreiter einer neuen Haltung gestaltet - knapp 300 Jahre zu früh für die Aufklärung, aber mit guten, nachvollziehbaren Gründen für sein Handeln und Denken.

Generell geht es in diesem Roman um tiefe menschliche Konflikte, um das Infragestellen und Umdenken, letztendlich um den Weg aus dem Mittelalter heraus in die offenere, tolerantere Renaissance. Kein leichter Weg, denn tief sitzende Ängste sind zu überwinden, neue Erkenntnisse müssen gewonnen, neue Ideen gedacht werden. Das ist anstrengend, für die Protagonisten genauso wie für die Leser, und gelegentlich werden all die moralischen Aspekte und Konflikte etwas zu ausufernd geschildert. Das lähmt den Handlungsverlauf und bringt gelegentlich auch den Spannungsbogen zum Einsturz. Charlotte Lynes sensibler Sprachduktus und die vielen lebendigen Szenen, die sie schildert, entschädigen dafür und lassen vor den Augen des Lesers jene längst vergangene Stadt wieder auferstehen, die Berlin einmal war, bevölkert mit Menschen, die tatsächlich so gedacht, gelebt und gefühlt haben könnten. Denn es geht auch um große Gefühle, um verschmähte Liebe, um Schuld und Sühne, und um die eine, ganz große Liebe, die nur wenige Menschen geschenkt bekommen.

Hoffnung auf mehr

Mit Feuer über Brandenburg ist nun der zweite Roman von Charlotte Lyne über eine der Zäsuren in der Brandenburger Geschichte erschienen. Es bleibt zu hoffen, dass die Mitglieder der Familie Harzer irgendwann wieder nach Berlin zurück finden und Stoff für einen weiteren Roman liefern. Bastei Lübbe hat den Roman mit einem liebevoll gestalteten Cover versehen, das gut zum Inhalt des Romans passt und glücklicherweise auf Plattheiten verzichtet. Zudem gibt es ein Glossar, welches Sprachschwierigkeiten überwinden hilft. Leider gibt es keine Karte, auf der sich z.B. die Hussitenkreuzzüge nachvollziehen ließen.

Feuer über Brandenburg ist eine Geschichte voller Tragik und Glück, schafft es jedoch, diese Gegensätze miteinander zu vereinen. Dieses Buch ist ein Highlight unter jenen Romanen, die sich mit der Geschichte Brandenburgs beschäftigen.

Feuer über Brandenburg

Charlotte Lyne, Lübbe

Feuer über Brandenburg

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