Runa

  • Limes
  • Erschienen: Januar 2015
  • 4
  • Limes, 2015, Titel: 'Runa', Originalausgabe
Runa
Runa
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Rita Dell'Agnese
931001

Histo-Couch Rezension vonAug 2015

Gruselige Details aus der Welt der Psychiatrie

Ein junger Arzt mit dem brennenden Verlangen, die von ihm angebetete Frau zu heilen; eine geheimnisvolle Kranke, die die Wissenschaft auf den Kopf stellt, ein begnadeter Ermittler, der die Physiognomie der Verbrecher zu kennen glaubt und eine verschwundene Frau: Die Geschehnisse im Paris des Jahres 1884 haben unglaublich viel Potenzial für einen spannenden Roman. Vera Buck, eine junge Autorin, die hier ihren Debüt-Roman vorlegt, nutzt dieses Potenzial. Sie stellt Jori in den Mittelpunkt des Geschehens. Der junge Mann stammt aus bescheidenen Verhältnissen, konnte aber dennoch Medizin studieren und sich der Psychologie zuwenden. Seit Jori im Gymnasium den aus gutem Hause stammenden Paul und wenig später dessen Schwester Paula kennen gelernt hat, ist sein Weg vorgezeichnet. In verzehrender Liebe zu Paula gefangen, muss Jori miterleben, wie die Angebetete in die Tiefen der Psychiatrie sinkt. Ihr Krankheitsbild ist kaum zu fassen und so macht sich Jori auf nach Paris an die berühmte Salpétrière, dem Krankenhaus, das auf dem Weg der Psychiatrie als Maßstab gilt. Dort begegnet Jori dem charismatischen Wissenschaftler Dr. Charcot, der die kranken Frauen oder die Frauen, die als psychisch krank gelten, weil sie eine andere Lebensweise pflegten benutzt, um zweifelhafte Experimente durchzuführen. Während Paul bei einem Besuch in Paris Dr. Charcot sofort in Frage stellt, klebt Jori an ihm als seinem großen Vorbild. Als ein Mädchen in die Klinik eingeliefert wird, das jedem Versuch Dr. Charcots, es für seine Experimente zu nutzen Paroli bietet, sieht Jori seine Chance gekommen. Er will Runa, so der Name des Mädchens, am Gehirn operieren, um ihre seltsame Verhaltensweise zu heilen. Doch die ganze Salpétrière wettet gegen Jori. Auch Paul hat sich längst abgewandt. Mehr und mehr gerät Jori dadurch in eine Außenseiterrolle, doch er kann nicht von der geheimnisvollen Runa lassen. Seine Liebe zu Paula steht auf dem Spiel.

Schreckliche Bilder

Vera Buck schont ihr Publikum nicht. Sie führt es zwar langsam an die Geschichte heran, doch dann wird es gruselig. Insbesondere, da das, was die Autorin so nach und nach in ihren Roman einbaut, auf Tatsachen beruht. Ob es nun um die ärztliche Behandlung der psychisch angeschlagenen Frauen geht oder um die Experimente, die an ihnen ausgeführt wurden: Heute scheint vieles undenkbar und wird dem Leser unvermittelt einen Schlag in die Magengrube versetzen. Dr. Charcot ist sich keiner Schuld bewusst, als er die jungen Frauen vor versammeltem Plenum quält, mit seinen Methoden Anfälle verursacht oder sie gar in einer schlüpfrigen Art als sexuelle Wesen zur Schau stellt. Niemand schützt die Patientinnen vor den aufgeladenen Studenten und Ärzten, die sich nachts in die Schlafsäle schleichen und sich an den Frauen vergehen. Auch Jori erkennt die Brutalität dieses Vorgehens nicht. Selbst die Reaktion seines besten Freundes Paul, der Dr. Charcot und seine Methoden ablehnt, vermag ihn nicht davon abzubringen, selbst in Charcots Fußstapfen treten zu wollen. Vera Buck geht ausführlich auf die Abgründe der Psychiatrie ein, erklärt Methoden und Anwendungen und gewährt den Lesern einen tiefen Blick in einen namenlosen Schrecken, der noch bis lange ins 20. Jahrhundert anhielt. 

Spannende Konstellation

Für ihre Charaktere hat sich Vera Buck einiges einfallen lassen. Sie stellt ihre Protagonisten Jori und Paul in ein klares Spannungsfeld: Zum einen der wohlhabende Paul, der mit einem Weitblick gesegnet ist, zum anderen der um jedes Fitzelchen Anerkennung kämpfende Jori, der seine einfache Herkunft trotz allem nicht verleugnen kann. Dazu kommt eine Vielzahl von weiteren Figuren, die nahezu alle detailreich und umsichtig ausgearbeitet sind. Es ist augenscheinlich, dass die Autorin sich darum bemüht hat, keine Figuren einzubauen, die in ein schwarz-weiß-Schema passen könnten. Dieses Bemühen zahlt sich aus. Die Konstellationen bleiben spannend, die zwischenmenschlichen Missverständnisse und Probleme wirken glaubhaft und geben dem Roman eine nachvollziehbare Handlung.

Leicht irritierend

Schwierig zu lesen ist der Roman für jene, die keine tiefgründigen Erklärungen mögen und denen eine detailreiche Beschreibung ohne Handlung schnell zu langatmig scheint. Manchmal verliert sich Vera Buck tatsächlich in der Fachwelt, bekommt aber jeweils im letzten Moment den richtigen Dreh, um nicht ganz ins Fachliche abzurutschen. Nicht ganz einfach ist es zunächst auch, die drei verschiedenen Erzählstränge miteinander in Verbindung zu bringen. Neben Jori und seiner Studien in Paris ist da auch der Ermittler Lecoq, der von einem verzweifelten Mann gebeten wird, seine verschwundene Frau zu finden. Und schließlich ein zunächst namenloser Junge, der von seinen gruseligen Abenteuern berichtet. Nach und nach schließt sich aber der Kreis und zuletzt weiß der Leser, wie die einzelnen Erzählstränge zusammen gehören.

Schwieriger zu verstehen ist, weshalb das Buch nach der jungen Patientin Runa benannt ist. Sie spielt zwar eine Rolle, ist aber letztlich nicht die Hauptfigur des Romans. Das weckt zunächst Erwartungen, die nicht erfüllt werden und wirkt im besten Fall leicht irritierend.

Vera Buck ist ein großartiges Debüt gelungen, das ein Kapitel in der Geschichte der Menschen beleuchtet, das mit Menschlichkeit wenig zu tun hat. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund und konfrontiert die Leser mit einem namenlosen Schrecken. Dabei erzählt sie eine Geschichte, die stimmig ist und von einer überzeugenden Erzählkraft der Autorin zeugt.

Runa

Vera Buck, Limes

Runa

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