Wie ein fernes Lied

  • Piper
  • Erschienen: Januar 2015
  • 3
  • Piper, 2015, Titel: 'Wie ein fernes Lied', Originalausgabe
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Rita Dell'Agnese
901001

Histo-Couch Rezension vonAug 2015

Worte, die das Buch swingen lassen

Nein, verleugnen kann Autorin Micaela Jary ihre Verbundenheit mit dem Thema Musik nicht. Oder nicht mehr. Wie ein fernes Lied ist so dicht an den Menschen und der Musik dran, dass die persönliche Betroffenheit aus fast jeder Zeile spricht. Angesiedelt hat Micaela Jary ihre Geschichte in den Vorkriegsjahren - die Nazis haben bereits ihre Hände ausgestreckt und reagieren mit Druck und Gewalt auf die Bewegung des neu aufkommenden Swings. Die Folgen davon bekommt auch Marga zu spüren. Die junge Frau aus Hamburg muss sich von ihrem Liebsten verabschieden. Der talentierte junge Musiker schafft es, bei einer Swing-Kapelle ein Engagement zu ergattern und in die Schweiz auszureisen. Für Michael, ein Halbjude, ist es der letzte Moment, einem grauenvollen Schicksal zu entkommen. Marga weiß das, leidet aber dennoch darunter, dass sie nichts mehr von ihrer großen Liebe hört. Über Freunde erfährt Marga schließlich, dass Michael nach Paris gegangen ist und dort unter dem Namen Jules Delabord auftreten soll. Die Zeit, in der sich die Menschen in Europa frei bewegen konnten, ist aber vorbei. Margas einzige Chance ist, als Sängerin im Tanzorchester des gefeierten Bandleaders Harry Alsen die Bestimmungen zu umgehen. Sie macht sich auf die Suche nach ihrem Liebsten. Viele Jahre später, 1999, begegnet die junge deutsche Pianistin Andrea in Paris, wo sie in Hotels und Restaurants zur Unterhaltung spielt, einem distinguierten älteren Herrn. Er scheint Andrea regelrecht zu stalken. Als sie ihn zur Rede stellen will, flüchtet er und erleidet dabei einen schweren Unfall. Andrea bricht zusammen, wird aber vom jungen deutschen Journalisten Frank Renner, der gerade eine Geschichte über die Swing-Generation in den Kriegsjahren recherchiert, unterstützt. Andrea und Frank machen sich auf die Spuren der Geschehnisse in den Kriegsjahren.

Intensive Schilderungen

Micaela Jary macht mit ihren Worten die Musik lebendig. Sie setzt so überzeugende Bilder ein, dass der Leser das Gefühl bekommt, mitten im Geschehen zu sein. Die Angst der jungen Menschen bei der Razzia im Tanzclub, die ungebrochene Lust, zu leben, selbst in ganz dunklen Zeiten und die Faszination, durch eine bestimmte Musikrichtung eine Überzeugung zu leben: All diese Gefühle und noch viele mehr sind hautnah spürbar. Die Kraft, die in den Schilderungen liegt, spricht vor allem in jenen Szenen aus der Geschichte, die in der Vergangenheit angesiedelt sind. Dort wird der Swing bald zu einem inneren Widerstand gegen die Schreckensherrschaft der Nazis. Weniger intensiv ist die Zeit von 1999 ausgefallen. Manchmal scheint es, als wolle die Autorin den Vergangenheits-Teil des Buches nicht konkurrenzieren. Dadurch verliert die Erzählung aus der Zeit von 1999 etwas gegenüber derjenigen aus den Kriegsjahren. Grundsätzlich muss man sich ohnehin die Frage stellen, ob es die Zweiteilung des Romans überhaupt gebraucht hätte: Die Geschichte von Marga und Michael ist so dicht und überzeugend, dass sie auch ohne das Geheimnis ausgekommen wäre, das sich erst so viele Jahre später lösen lässt.

Starke Charaktere

Wie fast immer bei Micaela Jary lebt der Roman von starken Charakteren, die durchaus Ecken und Kanten aufweisen. Wohl folgt ein Teil der Geschichte dem üblichen Muster, doch die Figurenzeichnung hebt auch hier die Erzählung weit über das übliche Maß hinaus und macht den Roman lebendig. Keine fehlerfreien Heldinnen und Helden, sondern Menschen, die einen gesunden Lebenshunger haben, bevölkern den Roman. Die Protagonisten wachsen der Leserschaft schnell ans Herz. Ihr Schicksal berührt und selbst wenn man die Figur gerne daran hindern möchte, unter Umständen falsche Schlüsse  zu ziehen oder in eine falsche Richtung zu gehen, so kann man doch immer nachvollziehen, weshalb dieser Weg vorgegeben war.  Dass Micaela Jary mit ihren Romanfiguren ganz dicht an einstige Musiker heran kommt, kommt nicht von ungefähr. Hier dürfte sich die Lebensgeschichte der Autorin selber, beziehungsweise ihrer Familie im Roman versteckt halten.

Eine andere Sicht

Über die Kriegsjahre und die Nazi-Herrschaft gibt es bereits eine Vielzahl von Romanen - auch guten Romanen. Dieses spezielle Kapitel - die Verfolgung der Swing-Kids und die Deportation der jungen Menschen, die von diesem Musikstil nicht lassen mochten - stand da bisher weniger im Zentrum. Micaela Jary bringt somit eine andere Sicht der Dinge in den Roman ein. Und das macht sie hervorragend. Die Geschichte hallt noch lange nach, wenn die letzten Zeilen gelesen und damit die letzten Töne des Swings verklungen sind. Der überzeugend komponierte Roman vermag auf allen Ebenen zu gefallen.

Wie ein fernes Lied

Micaela Jary, Piper

Wie ein fernes Lied

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