Worte in meiner Hand

  • List
  • Erschienen: Januar 2015
  • 6
  • List, 2016, Titel: 'The Words in my Hand', Originalausgabe
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Annette Gloser
961001

Histo-Couch Rezension vonAug 2015

Die eine und einzige Liebe

Im Jahr 1634 arbeitet Helena Jans van der Strom als Magd bei einem Amsterdamer Buchhändler. Sein Einkommen bessert dieser Mister Sergeant mit der Vermietung von Fremdenzimmern auf. Aber eines Tages kommt ein ganz besonderer Gast, vom Hausherrn mit viel Spannung erwartet: Der französische Naturwissenschaftler und  Philosoph René Descartes. Helenas Vater ist auf See verschollen, die Mutter hat versucht, sich und die Kinder mit dem Spinnen von Wolle über die Runden zu bringen. Darum ist Helena nach Amsterdam gegangen und hat sich diese Arbeit gesucht. Sie weiß nicht, wer Descartes ist, aber sie ist ein ganz besonderes Mädchen. Das Lesen und Schreiben hat sie sich selbst beigebracht, sie ist wissbegierig und kann gut zeichnen. Der große Philosoph beginnt, sich für das junge Mädchen zu interessieren und Helena kann ihm nicht widerstehen.

Als sie schwanger wird, sorgt Descartes dafür, dass sie ihr Kind ohne finanzielle Sorgen zur Welt bringen kann. Aber er wird sie nie heiraten können. Nicht nur der  Standesunterschied ist zu groß, Descartes ist Katholik und Helena Calvinistin. Niemand darf erfahren, wer der Vater von Helenas kleiner Tochter ist, denn Descartes Gegner warten nur darauf, ihn kompromittieren zu können. Für Helena aber ist dieser Mann der eine und einzige, den sie jemals lieben kann. Und auch sie ist für den Philosophen die ganz große Liebe. Eine Liebe ohne Aussicht auf Erfüllung.

Eine ganz besondere junge Frau

Helena Jans selbst kommt in diesem Roman zu Wort und erzählt ihre Geschichte. Die Autorin Guinevere Glasfurd hat sich tief in diese junge Frau hinein versetzt und hat Worte in meiner Hand als IchErzählung geschrieben, aus der Perspektive Helenas. Dabei ist über die historisch reale Helena Jans nur sehr wenig bekannt. Im Internet findet man sie nur als kurze Erwähnung in den Artikeln über Descartes. Guinevere Glasfurd musste für ihre Protagonistin nicht nur intensiv recherchieren, sondern auch ihren Charakter, ihre ganze Wesensart, nachempfinden. Dabei ist es der Autorin gelungen, eine sehr glaubhafte, lebendig wirkende Helena zu erschaffen, die ihre Geschichte mit einfachen Worten erzählt. Diese Helena ist ganz und gar ein Mädchen ihrer Zeit und ihres Glaubens, und doch wird beim Lesen schnell deutlich, dass diese junge Frau etwas ganz Besonderes gewesen sein muss.

Dies ist der großen Kunst der Autorin zu verdanken, die aus den wenigen Bruchstücken, die ihr zur Verfügung standen, einen komplexen Charakter von großer Tiefe erschuf. Selbst Descartes, der doch hier eigentlich die zweite Hauptrolle spielt, kommt dem Leser nicht so nahe wie Helena Jans van der Strom. Aber über Helena und ihre Erzählungen lernt man ihn kennen, erfährt von seinen Forschungen und seiner Art zu denken.

Holland im 17. Jahrhundert

Beim Lesen ersteht vor dem inneren Auge ein sehr klares Bild des Lebens im 17. Jahrhundert in Holland. Neben Helena und Descartes gibt es noch einige Protagonisten, die für diese Geschichte eine wichtige Rolle spielen und die von der Autorin ebenfalls mit viel Fingerspitzengefühl gestaltet wurden. Immer wieder wird das alltägliche Leben geschildert, so bildhaft, dass man ganz genau miterlebt, wie Helena schuftet, welche Freuden sie in ihrem Leben kennt. Dabei dringt nur wenig von außen in die begrenzte Welt der jungen Frau ein. Aber durch ihr Denken, durch ihre Interpretation der wenigen Fakten, bekommt man ein sehr genaues Gefühl dafür, wie die Welt nicht nur für Helena ausgesehen haben könnte, sondern auch für Descartes, erfährt von seinen Feinden, seinen Arbeitsmethoden, seiner Art zu leben. Die Autorin hat die Atmosphäre der Zeit, so, wie sie diese Zeit sieht, eingefangen und beim Lesen können wir diese Atmosphäre spüren. Es ist eine dichte, wahrhaftige Geschichte entstanden, die ihre Leser so schnell nicht mehr los lässt und viel von der Kraft, aber auch von der Traurigkeit vermittelt, die das Leben der Helena Jans möglicherweise bestimmt haben. Guinevere Glasfurd hat einen fiktiven Charakter erschaffen. Aber sie tat es so, dass man das beim Lesen sehr schnell vergisst.

Ein außergewöhnlich guter Roman

Mit Worte in meiner Hand ist Guinevere Glasfurd ein außergewöhnlich eindringlicher Roman gelungen, ein Kleinod unter den historischen Romanen. Der List Verlag hat das Buch mit Hardcover und Schutzumschlag ausgestattet, dazu mit einer Banderole. Eine Aufmachung, die potentielle Leser darauf aufmerksam macht, dass man hier kein alltägliches Buch vor sich hat. Am Ende des Romans findet man ein sehr interessantes Nachwort der Autorin, welches zur Lektüre empfohlen sei. Kein Roman für zwischendurch zum Abschalten und hinterher vergessen. Wer sich auf Guinevere Glasfurd und ihre Helena einlässt, der wird als Leser gefordert und bekommt dafür ein wunderbares Leseerlebnis.

Worte in meiner Hand

Guinevere Glasfurd, List

Worte in meiner Hand

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