Tanz des Vergessens

  • Droemer-Knaur
  • Erschienen: Januar 2015
  • 2
  • Droemer-Knaur, 2015, Titel: 'Tanz des Vergessens', Originalausgabe
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Annette Gloser
921001

Histo-Couch Rezension vonJul 2015

Die nicht immer goldenen Zwanziger

Im Mai 1919 wird die Münchener Räterepublik zerschlagen. Curd und Lou haben sich vor den Kampfhandlungen in Lous Wohnung gerettet und bleiben im Bett, solange, bis das Chaos auf den Straßen endlich vorbei ist. Als endlich Ruhe einkehrt, macht sich Curd auf den Weg für eine Besorgung, aber er kehrt nie zurück. Eine letzte verirrte Kugel trifft ihn ausgerechnet dann, als niemand mehr damit rechnet, von einem Schuss niedergestreckt zu werden. Zurück bleibt Lou, völlig verzweifelt, denn sie gibt sich die Schuld an seinem Tod. Schon einmal hat sie Ähnliches erlebt, als ihr Bruder Karl etwas für sie erledigen wollte und dabei unter eine Straßenbahn kam. Auch an diesem Unfall glaubt Lou Schuld zu sein. Überzeugt davon, dass sie allen Menschen, die sie liebt, nur Unglück bringt, will sie nur noch vergessen. Zwar verdient sie ihren Lebensunterhalt als geschickte und kreative Täschnerin, aber nichts kann sie davon abhalten, sich in das wirbelnde Münchener Nachtleben zu stürzen.

Als sie den sehr viel älteren Ernst kennen lernt, scheint erneut das Glück für Lou zu lächeln. Aber Ernst ist verheiratet. Sein Wohlstand ist das Vermögen seiner Frau Hilde. Niemals wird Ernst sich von ihr trennen. Aber er findet einen Weg, Lou in sein Leben einzubeziehen: Als Pflegetochter soll die junge Frau in der vornehmen Villa in München Herzogspark leben. Tatsächlich ist auch Hilde mit diesem Arrangement einverstanden. Aber Lou weiß, dass dies kein Zustand auf Dauer sein kann. Dies ist nicht ihre Welt! Und über München ziehen braune Schatten auf, denn die ersten Schlägertrupps der SA marodieren durch die Stadt und ein kleiner Gefreiter namens Hitler peitscht immer mehr Menschen zu jubelnder Begeisterung.

Starke Protagonisten und große Gefühle

Heidi Rehn hat mit Tanz des Vergessens einen schillernden, bunten Roman über das quicklebendige München Anfang der 1920er Jahre geschrieben, bevölkert von interessanten Protagonisten mit vielfältigen Charakterschattierungen. Da ist die lebenshungrige Lou neben der starken Judith, der geizige Täschner Prantl neben dem Lebemann Ernst, die amüsierwillige Kriegerwitwe Frida neben der stolzen, steifen Hilde. Heidi Rehn hat mit ihnen ein sehr lebendiges Panorama geschaffen mit Menschen, die man von irgendwoher zu kennen glaubt, mit denen man sich auch selbst identifizieren kann. Die Konflikte der Protagonisten sind nachvollziehbar, ihre Gefühle für den Leser miterlebbar. So wird man schnell von der Handlung gefesselt, blättert Seite um Seite um und mag den Roman am Ende gar nicht gerne aus der Hand legen. Die Spannung, die bereits auf den ersten Seiten aufgebaut wird, hält bis zum Schluss an.                                                                                                                      

Zudem geht es hier nicht nur um die privaten Konflikte der Protagonisten. Auch die Politik spielt in die Romanhandlung hinein und beeinflusst die Entscheidungen der handelnden Personen. So wird für heutige Leser gut verstehbar, wie der Faschismus nach und nach immer weiter um sich greifen konnte.

Bunte Glitzerwelt und kleine Leute

Quer durch alle Gesellschaftsschichten führt die Romanhandlung, in die eher schäbigen Wohnungen der kleinen und die Villen der reichen Leute. Nicht zu vergessen die Theater und Amüsieretablissements, die das Münchener Nachtleben bestimmten. Als Leser taucht man in diese Welt regelrecht ein und erlebt gemeinsam mit Lou und Judith, wie die Roaring Twenties in München begannen. Heidi Rehn kennt ihr München sehr genau, gibt das, was sie weiß, gerne und gut verpackt an ihre Leser weiter. Münchener Leser werden viel wiedererkennen und vielleicht sogar oft überrascht sein, welche Geschichte sich hinter einem lange bekannt geglaubten Fleckchen verbirgt.

Aber auch als die Handlung des Romans nach Berlin wechselt, spürt man auf jeder Seite deutlich, dass die Autorin intensiv recherchiert hat und genau weiß, worüber sie schreibt. Sie schafft eine dichte, für den Leser greifbare Atmosphäre, so dass man letztendlich für sich feststellen kann: Ja, so könnte es gewesen sein!.

Eine runde Sache

Tanz des Vergessens ist ein spannender und interessanter Roman. Hier kann man sich in die genauso großartigen wie bedrückenden 1920er Jahre entführen lassen und darüber ganz die Zeit vergessen. Der Verlag Knaur hat die Innenseite des Covers mit einem großen Portrait der Autorin und ihrer Einladung an die Leser zur Lektüre dieses Romans versehen, ein nettes Schmankerl, wie die Münchener wohl sagen würden. Zudem gibt es ein interessantes Nachwort, das man nicht überblättern sollte. Ein Glossar gibt Aufschluss über so manchen Begriff, den der Leser vielleicht noch nie gehört hat.

Alles in allem ist dieses Buch eine runde Sache: Ein guter Roman in feiner Verpackung. Auf jeden Fall eine Leseempfehlung wert!

Tanz des Vergessens

Heidi Rehn, Droemer-Knaur

Tanz des Vergessens

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