Die Karte der Sehnsucht

  • Fischer
  • Erschienen: Januar 2015
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  • Fischer, 2014, Titel: 'The Postcard', Originalausgabe
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Rita Dell'Agnese
851001

Histo-Couch Rezension vonMär 2015

Generationenroman mit viel Potenzial

Das Waisenkind Callie wächst in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg auf einem Landsitz in Schottland auf, gut behütet von ihrer belgischen Kinderfrau Madge. Hin und wieder taucht ihre Tante Phoebe auf dem Landsitz auf, um Callie zu besuchen. Phoebe arbeitet als erfolgreiche Schauspielerin in London. Als Callie heranwächst schickt Phoebe Madge plötzlich zurück in ihre Heimat und Callie auf ein Internat. Das Mädchen leidet unter dem Verlust der geliebten schottischen Heimat und entwickelt auf Phoebe einen tiefen Groll. Der verstärkt sich noch, als Callie erfährt, dass Phoebe nicht ihre Tante, sondern ihre Mutter ist. So sehr sich Phoebe auch bemüht, näher an ihre Tochter heran zu kommen, es steht immer ein Hürde zwischen den beiden Frauen.

Als Callie sich in einen zwielichtigen Mann verliebt und ihm in einer Nacht und Nebel-Aktion nach Ägypten folgt, ist Phoebe ratlos. Sie sieht, dass Callie in ihr Unglück rennt, von der Mutter aber keinen Rat akzeptiert. Viele Jahre später trauert eine junge Frau um ihren Vater. Melissa will die Trauer dadurch bewältigen, dass sie nach der Herkunft ihres Vaters forscht, aus der er stets ein großes Geheimnis gemacht hat. Doch sie hat einzig eine Postkarte in der Hand, die ihr vielleicht dabei helfen kann, Licht ins Dunkel zu bringen. Bald stößt Melissa darauf, dass ihre Vorfahrinnen ein bewegtes Leben hatten.

Sprachlose Frauen

Leah Fleming stellt nacheinander drei Frauen in den Mittelpunkt ihres Romans. Alle drei Frauen haben in ihrem Leben einige Hürden zu bewältigen. Die Schauspielerin Phoebe, die um ihren Verlobten trauert, der im Ersten Weltkrieg ums Leben kommt und nicht mehr miterleben wird, wie seine Tochter geboren wird und aufwächst. Für Phoebe kommt zum Verlust des Geliebten die gesellschaftliche Komponente hinzu: Als ledige Mutter hätte sie kaum mehr eine Chance, ihre Karriere voran zu treiben. Also entscheidet sie sich schweren Herzens dazu, das Kind zu verleugnen. Das wird sich jedoch später als Bumerang erweisen.

Die Autorin geht auf den Gewissenskonflikt ein, in dem Phoebe steckt. Feinfühlig macht sie deutlich, wie schwer es der jungen Frau fällt, ihr Kind nicht bei sich zu haben. Leah Fleming lässt Phoebe sehr lebensnah handeln: Aus Eifersucht auf das gute Einvernehmen von Callie und ihrer Kinderfrau stellt sie sich zwischen die beiden. Kein schöner Charakterzug aber ein menschlicher. Nach und nach verschiebt die Autorin das Schwergewicht des Romans von Phoebe zu Callie. Callie ist voller Wut, Enttäuschung, Misstrauen und auch ein wenig Selbstmitleid. Damit wird sie zu einer glaubwürdigen Protagonistin. Sie hadert mit dem, was sie herausgefunden hat, verurteilt ihre Mutter. Das hindert sie daran, in ihrem Leben vorwärts zu kommen. Auch hier beweist Leah Fleming viel Feingefühl bei der Ausgestaltung ihrer Charaktere. Farbloser bleibt Melissa. Es mag sein, dass dies der Zeit geschuldet ist, in der sie sich bewegt, dem Jahr 2002, sie also eine moderne junge Frau ist.

Spannende Schauplätze

Obwohl das Schwergewicht des Romans ganz klar bei den Frauenschicksalen liegt, gewinnt der Roman doch auch durch die Situationen und Schauplätze, die Leah Fleming gewählt hat. Feinfühlig beschreibt die Autorin das Schicksal der Frauen, deren Männer oder Verlobte nicht aus dem Krieg zurückkehrten, und die sich dennoch mit einem verbohrten Gesellschaftsbild auseinander setzen mussten. Zugleich zeigt die Autorin auf, in welche Abhängigkeit Frauen durch eine Ehe gerieten. Sie nimmt Callie als Trägerin dieser Botschaft, setzt sie in ein exotisches Umfeld und lässt sie langsam reifen und dabei erkennen, was sie vorher nicht sehen konnte. Obwohl die Gesellschaft in Ägypten nicht ganz denselben Gesetzmäßigkeiten folgt, wie jene in England, so sieht sich Callie doch einer starren Ordnung ausgesetzt, die es nicht zulässt, der Situation zu entfliehen und einem neuen Lebensbild zu folgen. Zwar nimmt die Geschichte um die drei Frauen den Leser gefangen und enthält  genügend Potenzial, so sind es doch letztlich diese gesellschaftlichen Konventionen und Zwänge, die dem Roman sehr viel Tiefgang geben und Leser, die bereit sind, sich mit der Materie auseinanderzusetzen noch länger zu beschäftigen wissen.

Der Unterhaltungswert dieses Generationenromans ist groß. Allerdings müssen die Leser Geduld beweisen, da und dort verliert sich Leah Fleming in gar ausufernden und langgezogenen Szenen, so dass das Tempo immer wieder gedrosselt wird und sich gerne mal leichte Ermüdungstendenzen einstellen.

Die Karte der Sehnsucht

Leah Fleming, Fischer

Die Karte der Sehnsucht

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