Insel der blauen Gletscher

  • Lübbe
  • Erschienen: Januar 2015
  • 1
  • Lübbe, 2015, Titel: 'Insel der blauen Gletscher', Originalausgabe
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Rita Dell'Agnese
821001

Histo-Couch Rezension vonJan 2015

Eine Frau trotzt ihrer Zeit

Emilie kommt ins heiratsfähige Alter, was ihre Familie dazu bewegt, nach möglichen Kandidaten Ausschau zu halten. Ganz zum Verdruss der jungen Frau, die so gerne mehr aus ihrem Leben machen würde. Heimlich neidet Emilie ihrem jüngeren Bruder Max dessen Studium und vor allem die Abenteuerfahrt nach Spitzbergen, die dieser an sich gar nicht antreten möchte. Emilie wird von ihren Eltern nach Berlin zu ihrer Tante Fanny gesandt, die dem jungen Mädchen den letzten Schliff verpassen soll. Denn Anfang des 20. Jahrhunderts ist es für die Familie wichtig, ihre Tochter gut zu verheiraten und damit versorgt zu wissen. Die Zeit in Berlin gestaltet sich so ganz anders als Emilie sich das vorgestellt hatte und sie schafft es schließlich, anstelle ihres Bruders zur Arktis-Expedition aufzubrechen. Von der Freiheit, die den jungen Männern zugestanden wird, ebenso angetan, wie von den vielen Eindrücken der Reise, stürzt sich Emilie ins Leben. Durch ihre burschikose Art wird Emilie bald von allen anerkannt. Einzig Arne, ein kantiger, verschlossener Mann, scheint sie zu durchschauen. Emilie ist verunsichert, will sich aber die Freude an der heimlichen Reise nicht nehmen lassen.

100 Jahre später steht die 45-jährige Reisejournalistin Hannah plötzlich vor dem Nichts. Ihr Mann verlässt sie von einem Tag auf den anderen und sie muss ihr Leben neu in die Hand nehmen. Um beruflich wieder Fuß zu fassen, nimmt sie ein Engagement an und reist nach Spitzbergen, um eine Reisereportage zu schreiben. Während die tief verletzte und verunsicherte Hannah sich anfänglich mit dem Reiseziel schwer tut, findet sie bald Zugang zum Polarforscher Kare, der ihr die so abweisende Welt näher bringt. Hannah erkennt, dass sie für ihr Schicksal kämpfen muss.

Klassischer Hosenrollen-Roman

Bei Insel der blauen Gletscher handelt es sich um einen klassischen Hosenrollen-Roman. Emilie schlüpft in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts in die Rolle ihres Bruders Max und kann sich erst da richtig entfalten. Denn ihr sind sowohl der Zugang zu Ausbildung als auch ein selbstbestimmtes Leben verwehrt. Die Geschichte nun aber auf diesen Geschlechterwechsel zu reduzieren, würde dem Roman absolut nicht gerecht. Zwar hat Autorin Christine Kabus tatsächlich auf eine klassische Basis zurückgegriffen, doch gestaltete sie den Aufbau so facettenreich, dass nicht ein einziges Mal der Eindruck entsteht, etwas vorgesetzt zu bekommen, das man in ähnlicher Form bereits gelesen hat. Emilie macht all jene Fehler, die man von einem Mädchen erwartet, das plötzlich als Mann durchs Leben geht. Und die Menschen um sie herum machen ebenfalls genau das, was man von ihnen erwarten kann: Sie hinterfragen diese vielen kleinen Hinweise nicht, sondern konzentrieren sich auf die Scharade, die ihnen vorgespielt wird. In dieser Situation steckt sehr viel Potenzial und die Autorin weiß dieses sehr wohl zu nutzen. So verleiht sie vor allem dem historischen Erzählstrang ihres auf zwei Zeitebenen spielenden Romans eine unerwartete Tiefe und hintergründigen Humor.

Farbloser als der historische Teil

Tatsächlich gelingt Christine Kabus vor allem der historische Teil des Romans ausgezeichnet, während der Gegenwarts-Teil gegenüber diesem starken Part etwas farblos wirkt. Hannah entspricht nicht dem Bild, das man sich von einer modernen Frau mit ihrem gesellschaftlichen und dem Bildungshintergrund erwarten darf. Ihre Entwicklung mitzuverfolgen ist zwar nett, jedoch fehlt hier die Tiefgründigkeit, die bei Emilie vorhanden ist. Wohl nicht nur die Leserinnen und Leser von historischen Romanen könnten davon profitieren, wenn Emilies Geschichte noch ausgebaut worden wäre und der Teil mit Hannah ganz weggelassen worden wäre.

Starkes Szenario

Wie vertraut Christine Kabus mit der geschilderten Region ist, lässt sich für Laien nicht eruieren. Aber sie schafft es, Bilder vor dem geistigen Auge der Leserschaft entstehen zu lassen, die in eine ganz andere Welt entführen. Zusammen mit den geschickt eingestreuten Informationen entsteht auf diese Weise eine überzeugende und unterhaltsame Lektüre, die nicht nur von der lockeren und leicht zu lesenden sprachlichen Umsetzung lebt, sondern auch vom starken Szenario, das weit ab von der Alltäglichkeit liegt.

Insel der blauen Gletscher

Christine Kabus, Lübbe

Insel der blauen Gletscher

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