Welt in Flammen

  • Wunderlich
  • Erschienen: Januar 2014
  • 8
  • Wunderlich, 2014, Titel: 'Welt in Flammen', Originalausgabe
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Annette Gloser
941001

Histo-Couch Rezension vonAug 2014

Die letzte Fahrt des Simplon-Orient-Express

Im Mai 1940 stehen die Deutschen kurz vor Paris. Am Himmel kann man schon das Flackern des Geschützfeuers sehen. Aber weiter fahren Züge durch Frankreich, und auch der traditionsreiche SimplonOrientExpress macht sich wieder auf den Weg nach Istanbul, an Bord eine illustre Gesellschaft. Da sind der König eines kleinen Balkanlandes und Verwandte des russischen Zaren, da sind Geheimdienstmitarbeiter mit unterschiedlichsten Aufträgen, ein ölreiches amerikanisches Ehepaar und eine emeritierte HollywoodSchönheit, da sind die Stewards der Schlafwagengesellschaft. Und da ist Eva, Jüdin aus Deutschland, Exgeliebte des mitreisenden Königs und auf der Flucht vor den Nazis. Sie alle haben es in letzter Minute geschafft, der drohenden Besatzung zu entkommen, sogar Eva, die gar keine Fahrkarte hatte und die im hauchdünnen Abendkleid barfuß durch Paris rannte um den Zug und mit ihm den abreisenden Geliebten noch zu erwischen.

In Belgrad wird noch ein weiterer Waggon angehängt, der persönliche Salonwagen Adolf Hitlers. In geheimer diplomatischer Mission reist Hitlers Stellvertreter Franz von Papen nach Istanbul.

Was die Reisenden jedoch nicht wissen: Noch ein anderer ganz besonderer Waggon wurde bereits in Paris in letzter Minute an den Simplon-Orient-Express angehängt. Jahrelang stand dieser Waggon im Wald von Compiègne und war ein Wallfahrtsort nationalstolzer Franzosen. In diesem Eisenbahnwagen wurde am Ende des Ersten Weltkrieges das Waffenstillstandsabkommen zwischen Deutschland und Frankreich unterzeichnet. Er ist ein Symbol für die Demütigung der Deutschen und den Sieg Frankreichs. Nur zu gerne würde Hitler in genau diesem Waggon die Kapitulation der französischen Armee entgegen nehmen um der Welt zu zeigen, dass die Uhren jetzt anders ticken. Dies jedoch wollen patriotische Franzosen verhindern. Allerdings ist die Aktion nicht geheim geblieben, und so hat auch Hitler seine Spezialkräfte auf den wagon de larmistice angesetzt. Sie sollen, koste es, was es wolle, diesen Eisenbahnwagen wieder nach Frankreich bringen.

Balance zwischen Fiktion und Realität

Benjamin Monferat entwickelt in seinem Roman eine fiktive Geschichte, dicht gefüllt mit Anspielungen auf reale Ereignisse und tatsächlich existierende Personen. So hat es z.B. nie ein Königreich Carpathia gegeben und somit auch nie einen König Carol von Carpathien, allerdings gab es sehr wohl einen rumänischen König gleichen Namens. Auch den mitreisenden Zweig der RomanowFamilie wird man wohl vergeblich im Stammbaum der russischen Zaren suchen. Und doch vermittelt Welt in Flammen eine packende Authentizität. Dies liegt wohl daran, dass der Autor seine Protagonisten mit viel Bedacht ausgewählt hat. So verkörpert zwar jeder von ihnen eine bestimmte Interessengruppe, jedoch sind sie, jeder für sich, stimmige Persönlichkeiten. Monferat ist es gelungen, hier plakative Anstriche zu vermeiden und interessante Charaktere zu schaffen.

In Welt in Flammen finden sich auch viele wilde Storys, die sich so, wie sie im Roman beschrieben werden, vermutlich in der Realität niemals zugetragen hätten. Aber wir haben es ja auch mit einem fiktiven Roman zu tun, der sich nicht an das enge Korsett der Realität halten muss. Dafür kann der Roman dem Leser deutlich vor Augen führen, welche Kräfte in diesem ersten Kriegsjahr in Europa wirkten, welche Interessen aufeinander prallten, welche Winkelzüge der Politik versucht wurden. Die zwei Tage und drei Nächte währende Fahrt wird zum Sinnbild dessen, was in Europa geschieht, wird zum Stelldichein der Geheimdienste und zum Schauplatz politischer Kungeleien.

Immer wieder jedoch gibt es auch Zwischenspiele außerhalb des Zuges, in denen der Leser mit neuen Situationen vertraut gemacht wird oder Menschen kennenlernt, die von ferne auf die Geschicke des Zuges mit einwirken.

Spannende Lektüre

Benjamin Monferat ist ein bekennender Eisenbahnliebhaber, und das merkt man diesem Buch auch an. Der Leser erhält viele Informationen über die Geschichte des Orient-Express, über Streckenführung, Lokomotiven und Ausstattung der Waggons. Es ist zu vermuten, dass hier umfangreiche Recherchen durchgeführt wurden. Allerdings erliegt der Autor nicht der Versuchung und verliert sich nie in detaillierten Beschreibungen, sondern behält seine Geschichte immer im Auge. Dabei gelingt es ihm, trotz der fast tausend Seiten des Romans, den Spannungsbogen weitgehend aufrecht zu erhalten und auch am Schluß noch einmal für eine Extraportion Dramatik zu sorgen. Tragische Schicksale erfüllen sich, Paare finden sich und nicht jeder Geheimagent kommt ans Ziel seiner Wünsche.

Der Autor hat dafür gesorgt, dass seine Leser sich gut orientieren können. Es gibt eine Belegungsliste der Waggons im Anhang, es gibt ein umfangreiches Nachwort  und es gibt vielen Dank an den Verlag Wunderlich eine Streckenkarte des Simplon-Orient-Expresses. Das I-Tüpfelchen ist dann ein kleines gelbes Bändchen als Lesezeichen. Der Hardcover Band hat damit eine geradezu luxuriöse Ausstattung und passt sich so dem weltberühmten Zug an, um den es in diesem Roman (auch) geht.

Suchtpotential

Man kann diesem Buch ein gewisses Suchtpotential nicht absprechen. Manchmal liest man die Vorankündigung eines Romans, ist ein wenig skeptisch und greift vielleicht zögerlich nach dem Buch. Hier kann man schon von der Covergestaltung fasziniert sein: Liebevoll, detailliert und dabei durchaus tiefsinnig mit diesem orangegelben Himmel, der sowohl Abendrot als auch Flammeninferno sein könnte. Und mit dieser Lokomotive, die vermutlich Pacific 231 heißt und deren Schwestern den SimplonOrientExpress durch halb Europa und durch diesen Roman ziehen. Eine fiktive Geschichte also, nicht wirklich ein historischer Roman, denn so, wie hier beschrieben, hat die letzte Fahrt des Simplon-Orient-Expresses nie stattgefunden. Nicht mit diesen Passagieren, nicht mit den beschriebenen Ereignissen. Und dann beginnt man zu lesen, und plötzlich ist er da, dieser Sog, der einen Seite um Seite umblättern lässt. Der dafür sorgt, dass man sich schnell nebenbei eine Stulle schmiert und mit ebendieser plus Roman im Lesesessel verschwindet, dass man Lieblingsserien sausen lässt oder dass man die Mittagspause statt mit den Kollegen doch lieber alleine mit diesem Roman verbringt.

So ein Roman ist Welt in Flammen

Welt in Flammen

Benjamin Monferat, Wunderlich

Welt in Flammen

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