Das Mädchen mit dem Perlenohrring

  • List
  • Erschienen: Januar 2000
  • 9
  • List, 1999, Titel: 'Girl With A Pearl Earring', Originalausgabe
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Almut Oetjen
601001

Histo-Couch Rezension vonJan 2007

Kleine Geschichte eines Gemäldes von Johannes Vermeer

Delft 1664: Die 16-jährige Griet wird Dienstmädchen im Hause des angesehenen Malers Johannes Vermeer, nachdem ihre Familie durch den Arbeitsunfall des Vaters in finanzielle Not geraten ist; Vermeer ist Obmann der Gilde, in der auch Griets Vater, ein Fliesenmaler, Mitglied ist. Griet teilt sich die Arbeit in dem chaotischen zehnköpfigen Haushalt mit der Magd Tanneke. Aber nur sie allein darf das Atelier des Malers putzen. Nichts darf dabei verstellt werden. Für diese Aufgabe ist sie durch die Erblindung des Vaters prädestiniert. Trotz unterschiedlicher Herkunft und sozialer Stellung gewinnt Griet die Aufmerksamkeit Vermeers, der ihren Sinn für Farbharmonie und ihre Sensibilität für seine Bilder erkennt: so lässt sie die Fenster ungeputzt, weil sich das Licht verändern würde; sie bemerkt, dass eine Karte im Hintergrund die Komposition stört; oder sie ordnet ein blaues Tuch neu, um die Ordnung mit einem Hauch von Unordnung zu kontrastieren.

Während Griet in Vermeers Familie hineinwächst, zerfällt ihre eigene. Die Mutter entfremdet sich ihr, die kleine Schwester stirbt an der Pest, den Bruder zieht es nach Rotterdam. Der reiche Gönner Vermeers, van Ruijven, belästigt sie sexuell, und der Fleischersohn Pieter umwirbt sie. Als sie dem Maler bei der Herstellung der Farben hilft und ihm Modell für ein Auftragsgemälde van Ruijvens steht, sie dafür die Perlenohrringe seiner Frau anlegt, erfährt ihr Leben eine wichtige Wende.

Gutes Dienstmädchen - böse Ehefrau

Griet wird als eine intelligente, stille Beobachterin geschildert. Schnell durchschaut sie den Charakter der Menschen um sie herum und die Verteilung der Machtverhältnisse. Dies und ihre haushälterischen und taktischen Fähigkeiten ermöglichen ihr, in dem chaotischen Haushalt zu überleben und ihre Position zwei Jahre zu halten. Vermeers Frau Catharina ist unsicher, inkompetent, eifersüchtig und meistens schwanger; als Griet ins Haus kommt, ist gerade das sechste Kind unterwegs. Catharina darf nicht wissen, welch enges Verhältnis Griet zu ihrem Mann entwickelt. Sie möchte mit nichts behelligt werden, weder mit dem Haushalt, noch mit den Kindern, weshalb sich beide in schlechtem Zustand befinden. Auch die Arbeit ihres Mannes interessiert sie nicht.

Griet und Catharina sind so gegensätzlich gezeichnet, wie es stärker nicht sein könnte - kein Wunder, denn Griet erzählt die Geschichte und bestimmt also das Was, Wie und Warum. Der Leser muss alles für bare Münze nehmen, es gibt keine Relativierungen durch eine andere Perspektive, keinen Zweifel an Griets Glaubwürdigkeit. Manchmal wartet man darauf, dass ein anderer Erzähler endlich das Wort ergreift, Griets Worte in Frage stellt und vielleicht den Fall der neurotischen Fixierung einer Heranwachsenden auf eine Berühmtheit andeutet. Auch die anderen Figuren sind wenig differenziert gezeichnet. Über Vermeer erfährt der Leser fast nichts, er bleibt eine unbekannte Größe. Es gebe wenig Material über ihn, argumentiert Chevalier.

Schräge Bilder

Die Geschichte wird von einer relativ ungebildeten Frau erzählt, die kaum lesen und schreiben kann. Das engt die Sicht auf die Dinge und die sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten ein. Auffällig ist auch der Hang zu Stilmitteln, die das Erzählte bildhaft machen sollen, vor allem der zu schiefen Metaphern. Beispiel: "die Stimme einer Frau, hell wie blankes Messing, und die des Mannes, tief und dunkel wie das Holz des Tisches"; "so dass sich kleine Locken gelöst hatten und ihr in die Stirn hingen wie Bienen, die sie mehrmals ungeduldig zu vertreiben suchte"; "Ich ordnete Gemüse immer zu einem Kreis an, jedes als eigenes Teil, wie bei einem runden Kuchen". Man mag dies mögen oder auch nicht.

Der Roman ist emotional und romantisch, der Geschichte kann man beim Lesen gut folgen. Bei Publikum und Kritik kam das Buch sehr gut an und wurde ein großer Erfolg. Die Niederländerin Margriet de Moor hat einen thematisch ähnlichen Roman geschrieben, doch ihr Der Maler und das Mädchen und Chevaliers Das Mädchen mit dem Perlenohrring trennen Welten.

 

Das Mädchen mit dem Perlenohrring

Tracy Chevalier, List

Das Mädchen mit dem Perlenohrring

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