Das Schloss der verlorenen Träume

  • Lübbe
  • Erschienen: Januar 2014
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  • Lübbe, 2012, Titel: 'Le Roi des Ombres', Originalausgabe
Das Schloss der verlorenen Träume
Das Schloss der verlorenen Träume
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Carsten Jaehner
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Histo-Couch Rezension vonApr 2014

Ein großartiger Roman um den Bau von Versailles

Ludwig XIV. regiert sein absolutistisches Frankreich und baut sich eine Residenz, die ihm einzig seiner würdig erscheint. Vor den Toren des verhassten Paris entsteht aus einem kleinen Schlösschen ein neuer Riesenbau, der sein Verständnis von Herrschaft und Königtum aufzeigt: Versailles. Aus allen Ecken Frankreichs kommen die Menschen, um auf der Baustelle zu arbeiten, die zwar Geld auf längere Zeit verheisst, wo die Arbeitsverhältnisse allerdings nicht königswürdig sind.

Inmitten dieser Arbeiten treffen sich zwei Charaktere, die beide nach höherem streben: Batiste Le Jongleur hat sich mit seiner Mutter und seinen Geschwistern auf der Baustelle eingefunden, um Arbeit zu finden. Er ist gelehrig, gewitzt und hat ein enormes technisches Verständnis und macht tatsächlich Verbesserungsvorschläge, die von nicht allen gerne gesehen werden. Als Brunnenbauer und Wasserleitungsrohrverleger verdient er einen kargen Lohn und kann sich und seine Familie so eben über Wasser halten.

Nine La Vienne ist die Tochter eines Baders, der auch Duftessenzen kreiert hat und bei dem bereits der König inkognito in der Wanne gesessen hat. Sie lernt ebenfalls, Düfte zu mischen und lässt sich zur Perückenmacherin ausbilden und gerät so bald in den Fokus von Madame, der Gemahlin des Bruders des Königs, womit ihr alle weiteren Türen offenstehen. Bei Hofe lernen sich Batiste und Nine kennen, doch sie können sich nicht ausstehen, gehen sich aber gegenseitig nicht mehr aus dem Kopf. Nine, die sich geschworen hat nie zu heiraten, wird zu einer ungeliebten Heirat gezwungen, die Batiste nicht verhindern kann. Intrigen und Interessenlosigkeit bei Hofe bestimmen beider Schicksal, das doch intensiv miteinander verbunden bleibt.

Schlossbau mit Tücken

Mit Das Schloss der verlorenen Träume legt die Französin Ève de Castro einen saft- und kraftvollen Roman aus der Zeit des Absolutismus in Frankreich hin, der es in sich hat. Dabei versteht sie es auf das vortrefflichste, den Leser in die Zeit zu entführen und ihn auf die Baustelle des Schlosses Versailles mitzunehmen. Anhand der Geschichten von Nine La Vienne und Batiste Le Jongleur entsteht der Superbau, und man kann ausschnittsweise die Fortschritte mitverfolgen. Allein durch Batistes Tätigkeit an der Wasserversorgung erfährt der Leser einiges an interessanten Fakten über die Wassernutzung im und am Schloss, vom Aufbau und von den Problemen, und fast wünscht man sich, bei den Arbeiten dabei gewesen zu sein.

De Castro beschränkt ihre Erzählung aber nicht nur auf die beiden jungen Leute Nine und Batiste. Zum einen bettet sie ihre Erzählung in eine Rahmenhandlung, in der "jemand" (man wird erst später erfahren, wer) Charles de Cholay seine biografische Familienvergangenheit enthüllt, und mag dieser Rahmen zunächst unnötig erscheinen, enthüllt sich nach und nach der Zusammenhang mit der Geschichte Versailles und es zeigt sich, wie geschickt die Autorin ihren Roman geschrieben und aufgebaut hat.

Geschickt aufgebaut

Ein weiterer Erzählpunkt ist das, was sich Leser eines Romans um den Bau des berühmtesten Schlosses Frankreichs wünschen und tatsächlich auch bekommen: Ihren König, Ludwig XIV., und vor allem auch seinen jüngeren Bruder Philippe von Orléans, genannt Monsieur und mehr dem eigenen denn dem anderen Geschlecht zugeneigt. Überhaupt spielt es am Hof eine grosse Rolle, wer wem wie zugeneigt ist, wer wem zu Willen ist, und wer sich auch nur den kleinsten Fauxpas leistet, könnte schneller aus dem "System" Königreich heraus sein, als er brauchte, um hineinzukommen. De Castro versteht es mit Delikatesse, den Hof mit seinen Hofschranzen, Geliebten, Prinzen und Favoriten darzustellen. Hier zeigt sie grosse Erzählkunst, die den Leser erfreut und goutiert, und man wird von der Lektüre mehr gefesselt, als es der allzu romantische Buchtitel vermuten lässt. Le Roi des Ombres heisst der Roman im Original, was soviel bedeutet wie "Der König des Scheins", was viel besser auf den Inhalt passt.

Eve de Castro legt mit ihrem Roman ein Zeitbild vor, das sich gewaschen hat (leider nicht wörtlich). Mit viel Akkuratesse und Blick für Kleinigkeiten lässt sie den Leser Einblick nehmen nicht nur in die oberste Etage, sondern auch in die der Arbeiter und schreckt auch vor unangenehmen Darstellungen nicht zurück. Dabei werden Frauen generell mit weniger Aufmerksamkeit behandelt als Männer, geschweige denn vn gemeinen Arbeitern.

 

Ihr solltet den Rat eines erfahrenen Mannes befolgen: Liebt, soviel ihr wollt, aber heiratet nie. Die Ehe reduziert die Frau auf die Hälfte eines Paares – und Ihr seid mehr wert als das.

 

Spannung bis zum Schluß

Der Roman wartet mit der einen oder anderen Überraschung auf, die hier nicht verraten werden soll, allerdings fügt sich so manches erst auf den letzten Seiten zusammen, was den Roman dazu auch noch ungemein spannend macht. Ob und wie sich die Geschichte von Nine und Batiste zusammenfügen, weiß man nie so genau, und man kann sich durch den Roman hinweg nie sicher sein, was aus einer plötzlichen Laune des Königs oder seines Bruders heraus alles passieren kann.

Gerne hätte der Verlag den Roman adeln können, indem er ihn als Hardcover herausgebracht hätte. Dann wäre vielleicht auch noch Platz für einen Grundriss des Schlosses gewesen, den Leser, die vielleicht noch nicht in Versailles waren, hätten dann noch mehr von der Lektüre gehabt und den Dimensionen, in denen sich die Handlung abspielt. So ist die einzige Beigabe ein Personenverzeichnis am Ende des Romans, das allerdings gerade in Hinsicht auf das Ende sehr geschickt zusammengestellt ist.

Das alles tut dem Roman aber keinen Abbruch. Wer einen prallen historischen Roman sucht, der mal nicht im Mittelalter spielt oder in dem keine Auswanderer vorkommen, und der das Prädikat "Historischer Roman" von vorne bis hinten tatsächlich verdient, der wird mit diesem Roman einen empfehlenswerten Griff machen. Die Autorin hat weitere Romane aus der Zeit des Absolutismus geschrieben, und es bleibt zu hoffen, dass der Lübbe Verlag erneut zugreift. Ein toller Roman, der viele Aspekte der Zeit und der Menschen umfasst, mit einer Liebesgeschichte, viel royalem, humorvoll und grausam, Delikatesse und vielen Überraschungen. Zugreifen.

Das Schloss der verlorenen Träume

Eve de Castro, Lübbe

Das Schloss der verlorenen Träume

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